Spielziel
Gregor Johann Mendel hätte seine wahre Freude an diesem Spiel: Von Generation zu Generation werden Eigenschaften von Eltern an Kinder weitergegeben. Lange Nasen, Segelohren und andere auffällige Extremitäten gewinnen sichtbar die Oberhand, wenn es die Karten so wollen…
Ablauf
Eine Familie zu gründen ist der Traum vieler. Hier darf diesem Traum üppig gefrönt werden, auch wenn nicht aus jeder Ehe ein echter „Müller“, „Steinberger“ oder „Laufermann“ hervorgeht. Doch an den langen Nasen, zentimeterdicken Brillengläsern oder der feuerroten Lockenmähne ist die Abstammung deutlich abzulesen. Welches der fünf möglichen Merkmale ein Spieler im Stammbaum etabliert sehen will, entscheidet sich zu Spielbeginn durch verdecktes Ziehen eines Merkmalplättchens, das es bis zum Spielende möglichst effizient zu verheimlichen gilt.
Drei Elternteile liegen in der „Ersten Generation“ zu Beginn aus, jede von ihnen vereint drei der fünf möglichen Eigenschaftssymbole auf sich, wobei ein Symbol mehrfach auftreten kann (also im Extremfall 3mal lange Nase, und sonst nichts).
Jeder Spieler hat in seinem Spielzug die Möglichkeit, Karten für Familienmitglieder auszulegen. Er kann eine(n) ausliegende Frau/Mann mit dem Gegenstück verheiraten (Ehe schließen), oder einen Nachkommen zeugen. Letzterer begründet eine neue Generation. Völlig frei ist ein Spieler bei der Wahl der Nachkommenschaft jedoch nicht: Die drei Merkmalsymbole des Sohnes oder Töchterchens müssen sich aus den sechs Symbolen eines beliebigen Elternpaares der Vorgängergeneration kombinieren lassen. Wer nach dieser Regel weder Nachkommen zeugen kann, noch freie Ehepartner für die eigenen Handkarten findet, muss passen und eine Karte nachziehen. Es darf auch freiwillig gepasst und nachgezogen werden.
Punkte gibt es für jeden neuen Nachkommen, von der zweiten bis zur fünften (und letzten) Generation. Die Generationszahl entspricht dabei stets der Punktezahl pro abgebildetem Kartensymbol, die per farbigem Holzmarker sofort auf der Punkteskala gutgeschrieben wird. Eine Karte mit 2 Nasen und 1 Ohr ergibt in der dritten Generation also 2*3 = 6 Punkte für „Nase“, und 1*3 = 3 Punkte für „Ohr“. Pikantes Detail: Die Nachkommen bilden gleichzeitig die kommende Elterngeneration - bestimmte Grundanlagen können sich also kettenhaft weitervererben. Mit dem Auffüllen der fünften Generation, die sich schrittweise auf sieben Familienmitglieder vergrößert hat, endet das Spiel. Der Spieler, dessen (erst jetzt offenbartes) Merkmalplättchen zum führenden Zählstein gehört, gewinnt – vorausgesetzt, seine übrig gebliebenen Handkarten werfen ihn nicht zurück. Diese verbuchen nämlich exponentiell zur Anzahl steigende Minuspunkte.
Fazit
Der erste Blick auf das Spielmaterial in der kleinen Spielschachtel lässt den Hobbygenealogen die Nase rümpfen. Gemeint sind weder die eigenwilligen Karten, deren entstellte Konterfeis Mann und Frau oft nur mit Hilfe des blauen oder roten Vorhangs im Hintergrund unterscheiden lassen, noch der Fauxpas mit dem blauen Holzzählstein, der farblich nicht zur ihm zugedachten Eigenschaft „Segelohr“ (violett) passt. Gemeint ist die Zählleiste, deren Punkteabschnitte sich als reichlich eng für die runden Zählsteine entpuppen. Fast noch schlimmer: Sie ist auch noch viel zu kurz! Warum keinen zweispaltigen Hin- und Rückweg auf doppelte Punktzahl, und dazu passende, weniger kipp- und rollintensive Holzwürfel als Punktemarker? Das einfache, mit treffenden Beispielen untermalte Regelwerk leistet sich hingegen keine Aussetzer.
Der Spielablauf enthüllt eine verblüffende Lernkurve. Gerät die erste Partie noch zur unkoordinierten Kartenlegerei, werden bereits ab der zweiten Partie taktische Kniffe sichtbar. Karten mit (vermuteten) Fremdeigenschaften werden punktelos in den Hafen der Ehe chauffiert, während bei den Zöglingen die gewünschten Merkmale untergebracht werden. Wichtig ist aber eine gute Balance: Wer nicht frühzeitig für die nötigen Grundanlagen in der Elterngeneration sorgt, kann die gewünschten Merkmale später kaum kombinieren & etablieren. Es gilt also, Kartenhand und Auslage in einen konstruktiven Einklang zu bringen: Die Auslage sollte im Optimalfall Steilvorlagen auf weitere Handkarten mit dem eigenen Merkmal bilden, oder das Merkmal so dominant auftreten lassen, dass bei Mitspielerkarten zwangsläufig Punkte abfallen. Eine Art Kettenreaktion also, denn die Kinder von heute sind die Eltern von morgen. Übertreiben sollte man es aber nicht – denn wird das eigene Merkmal zu offensichtlich gepusht, werden die Mitspieler es in der Nachkommenschaft verstärkt meiden.
Doch wie etabliert man gezielt ein Merkmal, wenn man keine entsprechenden Handkarten erhält? Hier offenbart sich das Basisproblem des Spiels: Es verbindet zwar geschickt Kartenzwänge, Taktik und Bluff, und bleibt durch wachsende Punkteausbeute bis zum Schluss spannend – wer aber keine Karten für seine „Segelohren“ bekommt, sieht das Merkmal wehrlos aus dem Stammbaum entschwinden, und kann sich nur von den Brotkrumen ernähren, die von den Karten der Mitspielern abfallen. Das ist zum Aufgeben zu viel, zum Gewinnen aber viel zu wenig, und damit ziemlich frustrierend.
Eine simple Variante (s.u.) begrenzt dieses Problem (das bei vier Mitspielern regelmäßig ein Opfer findet) so effizient, dass ich mich frage, warum diese nicht die Grundregel des Spiels wurde. Verwendet man sie, ist Familienbande ein kurzweiliges, spannendes Kartenkombinationsspiel mit nicht zu unterschätzendem Blufffaktor. Ohne die Variante ist Familienbande das selbe, mit bedenklich hohem Glückskoeffizienten und mindestens einem Teilnehmer pro Viererrunde, der nach kürzester Zeit lieber etwas anderes spielen will - in seinem Fall verständlich, um´s Spiel aber schade.
Rezension Steffen Stroh
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
Regelvarianten
Offener Nachziehstapel: Es werden stets zwei Karten als offener Nachziehbereich bereitgelegt. Ein Spieler kann sich beim Nachziehen entscheiden, entweder eine der offenen Karten zu nehmen, oder vom verdeckten Stapel zu ziehen.
Doppeltes Nachziehen: Wenn ein Spieler passt, kann er eine Karte abwerfen und dafür 2 Karten nachziehen.