Spielziel
Wer wechselt täglich die Unterwäsche? Wer pinkelt beim Duschen? Wer ist der Meinung, intelligenter zu sein als z. B. sein rechter Tischnachbar? Wer kennt die dunklen Seiten und die geheimen Wünsche seiner Freunde und Bekannten?
Privacy geht all dem und vielen anderen Themen auf dem Grund. Hier gilt es, die Mitspieler einzuschätzen, ehrlich zu antworten - und dennoch sollen ungewollte Outings verhindert werden! Ob das geht? Wir wollten es ergründen ... denn noch vor der offiziellen Veröffentlichung hatten 14 Städte bzw. Spielgruppen in Deutschland und Österreich die Gelegenheit, an einem "Welturaufführungsspiel" teilzunehmen. Am Abend des 31.01.2004 wurde in diesen Städten parallel Privacy zum ersten Mal gespielt. In unserem Fall gesellten sich 10 Spieler zu diesem Ereignis und wir spielten von ca. 20:00 bis 00:00 Uhr.
Ablauf
Das Spielbrett mit der Zählleiste sowie einer Spielfigur für jeden Spieler werden gemeinsam mit den 90 Fragekarten in die Tischmitte gelegt. Auf jeder Karte stehen 4 Fragen sowie eine Zahl zwischen 1 und 4 auf der Rückseite. Jeder Spieler erhält einen Sichtschirm, eine Einstelltafel und einige orange und schwarze Klötzchen.
Satz vorlesen: Der Startspieler nimmt die erste Karte und prüft, welche Zahl nun die oberste Karte des Zugstapels vorweist (1 - 4). Diese gibt vor, welche der 4 Fragen vorgelesen werden soll. Er liest die Frage laut vor. Alle Fragen sind mit JA oder NEIN beantwortbar bzw. alle Statements kann man mit "Ja - zutreffend" oder "Nein - nicht zutreffend" beantworten..
Mitspieler einschätzen: Nun müssen alle Spieler einschätzen, bei wieviel Spielern am Spieltisch (inkl. man selbst) die Frage zutreffend ist, diese also mit JA antworten. Man stellt den Wert verdeckt auf der Einstelltafel ein.
Das Voting: Danach geht ein schwarzes Stoffsäckchen um, in das jeder Spieler entweder ein oranges Klötzchen (für JA) oder ein schwarzes Klötzchen (für NEIN) hineinwirft. Hierbei muss man aber absolut ehrlich sein. Andernfalls macht das Spiel keinerlei Sinn.
Die Wertung: Sobald alle Spiele ihr Klötzchen hineingeworfen haben, leert der Startspieler das Säckchen aus. Nachdem das Ergebnis den einen oder anderen entsetzten Blick erzeugt hat, decken alle Spieler, die genau richtig geschätzt haben, ihre Einstelltafel auf und ziehen 3 Felder auf der Zählleiste vorwärts. Anschließend decken alle Spieler ihre Scheibe auf, die um einen Punkt daneben lagen. Sie dürfen ein Feld vorwärts ziehen. Alle anderen Spieler geben nicht preis, was sie geschätzt haben. Das bleibt ein Geheimnis, um ein eventuelles Outing zu vermeiden. Es gibt noch zwei Sonderfälle, die ich hier nicht weiter beschrieben möchte.
Nächste Runde: Der Startspieler wechselt und der nächste Spieler ist mit dem Vorlesen an der Reihe.
Spielende: Sobald ein oder mehrere Spieler das Zielfeld überqueren endet das Spiel. Wer nun am weitesten vorne steht, hat gewonnen.
Fazit
Material: Unsere Ausgabe enthielt noch einen Materialschwachpunkt. Die Spritzgussteile für die Einstellscheibe waren nicht passgenau gefertigt, so dass die Einstellscheiben teilweise entweder zu locker saßen und beim Umdrehen verrutschten oder sogar auseinander fielen. Nach Aussage von Amigo wurde der Mangel bereits erkannt. Die an den Handel gehenden Spiele sollen diesen Fehler nicht mehr enthalten. Sollte jemand das Spiel kaufen und genanntes Problem haben, so empfehlen wir, Kontakt mir Amigo aufzunehmen, welche die entsprechenden Teile ersetzen wollen.
Ansonsten ließ sich am Material nichts aussetzen. Die Karten sind gut lesbar, auch die Farbzuordnung von JA und NEIN ist auf dem Spielplan in großen Lettern zu erkennen, so dass es zu keinen Verwechslungen kommen sollte. Schön wäre vielleicht noch gewesen, wenn jeder Spieler vor sich noch eine farbliche Markierung stellen könnte, damit eine Zuordnung der Spielfiguren zu den Spielern einfacher möglich wäre. Gerade bei 12 Spielern ist dies recht schwierig. Wenn aber jeder darauf achtet, dass er nicht vergessen wird, funktioniert das auch.
