Rezension/Kritik - Online seit 22.02.2009. Dieser Artikel wurde 7122 mal aufgerufen.
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Ruhe, bitte! Ich muss mich konzentrieren. Und genau aufpassen, was der Novize vor mir macht, um das von der Hohepriesterin vorgegebene Ritual zu vollziehen. Hat er jetzt die Nase im Spiel gehabt oder einen anderen Novizen berührt? Wo genau hat er nochmal das Artefakt her und wo legt er es auf dem Spielplan wieder ab? Fragen über Fragen, und vor allem: Bringt ihm dies viel gutes Karma? Oder hat er mitten im Ritual ein Tabu gebrochen und dadurch die Hohepriesterin erzürnt?
Das klingt alles zu religiös und sektirerisch? Liebe unwissende Noch-Nicht-Novizen, lasst mich Euch mehr erzählen über den heiligen Orden der kreativen Nachahmer!
Zunächst begeben sich zum Zwecke der Spi(el)ritualisierung alle Spieler zum heiligen Kreis, sprich dem auf dem Spielplan aufgezeichneten und in verschiedene Formen unterteilten Gemälde. Darin werden Holzstäbe, die so genannten Artefakte, zufällig verteilt. Je Spiel wird jeder Teilnehmer genau einmal die Rolle der Hohepriesterin einnehmen, während alle anderen in der Runde als Novizen agieren.
Die Hohepriesterin bekommt Schicksalskarten, leere Kartenstandfüsse, eine Grenzkarte, Holzmarker und weitere Karten, bestehend aus je zwei Aktions- und Artefaktkarten. Die Aktionskarten enthalten Beschreibungen wie z. B. "Wenn man nett zur Hohepriesterin ist" oder "Wenn man das Artefakt putzt". Die Artefaktkarten beschreiben dagegen die Lage der Artefakte auf dem Spielplan. So können hierüber beispielsweise Plus- oder Minuspunkte abhängig von der Anzahl der Artefakte im zentralen Kreis am Ende des Rituals gesammelt werden. Die Anzahl der Punkte ist auf den Karten vermerkt, bei anzahlsabhängigen Karten steht anstelle der Punktzahl ein Fragezeichen.
Von diesen Karten werden verdeckt zwei als Gebote und eine als Tabu bestimmt. Die erwählten Karten werden in Standfüße gesteckt und rechts und links von der Grenzkarte aufgestellt. Dann darf die Hohepriesterin noch die Artefakte auf dem Spielplan beliebig neu anordnen. Der erste Novize beginnt nun ein Ritual. Er nimmt genau ein beliebiges Artefakt vom Spielplan und legt es irgendwo wieder dort ab. Nur was er dazwischen anstellt, zählt zum Ritual und darf alles mögliche an Aktionen, Ansprachen, Gesten, Mimik und was einem noch so einfällt, beinhalten. Ziel ist es hierbei, etwas zu vollziehen, was durch eine Gebotskarte als Aktion vorgegeben wurde. Da der arme Novize davon allerdings keine Ahnung hat, bleibt es seiner Kreativität überlassen, Aktionen zu vollführen, die gefordert sind.
Die Hohepriesterin schaut aufmerksam zu und notiert auf einem eigens dem Spiel beigefügten Notizblock Punkte für das Erbringen gebotener Aktionen oder der Artefaktkonstellation zu Beginn oder am Ende des Rituals. Es werden auch die Minuspunkte aufgeschrieben, sollte das Tabu gebrochen worden sein. Nach dem Ritual werden die Punkte addiert und die Hohepriesterin verkündet visuell und verbal das Ergebnis.
Konnte der Novize in Summe Pluspunkte erzielen, bekommt er "gutes Karma" attestiert und die Punktzahl genannt. Außerdem werden die Holzmarker vor den den Novizen zugewandten Rückseiten der Gebotskarten platziert, die während des Rituals erfüllt wurden. Hat der Novize 0 oder gar Minuspunkte erzielt, wird dies als "kein Karma" bzw. "schlechtes Karma" übermittelt, wobei auch hier die Holzmarker anzeigen, ob überhaupt irgendetwas an Geboten oder Tabus vollzogen wurde. In diesen Fällen muss die Hohepriesterin auch eine der vier Schicksalskarten auf die Vorderseite drehen. Sie darf allerdings alle bereits offenen Schicksalskarten auf die Rückseite drehen, sobald ein Ritual mit gutem Karma beendet wurde. Wird die vierte Schicksalskarte umgedreht, ist die Hohepriesterin sofort abgewählt und alle Novizen erhalten zwanzig Punkte.
Die Häufigkeit der Ritualwiederholungen je Novize und Runde ist abhängig von der Spieleranzahl. Wurde die Hohepriesterin nicht bis zum Ende einer Spielrunde abgewählt, darf sie sich genauso viel Punkte aufschreiben, wie der beste Novize erzielen konnte. Nachdem jeder Spieler einmal das Amt der Hohepriesterin bekleidet hat, endet das Spiel. Die erzielten Punkte werden addiert und der Sieger hierüber ermittelt. Bei Punktegleichstand gibt es keinen Tiebreaker, sondern einen geteilten Sieg.
