Rezension/Kritik - Online seit 03.04.2022. Dieser Artikel wurde 2320 mal aufgerufen.
Direktlinks zu den Rezensionsblöcken |
|
|
Einhornrennen …
Bin ich voreingenommen oder ignorant, wenn ich vermute, dass dieses Thema und die Aufmachung des Spiels vor allem weibliche Mitspieler verzücken könnte? Vorzugsweise solche im Kindergarten- oder Teeniealter, aber eventuell auch reifere Semester? Wobei – für den Nachwuchs ist das Spiel mal gar nichts – „ab 14“ steht zumindest auf der Schachtel, wodurch die kindlich anmutende Schachtel plötzlich suggeriert „ich bin ein Spiel der etwas höheren Gewichtsklasse!“. Aber auch für Männer ist gesorgt, denn: Die Viecher rennen nicht nur um die Wette – nein, wir wetten auch noch drauf. Ist das „Männer-kompatibel“? Oder bediene ich hier ein weiteres Klischee? Sei’s drum - wer am Ende das meiste Geld – bzw. noch wichtiger: den meisten „Ruhm“ - hat, der gewinnt das Spiel. Also ein „Expertenspiel für alle“? Schauen wir es uns an …
Der Spielplan wird ausgebreitet und zeigt im Wesentlichen 4 Bereiche:
Rechts die Rennbahn, links unten den Aktionsbereich, wo wir vor den Rennen versuchen, auf die Ergebnisse Einfluss zu nehmen, darüber das „Wettbüro“, in dem wir Wetten abschließen können, und ganz oben der Bereich, der in den Rennen die Bewegungen der einzelnen Viecher steuert.
Jeder Spieler startet mit etwas Geld, einer Handvoll Zauberkarten und einem ihm zugeordneten Einhorn, was aber für den Spielverlauf tendenziell eher unerheblich ist, weil man auf alle Viecher wetten kann.
Alle Einhörner werden mit Gewinnquoten versehen, wobei das am schlechtesten einsortierte Einhorn im Rennen einen kleinen Boost erhält.
Gespielt werden 4 Rennen, und jedes Rennen besteht aus einer Planungsphase, einer Rennphase und der Ergebnisphase.
In der Planungsphase hat jeder Spieler 3 Aktionen, die er im Wesentlichen dazu verwenden kann, positive und negative Zauberkarten auf Einhörner zu spielen (die die jeweiligen Viecher im Rennverlauf mehr oder weniger stark bremsen oder beschleunigen), Platz- oder Siegwetten abzuschließen (womit man im Erfolgsfall an Geld und Ruhm kommen kann) und „Verträge“ zu erwerben, die einem im weiteren Spielverlauf die unterschiedlichsten Vorteile bringen. Nebenher kann man gelegentlich noch an etwas Geld kommen oder den Startspieler wechseln lassen.
Nun folgt die Rennphase – das Fiebern beginnt … Zunächst werden die zu den einzelnen Einhörnern gelegten Zauberkarten aufgedeckt und teilweise entfernt. Letzteres immer dann, wenn 2 Karten sich gegenseitig aufheben. Die restlichen Karten (und das können je Einhorn durchaus einige sein) entfalten nun während des Rennens ihre Wirkung.
Das Rennen läuft dabei so ab, dass so lange Bewegungskarten aufgedeckt werden, bis alle Einhörner im Ziel sind. Diese Karten geben für jede Gewinnquote an, wie viele Felder das oder die dieser Gewinnquote zugeordneten Einhörner laufen dürfen. Tendenziell laufen da die besser gesetzten Einhörner weiter (klar, sonst wäre ihre Siegerwartung ja nicht fundiert), aber garantiert ist das nicht – und nicht selten gewinnen auch Viecher aus der „zweiten Garde“. Zudem wird gewürfelt, und weitere maximal 2 Einhörner bestimmt, die ein Zusatzfeld laufen dürfen.
