Rezension/Kritik - Online seit 25.09.2024. Dieser Artikel wurde 965 mal aufgerufen.
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Die Sonne dehnt sich aus und wird bald unsere Welt zerstören. Glücklicherweise haben wir bereits eine neue Welt entdeckt – nun müssen wir nur noch dorthin umziehen. Mit allem, was wir auf der Erde so haben: Menschen, Produktionsstätten – und nicht zu vergessen: Stadien für die Belustigung des Volkes. Wer dies je nach Spielmodus am schnellsten oder am punkteträchtigsten schafft, der hat gewonnen.
Der Spielplan zeigt unsere alte Welt, bestückt mit Produktionsstätten unterschiedlicher Art, sowie die neue Welt, die farbenfroh aus vielerlei Landschaftsarten besteht und nur darauf wartet, durch uns freundliche Menschen besiedelt zu werden.
Dazwischen schlängelt sich etwas, das wie die Flugroute zwischen beiden Welten aussieht – ist es aber nicht, es handelt sich dabei um die sogenannte Fortschrittsleiste.
Außen um den Plan herum sind dann noch Kaufbereiche für „Infrastrukturen“ (Aufgabenkarten), Raumschiffe (um Dinge von alt nach neu zu transportieren) und Stadien (für die Beglückung des Volkes).
Jeder Spieler erhält dazu noch ein Board, das die eigenen Ressourcen getrennt für die alte und neue Welt zeigt, diverse individuelle erforschbare Technologien sowie im unteren Bereich diverse Aktionsmöglichkeiten, die für alle Spieler gleich sind.
Hinzu kommen noch einige andere Kleinigkeiten im Besitz der Spieler oder auf den Plänen, deren Aufzählung ich an dieser Stelle und auch in der folgenden Beschreibung aber unterschlagen möchte. Das Spiel hat einiges an Regelfeinheiten, wobei ich mich aber auf die wesentlichen Mechanismen beschränken werde.
Gespielt werden nun 4 Jahre mit mehreren Phasen:
Zunächst erhalten wir Einkommen. Unsere Fabriken in der alten und neuen Welt produzieren Rohstoffe, und zwar streng getrennt: was hier ist, kann dort nicht sein. Außerdem verbrauchen die Bewohner beider Welten Nahrung, die hoffentlich ausreichend vorhanden ist, ansonsten gibt es Minuspunkte. Auch fordern sie im Spielverlauf eine steigende Anzahl an Stadien, die wie Nahrung ebenfalls ausreichend vorhanden sein müssen, sonst gibt es auch hier Minuspunkte.
Anschließend machen wir unsere Aktionen. Gespielt wird dabei in variabler Reihenfolge, abhängig davon, wie glücklich die eigene Bevölkerung ist.
Hierzu haben wir unten an unserem Board 10 Basisaktionen unterschiedlicher Art und Stärke. Führe ich eine Aktion aus, so lege ich im entsprechenden Bereich eine Aktionskarte ab und mache die gewünschte Aktion. Die Zahl der Aktionen ist jedoch faktisch begrenzt, denn Aktionen verbrauchen irgendwann Energie. Habe ich davon nichts mehr, dann hat es sich auch mit den Aktionen, was dazu führt, dass wir innerhalb einer Runde eventuell unterschiedlich oft dran sind.
Beispiele für Aktionen sind etwa der Kauf eines Raumschiffs (mit unterschiedlichen Transportkapazitäten und Energieverbräuchen), Erwerb und/oder Erfüllung einer Infrastruktur (die Vorteile geben, wenn ich auf der neuen Welt bestimmte Konstellationen erreicht habe), das Besiedeln der neuen Welt, das Erforschen von Technologien (die spielerindividuelle Vorteile bringen) usw..
Ein alternativer Spielmodus erlaubt es dabei, die Aktionskarten nicht nur als Anzeiger für gemachte Aktionen zu verwenden, sondern alternativ zur Aktion auf dem Board die Aktion(en) der Karte auszuführen, die z.B. Teile unterschiedlicher Boardaktionen kombinieren bzw. diese stärker oder schwächer auszuführen. Warum auch eine schwache Aktion Vorteile bringen kann, darauf gehe ich weiter unten ein.