Die Regeln sind klar verständlich geschrieben und zur Sicherheit wurde hinter jedem Abschnitt noch ein Beispiel platziert. Nur die Fragekarten führten zu gelegentlichen Diskussionen, da die Auslegung unterschiedlich ausfallen kann. Wie soll man z. B. "Geschlechtskrankheit" auslegen? Zählt hier eine Pilzinfektion im Geschlechtsbereich dazu? So etwas sollte zuvor geklärt werden, denn andernfalls sind die Ergebnisse nicht wirklich brauchbar. Aber selbst nach einer Klärung kann es in Abhängigkeit von der individuellen Interpretation der Sätze zu unterschiedlichen Auslegungen kommen. Die Nachfrage nach der Auslegung einer Frage könnte außerdem Hinweise auf die eigene Antwort geben. Je nach Thema kann dies mal mehr und mal weniger peinlich ausfallen.
Die Karten sind thematisch weit gefächert. Sie enthalten teilweise recht unspektakuläre Fragen wie "ob man schon einmal 50 Euro verspielt hat" oder "ob man selbst seine Wäsche wäscht", geht auch an ernstere Themen ran wie "Sind Soldaten Mörder?" oder "Sollten Verbrechen an Kindern härter bestraft werden?". Was natürlich nicht fehlen darf sind die Fragen, welche den intimen Bereich betreffen: "Wer würde mal gerne zu dritt ...", "Wer hat schon einmal mit einer Professionellen ...", "Wer trägt intimen Schmuck ...", "Wer hat schon einmal S/M-Spielchen betrieben ...", u.v.m.
Die Fragen machen neugierig auf das Umfrage-Ergebnis - und dieses wiederum sorgt nicht selten für erstaunte Blicke! Das führt zwangsläufig zu Diskussionen und Mutmaßungen unter den Spielern. Und genau das macht den Spielreiz von Privacy aus. So manches Mal wird man sich fragen, wer hier aus der Runde wohl mit JA geantwortet haben könnte und es vermutlich doch nie erfahren. :-)
Die Zielgruppe: Der Verlag empfiehlt, das Spiel nicht innerhalb der Familie zu spielen. Man kennt sich zu gut und wer will schon wirklich die dunklen Seiten der buckligen Verwandtschaft kennen? :-)
Eine wohltuende Mischung aus Freunden und guten Bekannten wäre vermutlich die Idealzusammensetzung, dazu noch 1 bis 2 weniger bekannte Personen, das ganze vom Alter her noch vernünftig gestreut, dann kann fast nichts mehr schief gehen und man kann mit Privacy gesellige Runden und viel Spaß erleben.
Spieler, die mit "der schönsten Sache der Welt" (nein, liebe Spieler, damit ist jetzt nicht Spielen gemeint!!) nichts anzufangen wissen, dürften ihre Probleme mit Privacy haben, denn es beschäftigt sich schon ein nicht unbeträchtlicher Teil der Fragen mit dieser Thematik. Wer Berührungsängste zu anderen Menschen hat, könnte ebenfalls seine Probleme damit haben, denn auch wenn man nie wirklich weiß, wer nun was geantwortet hat, so gibt es durchaus Situationen und Diskussionen, aus welchen man gewisse Rückschlüsse ziehen kann. Damit Privacy langfristig interessant bleibt und man sich den "Kick" bewaren kann, sollte man über einen größeren Freundeskreis verfügen, denn der Spaß bleibt auf Dauer nur erhalten, wenn die Zusammensetzung der Mitspieler abwechslungsreich ist und neugierig auf mehr macht.
Zusammenfassend: Privacy ist ein wirklich unterhaltsamer Zeitvertreib, bei dem "das Spiel" an sich nur eine Nebenrolle spielt. Das Ergründen der dunklen Seite seiner Mitspieler ist zentrales Thema - und all das ohne wirkliches Outing einzelner Personen. Ich habe mich köstlich dabei amüsiert, aber auch der Großteil der Mitspieler (u. a. auch Vielspieler!!) fühlten sich gut unterhalten.
In einer Zeit, in der sich Stars "Dschungelprüfungen" unterziehen und zu Ungeziefern gesellen, in der solche und ähnliche Sendungen für Rekordeinschaltquoten sorgen, trifft Privacy voll den Zeitgeist. Es packt den Menschen an seiner empfindlichsten Stelle - seiner Neugier - und diese ist ohne Zweifel bei jedem Menschen vorhanden - beim einen mehr, beim anderen weniger. Trotz teilweise heikler Themen ist Reinhard Staupe der schwierige Spagat zwischen zu seicht und zu heftig gut gelungen, womit er mit Privacy eine recht breite Spieler- und Nichtspielerschicht anspricht.
Rezension Frank Gartner
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
Regelvarianten
Verschiedene Möglichkeiten, das Spiel zu gestalten:
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In unserer Spielrunde hat es sich bewährt, eine der vier Fragen selbst aussuchen zu dürfen, denn nicht selten entdeckt man, dass eine andere Frage viel heikler und interessanter wäre, als die vorgegebene.
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Wer damit noch nicht genug hat, kann auch eine Runde ohne Karten spielen, d. h. die Mitspieler stellen die Fragen. Wohin das läuft, hängt von der jeweiligen Spielgruppe ab.
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Wer es noch ein Stückchen heißer möchte, kann sich überlegen, ein zusätzliches "Outing"-Risiko einzubauen (z. B muss sich in jeder Runde ein Spieler per Los öffentlich bekennen). Das kann womöglich einen zusätzlichen Kick bringen, birgt aber das Risiko der Misstimmung. Und genau das ist eigentlich nicht das Ziel von Privacy. Die Geschmäcker sind aber bekanntlich verschieden.