Sind alle Einhörner im Ziel und stehen die Platzierungen fest, dann folgt zum Abschluss des Rennens die Ergebnisphase.
Zunächst werden die Wetten ausgezahlt (so man denn mit seinem Tipp richtig lag).
Hat man auf Sieg gewettet und das entsprechende Einhorn hat tatsächlich gewonnen, so erhält man seinen Einsatz zwischen 2- und 7-fach zurück – je nach Wettquote. Dazu noch Ruhm – und um den geht es ja.
Hat man auf „Platz“ gewettet, d.h. darauf, dass das entsprechende Einhorn einen der ersten 3 Plätze belegt, dann erhält man seinen Einsatz unabhängig von der Wettquote des Einhorns doppelt zurück. Auch hier erhält man Ruhm – allerdings weniger als bei einer gewonnenen Siegwette.
Nun kommt ein Element, das ich bislang noch bei keinem anderen Spiel gesehen habe – und zwar, dass man seine Siegpunkte (Ruhm) nun quasi versteuern muss. Alle bisher gewonnenen Ruhmpunkte müssen 1:1 mit Geld bezahlt werden, was das Aufholen für hinten liegende Spieler vereinfachen soll (und zu einem gewissen Grad auch tut).
Anschließend werden die Gewinnquoten aller Einhörner für das nächste Rennen angepasst – und zwar in Abhängigkeit vom Ausgang des aktuellen Rennens. Hat nun ein anderes Einhorn als vorher die schlechteste Gewinnquote, so erhält dieses nun den kleinen „Boost“ für das folgende Rennen.
Sodann kann das nächste Rennen starten – wer nach 4 Rennen den meisten Ruhm hat, gewinnt. Es sei denn … er hätte noch Schulden. Denn auch das ist möglich: Jederzeit im Spiel kann ich Kredite aufnehmen, die ich aber kräftig verzinst vor dem Spielende zurückzahlen sollte. Denn: Wer noch Schulden hat, kann unabhängig von seinen Ruhmespunkten nicht gewinnen.
Selten habe ich ein Spiel gesehen, bei dem äußerer Eindruck (Titel, Thema, Farbgebung, Design) so etwas gänzlich anderes suggeriert haben, als das, was sich in der Packung befindet.
Nun darf man hier – trotz Altersangabe „ab 14“ - keinen strategischen Kracher oder ein Regelmonster erwarten. Aber dennoch kann ich mir gut vorstellen, dass die erste Wahrnehmung dieses Spieles eine gänzlich andere ist als die, die man nach dem Lesen der (sehr gut geschriebenen) Anleitung hat.
Dafür macht es das Spiel einem an anderer Stelle nicht leicht. So haben die Verträge und die Zauberkarten keine Symbole, dafür unnötig große Bilder und unnötig kleine Texte. Die Karten über den Tisch hinweg zu lesen scheint mir unmöglich.
Die Aufmachung des Spiels hat mich leider gar nicht abgeholt. Für Einhorn-Fans mag das thematisch und grafisch eine Augenweide sein. Ich fand sie einfach nur kitschig-grauslich. Das gilt auch für die gut gemeinten Einhorn-Figuren, die leider farbneutral sind, und in ihrer rundlichen Form mit zartrosa Färbung an fliegende Kochschinken gemahnen.
Ihre „richtige“ Farbe erhalten die Kochschinken durch unten am Standfuss aufgesteckte farbige Ringe. Leider hat jemand bei der Gestaltung des ansonsten richtig guten Inlays nicht mitgedacht – mit Farbring passen die Viecher nicht mehr in ihre zugedachten Ausformungen im Inlay. Nicht schlimm, aber dennoch irgendwie seltsam.
Aber – mal abgesehen von Form und Aufmachung: Wie spielt es sich denn nun? Verdient es den „Kennerstatus ab 14“?