Als nächstes folgt die Transportphase, in der man eventuell in der alten Welt bereit liegende Raumschiffe mit Rohstoffen, Stadien, Produktionsstätten etc. belädt und diese in die neue Welt schickt und gleichzeitig eventuell dort befindliche Raumschiffe zur alten Welt zurück fliegen lässt. Dies kostet auch Energie. Auch erfordert es ein gewisses Timing, denn durch den Abbau von Produktionsstätten in der alten und deren Umsiedlung in die neue Welt verlagert sich naturgemäß auch Art und Menge der hier wie dort produzierten Güter. Sehr ärgerlich, wenn dann an einer Stelle ein wenig Energie fehlt oder Nahrung oder ein anderer Mangel die eigenen Pläne torpediert.
Anschließend wird die Zugreihenfolge angepasst und die Spieler dürfen auf der Fortschrittsleiste voran gehen. Wie weit, das ergibt sich aus den zuvor gemachten Aktionen: Im Grunde kann man sagen, je schwächer die Aktionen waren, desto weiter darf ich auf der Leiste voran gehen. Dadurch schalte ich mir – etwas verkürzt gesagt - lukrativere Besiedlungsplätze in der neuen Welt frei.
Nun endet das Jahr, es gibt eine kleine Bonuswertung. Auch hierbei sind 2 Regeloptionen verfügbar und die Auslage wird für das nächste Jahr vorbereitet.
Das Spiel endet im Punktemodus nach 4 Jahren, im Rennmodus meist irgendwann während des vierten Jahres, falls es jemandem gelingt, auf der neuen Welt eine gewisse Mindestproduktion und 3 Stadien zu errichten.
Beginnen wir mit der Regel. Diese ist für ein Spiel dieser Komplexitätsstufe ganz gut, aber nicht sehr gut. So sind beispielsweise auf dem Beiblatt nicht alle Technologien erklärt. Insgesamt erledigt die Anleitung ihren Job aber recht gut.
Das Material ist zunächst mal: viel. Die Ikonografie ist meist gut. Das ein oder andere ist dabei zunächst erklärungsbedürftig, dann aber doch eingängig. Das Design ist zweckmäßig bis schön, abgesehen von den Produktionsstätten: Diese haben meist 2 farbige Kreise, die die produzierten Rohstoffe anzeigen, und wenn diese die gleiche Farbe haben wirken die Plättchen immer so, als würde man von einer PacMan-Figur angestarrt - und es kommt auch nicht von ungefähr, dass die Fabriken irgendwann bei uns durchweg nur noch als „Muffins“ bezeichnet wurden…
In der Beschreibung ist es schon an mehreren Stellen angeklungen: Evacuation wartet mit einer Vielzahl an Varianten bzw. Optionen auf. Dies betrifft neben dem Spielmodus an sich auch die Art, wie Aktionskarten gespielt werden, die Vergabe der Rundenende-Boni oder die optionale Hinzunahme von Zielkarten für das Spielende. Dies kann man als mannigfaltiges Angebot ansehen, das Spiel an seinen persönlichen Geschmack anzupassen. Ein bisschen wirkt es aber schon auch so, als hätten sich Autoren und Verlag nicht für eine Variante entscheiden können und daher einfach mal alles in die Schachtel gepackt, was ihnen so eingefallen ist.
Dabei funktionieren alle Varianten gleichermaßen gut, ändern aber dabei das Spielgefühl kaum. Am interessantesten spielte sich die Variante, bei der auch die auf den Aktionskarten angegebenen Aktionen zusätzlich zu den von den Spielerboards vorgegebenen Standardaktionen optional genutzt werden dürfen. Gleichzeitig hat man dadurch aber ungleich mehr Optionen, was bisweilen arg zu Lasten der Spieldauer und der Downtime ging.
Und wo wir gerade bei den Spielmodi waren: Auch ein Solomodus wird angeboten. Dieser simuliert einen Mitspieler recht gut, indem er beispielsweise Dinge aus dem Kaufbereich entfernt oder Baumöglichkeiten in der neuen Welt versperrt. Obwohl er funktioniert konnte er mich aber nicht überzeugen, denn man gewinnt oder verliert nicht etwa gegen den virtuellen Gegner, sondern man soll lediglich versuchen, möglichst viele Punkte zu erreichen. Eine Option, die ich bei Solospielen für recht unbefriedigend erachte.