So ist das mit der Religion: In äußerst seltenen Fällen hat man als Einzelperson vielschichtige Meinungen dazu. Auch beim spielerischen Nähern des Themas spaltet sich die Gemeinde. Ein Teil der Novizen wird nicht darauf verzichten wollen, sich auch weiterhin als solche (und ab und zu als Hohepriesterin) zu betätigen, anderen wiederum geht der Glaube an das Gute im Spiel völlig ab.
Eine solide Materialverarbeitung, passende Optik und grundsätzlich gut geschriebene Spielregeln werden vom Verlag in angemessener Schachtelgröße gestellt. Die angegebene Spieldauer von 45 Minuten wird nur in der kleinstmöglichen Konstellation mit drei Spielern eingehalten. Mindestens eine gute Zeitstunde sollte eingeplant werden. Mit jedem zusätzlichen Teilnehmer steigt die Spieldauer ein wenig an, was bei Vollbesetzung bereits zu einer (nicht unvergnügten) zweistündigen Zusammenkunft führte. Es hat sich gezeigt, dass der Einstieg erheblich schneller und leichter gelingt, wenn ein Kundiger die Regularien verbal erläutert. Zudem kann hierdurch direkt Einfluss genommen werden auf die Bereitschaft und Lust, sich aktiv und kreativ am Spielverlauf zu beteiligen.
Besagte Lust ist es, welche die Spaltung der Spielergemüter bewirkt. Einigen liegt das Spielgefühl, sich erst nach und nach durch eigene Fantasie und entsprechende Ausdruckskraft dem Ziel des "perfekten Rituals" zu nähern. Andere wiederum können mit den nur sehr groben Strukturen der Spielaktionen nichts anfangen und fügen sich - wenn überhaupt - nur widerwillig ins Spielgeschehen. Sind dererlei Charaktere mehrheitlich in einer Spielrunde versammelt, kann dies dazu führen, dass nur noch das Spielziel verfolgt wird, die jeweilige Hohepriesterin mit der Macht der Schicksalskarten scheitern zu lassen und selbst eine stattliche Punktezahl zu erringen. Sind Gebote und Tabus ungünstig gewählt, ist es leicht, beim Ritual keine Punkte zu erzielen, in dem z. B. gänzlich auf Aktionen verzichtet wird und dadurch Spielreiz und -spaß vollständig zum Erliegen kommen.
Dieser kleine Makel im Mechanismus zwingt dazu, sich der Bereitschaft der Spieler im Vorfeld zu versichern, das Spielprinzip mitzutragen. Dies kann geschehen, indem eine entsprechend animierende Anmoderation während der Regelerläuterungen die Zuhörer lockt. Erfahrene Spielerunden, die das Gros der verfügbaren Karten bereits kennen, können noch einen Schritt kreativer werden und dem Spiel beigefügte Leerkarten sowohl im Aktions- als auch im Artefaktbereich mit eigenen Gebots-/Tabuvorgaben versehen. Ich empfehle an dieser Stelle ausdrücklich die Variante, jeder Hohepriesterin die Möglichkeit einzuräumen, statt ausschließlich zufallsbestimmt Karten zu ziehen, eine Blankokarte verwenden zu dürfen. Um diese mehrfach zu diesem Zweck zu gebrauchen, sollte Sie entweder mit Bleistift beschriftet werden oder die erdachte Aktion bzw. Artefaktkonstellation auf einem separaten Zettel notiert werden. Punktzahl nicht vergessen.
Wie ein Drittel der Autorenschaft persönlich versicherte, ist dieses Werk nicht mit der Absicht konzipiert worden, das Streben nach Spielgewinn über den eigentlichen Spaß zu stellen. Wem das Ersinnen einer optimierten Spielstrategie am Herzen liegt, dem sei vom Besuch dieser Kultstätte abgeraten. Wer gerne abseits von Kartenausspielen oder Pöppelverrücken durchaus selbstverantwortliche Aktivität im Spiel schätzt, wird hier bestens bedient. Reiht Euch also ein in die Schlange der angehenden Novizen (keine Kuttenpflicht).
Rezension André Beautemps
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
H@LL9000 Wertung Die 3 Gebote: 3,4, 7 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
07.02.09 von André Beautemps |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
08.11.08 von Tommy Braun - Soviel Aktivität am Tisch erlebt man selten. Es muß aber die richtige Runde sein - mit manchen geht es leider garnicht. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
10.11.08 von Michael Andersch - Die wertung ist nicht so zu verstehen, dass das Spiel handwerklich schlecht ist. Es ist nur lediglich überhaupt nichts für mich. Während ich die Grundidee prinzipiell ganz witzig finde hapert es m.M.n. an der Ausführung. Die zu erratenden Aktionen sind eigentlich nicht erratbar (zumindest nicht mit / von Neulingen, die die Karten noch nicht kennen), und so ist es ein wildes Stochern im Nebel. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
29.11.08 von Roland Winner |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
09.02.09 von Sandra Lemberger - Ich musste leider feststellen, dass ich für diese Art von Spiel absolt nicht geeignet bin. Meine Mitspieler hatten trotzdem Spaß daran. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
11.02.09 von Silke Hüsges |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
24.03.09 von Bernd Eisenstein - Originelles Spiel. Steht und fällt mit der Runde. Meins ist es nicht unbedingt |
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