Fest steht zumindest: Man kann jede Menge tun, um seine Chancen im Spiel zu verbessern. Variabler Wetteinsatz auf die Einhörner bei großem (Siegwette) oder kleinerem (Platzwette) Risiko, aber auch entsprechendem Ertrag. Man kann Einhörner per Zauber verbessern oder missliebige Viecher zu bremsen versuchen – beides in teilweise recht massiver Form. Man kann halbwegs begründet ableiten, was die anderen wohl tun und sich mit seinen Wetten dranzuhängen versuchen. Man kann ganz unabhängig von den Wetten mittels des Erwerbs von Verträgen Sondereigenschaften für sich nutzen.
Man kann ein Einhorn aber auch maximal boostern – und damit trotzdem nicht gewinnen. Weil die Bewegungskarten zwar tendenziell das Tier mit der besseren Siegquote etwas bevorzugen – aber es kommen pro Rennen bei weitem nicht alle Bewegungskarten ins Spiel, sodass es durchaus vorkommen kann, dass ein sehr schlecht vermutetes Tier ganz unerwartet nach vorne stürmt. Weil es auch solche Karten gibt. Oder dass ein Beschleunigungs- oder Bremszauber während des Rennens niemals wirkt, weil die Farbwürfel entgegen aller Wahrscheinlichkeit nicht so fallen, dass der Zauber aktiviert wird. Das ist dann Pech – und wer viel dafür getan hat, dass ein Tier gewinnt und auch noch dick drauf gewettet hat, der hat nun einiges an Geld und Aufwand in den Wind geschossen. Dumm gelaufen …
Viel Glück also – für meinen Geschmack zu viel Glück. Das Spiel gaukelt eine Planbarkeit vor, die definitiv nicht gegeben ist, und ist im Grunde ein ziemliches Zockerspiel. Wetten gehen auf – oder auch nicht.
Wer das mag – Zocken mit einem Schuss Wahrscheinlichkeitsbeeinflussung – der ist hier goldrichtig. In diesem Fall: klare Empfehlung für dieses Spiel, sofern man über das Thema hinwegsehen kann.
Hinwegsehen sollte man auch über gewisse redaktionelle Mängel. Beispiel: In der Planungsphase kann man Verträge erwerben, die während des ganzen Spiels Vorteile bringen (können). Ein vor dem ersten Rennen gesicherter Vertrag ist somit deutlich effizienter als ein vor dem letzten Rennen gesicherter. Dennoch sind die Kosten für den Erwerb der Verträge durchgehend gleich, weswegen dieses Element in der zweiten Spielhälfte kaum zum Tragen kommt. Hier hätte man beispielsweise absteigende Kosten ansetzen können.
Wahre Zockernaturen stört das natürlich nicht. Diesen kann ich das Spiel ans Herz legen, ebenso wie natürlich Einhorn-Fans. Und dank gut strukturierter und nicht wirklich komplizierter Regeln dürfen diese bei entsprechender Spielerfahrung sicherlich auch jünger als 14 Jahre sein.
Rezension Michael Andersch
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
H@LL9000 Wertung Unicorn Fever: 4,0, 2 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
20.01.22 von Michael Andersch - Für mich: Zu viel rosa - worüber ich hinwegsehen könnte, wenn vemrmeintliche Beeinflussbarkeit und Glück in angemessenem Verhältnis stehen würden. Dies ist leider nicht der Fall, deswegen trotz eigentlich flüssigem Spielablauf: Leider nicht mein Spiel. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
08.11.20 von Michael Kahrmann - Selten haben Aufmachung und Spiel so schlecht zueinander gepasst. Unicorn Fever ist kein süßes kleines Mädchen Spiel wie es die Aufmachung verheißt, sondern eher ein knallhartes Wett und Rennspiel, das ich schon eher im Kennerbereich ansiedeln würde. Ich wurde gut unterhalten und würde jederzeit wieder mitspielen. |
Es sind noch keine Leserbewertungen abgegeben worden.