Dass und wie der Solomodus einen Mitspieler simuliert, klingt fast so, als ob das Spiel recht interaktiv sein könnte. Dem ist leider nicht so. Es gibt zwar einige Stellen, an denen man sich in die Quere kommen kann (insbesondere auf der Fortschrittsleiste und punktuell beim Erwerb von Infrastrukturen und beim Bauen in der neuen Welt), aber so richtig interagieren wir nicht miteinander. Und wenn, dann ist die Interaktion eher zufällig, z.B. indem man ein Raumschiff kauft, weil man es braucht, und just auf dieses auch ein anderer Spieler spekuliert hätte. Oder weil man in der neuen Welt auf einem Platz baut, der eventuell aufgrund der vorhandenen Ressourcen der einzige ist, auf dem man überhaupt bauen kann - und gerade dadurch macht man einem Mitspieler das Erfüllen einer Infrastruktur schwerer.
Positiv formuliert: es ist weitestgehend ganz gut möglich, seinen eigenen Plan zu verfolgen und muss nur gelegentlich etwas flexibel sein.
Und: da der Einfluss der Mitspieler begrenzt ist, ist Evacuation auch bestens für Partien zu zweit geeignet – mehr Spieler verlängern eigentlich nur die Downtime, erhöhen aber nicht wirklich den Spielspaß.
Unabhängig von den eingangs erwähnten Varianten und der Spielerzahl hatte ich auch das Gefühl, dass sich die Partien irgendwie immer recht ähnlich anfühlten, was mich insgesamt zu einem nicht negativen, aber doch etwas durchwachsenem Fazit bringt.
Evacuation funktioniert gut und bietet Planern und auch kleineren Runden gute Unterhaltung. Es lässt in Grenzen unterschiedliche Strategien zu, war mir aber auf Dauer zu eintönig. Es fehlte irgendwie das Kribbeln, das Mitfiebern, ob ein Plan aufgeht, kurz gesagt: mir fehlte das Spannende, Mitreißende und auch die Variabilität im Spielablauf. Ich bin aber sicher, dass das Spiel auch seine Fans finden wird, denn wirkliche Schwächen hat es nicht. Ich werde aber nicht dazu gehören, denn für mich hat Evacuation nichts, was es aus der Masse der guten und soliden Spiele herausheben und zu einem besonderen Spiel machen würde.
Rezension Michael Andersch
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
H@LL9000 Wertung Evacuation: 4,0, 1 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
26.05.24 von Michael Andersch - Solide, ragt aber für mich nicht aus der Masse heraus - es fehlt irgendwie das "Besondere". Aufgrund der geringen Interaktion insbesondere gut für Partien zu zweit geeignet. |
Leserwertung Evacuation: 6.0, 1 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
02.07.24 von Meeplestilzchen - Da hat Vladimír Suchý wieder ein schönes Spiel kreiert. Wir evakuieren unseren Heimatplaneten als, sagen wir mal, konkurrierende Fraktionen. Wir legen die Produktion dort still und bauen sie auf unserer neuen Welt wieder auf, dabei müssen wir anfangs ein Gleichgewicht erhalten und dabei berücksichtigen, dass sich die Gewichtung mit dem steigenden Fortschritt verändert. Es sind viele strategische Entscheidungen zu treffen, die Züge können durch Technologien optimiert werden und wir haben einen gewissen Ernährungsdruck den ich mitunter schätze. Nun, sagen wir es ist eine Hassliebe. Was wir schließlich an Attraktionen, Raumschiffe und Industrien aufdecken - und im fortgeschrittenen Modul an Aktionskarten ziehen - ist natürlich Glückssache und dann hängt es auch davon ab, ob man es auch wirklich bekommt, aber das stört mich nicht wirklich. Es muss nicht immer alles von A - Z durchplanbar sein. Meiner Meinung nach ein gutes Expertenspiel, nicht überragend aber dennoch mehr als solide - eben gut. Was mir besonders gut gefällt, sind die einzelnen Module. Wir haben eine Einstiegsvariante die das Spiel gewissermaßen zu einem Gateway-Expertenspiel macht, die Komplexität lässt sich dabei durch einzelne Module schön nach oben skalieren wodurch es ein ordentlicher Hirnzwirbler wird. Deswegen bekommt es dennoch die volle Punktzahl beim Spielreiz, auch wenn ich eher zur 5 tendiere. |