Spielerei-Rezension
Erschienen in: Fairplay 84 (Juli bis September 2008)
Mit oder ohne Rand?
Diese Frage gilt nicht etwa der nächsten Pizza-Bestellung. Auf den Rand kann es auch bei Graffiti ankommen. Gemeint ist der Rand der Zaubertafel. Der was? Das ist so ein Ding, auf das man mit einem Plastikstift malen kann. Mit einem Ritschratsch ist wieder alles blitzeblank und das Bild wieder gelöscht. Alles frei für das nächste Gemälde. Ritschratsch, und schon geht es wieder von vorne los. Doch weshalb sollte man plötzlich all der kreativen Energie Ausdruck verleihen, die man sonst mühelos unter Kontrolle halten kann?
Bei einer Partie Graffiti steht das Spielprinzip auf der Schachtel. „Alle malen, einer rät“. Ganz einfach also. Ein Mitspieler schaut weg, geht aus dem Raum oder vertreibt sich anderweitig die Zeit. Die anderen malen einen per Karte vorgegebenen Begriff. Das kann „Überholspur“ sein oder „Taucheranzug“, „Katzenjammer“, „Sex-Shop“ – oder auch „Angela Merkel“. Nicht immer kommt die zündende Idee. Was macht Angela Merkel merkelant? Ein Meer an Deutschlandfahnen hilft vielleicht zur Assoziation Kanzlerin. Oder der verkniffene Mundausdruck, die Frisur? Welchen Einfall hat man bei „Gondel“? Da kann der Venezianer oder auch der Skifahrer durchkommen. Je mehr Maler mitspielen, desto mehr Ideen entstehen. Das Aufdecken der Zaubertafeln hält dann so manche Überraschung bereit.
Und wer Randerscheinungen mag, bezieht alle Elemente der Zaubertafel ein und pickt sich mit Pfeilen die neben der Zeichenfläche abgedruckten Symbole heraus. Das kann ungemein Zeit sparen. Verboten ist es jedenfalls nicht. Die Regeln sind schwammig gehalten – strittige Entscheidungen werden der Spielrunde überlassen. Sind Ziffern und Zeichen erlaubt? Strenge Spieler verzichten darauf! Ein „+“ zur Verknüpfung zweier Bilder als Teile eines zusammengesetzten Wortes hingegen sollte akzeptiert werden.
Freigestellt ist der Gruppe auch die Entscheidung für die Spieldauer. Volle Runden sollte man mindestens spielen, in denen jeder einmal Pause machen darf. Während eines Sanduhrdurchlaufs darf gezeichnet werden. Dieser Zeitraum kann erschreckend kurz erscheinen. Ausgefallene Kunstwerke entstehen dabei kaum. Die fertigen Gemälde werden schließlich verdeckt und gemischt. Das ist der Mal-Anteil. Nun zum Raten. Das Prinzip haben Sie bestimmt schon erkannt, denn der Pausierende darf nun aktiv werden. Seine Aufgabe ist es den Begriff herauszufinden. Zum Glück hat er insgesamt drei Versuche. Das ist hilfreich, wenn der „Jackpot“ auch als „Lottogewinn“ hätte interpretiert werden können. Bei Erfolg winken ein oder zwei Siegpunkte – je nach Anzahl der Fehlversuche.
Nachdem der Rater so lange untätig sein musste, warten gleich zwei weitere Aufgaben auf ihn. Eines der Kunstwerke muss er mit zwei Siegpunkten belohnen. Nach welchen Kriterien die Prämierung erfolgt, liegt im Auge des Betrachters. Welches war am schönsten, hat am besten beim Raten geholfen, ist vielleicht von der Freundin? Um Protesten vorzubeugen, sollte der Rater alle Gemälde gleichzeitig aufdecken. Denn vielleicht errät er den Begriff nach dem ersten Bild und prämiert es deswegen auch gleich. Sofort werden die anderen garantiert schimpfen, dass ihr Bild nicht früher betrachtet wurde. Contenance sollte der Prämierte bewahren. Denn noch ist ein weiterer Siegpunkt drin. Als finale Pflicht muss der Rater noch die Kunstwerke ihren Erschaffern zuordnen. Wer hat welches Bild gezeichnet? Richtige Zuordnungen bringen dem Ratenden Punkte, bei Fehlern freuen sich die Zeichner. Wer einen markanten Stil besitzt und ihn auslebt – oder den Jubel über den „Graffiti-Award“ fürs beste Kunstwerk nicht zurückhalten konnte – wird schnell erkannt und verschenkt einen Punkt.
Wirklich neu ist die Idee nicht. Was Graffiti unter ähnlichen Spielen hervorhebt, sind die Wahl des Materials und der Wertungsmechanismus. Niemand muss sich ob eines misslungenen Werkes grämen. Ritschratsch, gehört es der Vergangenheit an. Und da niemand erkannt werden will, setzt sich als Stilrichtung ohnehin der Minimalismus durch. Stunden über Stunden kann man Graffiti nicht spielen. Wenn sich eine Runde gut kennt, steigt die Trefferquote beim Zuordnen sonst zu rasant an. Eine gelegentliche Partie sorgt jedoch in den unterschiedlichsten Spielerunden für erstaunlichen und mitunter auch völlig unerwarteten Enthusiasmus.
Rezension Kathrin Nos
In Kooperation mit
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