Rezension/Kritik - Online seit 17.02.2006. Dieser Artikel wurde 6377 mal aufgerufen.
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„Ich biete einen Zwilling!“
„Ich einen Drilling…“
„Ich ein Full House!“
Ein staubiger Saloon irgendwo im wilden Westen. In einem Hinterzimmer haben sich ein paar Outlaws versammelt, dem Wirt eine Pistole und ein paar Scheine unter die Nase gehalten und pokern nun, was da Zeug hält.
„Ich ein Big House!“
Big House??? Oha, schwerer Ausnahmefehler im Segment „Spielziel“ – ein Big House existiert beim Pokern nämlich nicht...! Ganz im Gegensatz zu „Havoc- The Hundred Years War“. Bei diesem Spiel handelt es sich zwar auch um eine Pokervariante, allerdings werden hier 9 Schlachten des hundertjährigen Krieges nachgestellt. Ziel ist es, in Summe aus allen Schlachten die meisten Siegpunkte zu erringen.
Das Spielmaterial besteht im wesentlichen aus Kampfkarten in 6 Farben mit Werten von 1 bis 18, sowie aus 9 Schlachtenkarten. Letztere werden historisch korrekt nach Jahreszahlen sortiert nebeneinander ausgelegt. Man kann allerdings auch der Geschichte ans Knie treten und im Sinne einer größeren Variabilität des Spielablaufs die Karten in beliebiger Reihenfolge anordnen.
Auf den Schlachtenkarten ist abzulesen, wie viele Punkte der Sieger der entsprechenden Schlacht erhält, und ob weitere an der Schlacht beteiligte Spieler ebenfalls noch Punkte bekommen bzw. wie die Belohnung für die Zweit- und Drittplazierten einer Schlacht ausfällt.
Abhängig von der Spielerzahl werden ggf. einige Kampfkartenwerte komplett aus dem Spiel genommen, anschließend erhält jeder Spieler 7 Handkarten und einen „Kriegshund“. Letztere sind eine Art Joker: Sie haben zwar den festen Wert „0“, könne aber eine beliebige Farbe annehmen. Alternativ kann man mit diesen Karten (von denen auch noch ein paar weitere im Nachziehstapel „lauern“) noch zwei verschiedene Sonderaktionen ausführen, aber dazu später. Die restlichen Kampfkarten werden als verdeckter Nachziehstapel bereit gelegt, von dem allerdings schon ein paar Karten offen ausgelegt werden.
Nun kann das Spiel beginnen, und was man zu tun hat ist relativ einfach: Man verbessert entweder seine Kartenhand (indem man zwei Karten aus der offenen Auslage oder vom Nachziehstapel zieht und anschließend eine Handkarte in die offene Auslage zurück legt) oder man erklärt einen Krieg. Dieser muss sich jetzt allerdings noch ein wenig gedulden, denn ich muss noch kurz zwei Details zum Verstärken der Kartenhand los werden: Zum einen kann man hier ergänzend ein paar „Kriegshunde“ loshetzen – gibt man einen ab, so darf man eine zusätzliche Karte ziehen. Gibt man zwei ab, darf man den kompletten Ablagestapel durchsehen und sich eine beliebige Karte daraus nehmen.
Zum anderen gibt es einen Startspieler, dieser wird als „Peacekeeper“ tituliert. Sollte das Spiel einige Runden laufen, ohne dass jemand einen Krieg erklärt, dann hat der Peacekeeper seine Aufgabe erfüllt und alle Mitspieler müssen zur Strafe eine beliebige Kampfkarte abwerfen. Außerdem fällt die nächste anstehende Schlacht flach – kein Wunder, es ist ja Frieden.
Dies ist aber wohl selten der Fall (in meinen Partien beispielsweise kam das nie vor), und so schreiten wir nun zum Salz in der hundertjährigen Suppe: Dem Ausrufen eines Krieges.
Wer dies tut, der legt zwei seiner Handkarten ab und startet das Pokerspiel. Alle anderen Spieler können nun reihum ebenfalls Karten ablegen, wobei die abgelegten Karten wie beim Poker gewertet werden: Da gibt es Zwillinge, Drillinge, Vierlinge, Strassen, Full Houses, etc. - aber beispielsweise auch das oben erwähnte „Big House“ (ein Zwilling und ein Vierling), denn es ist erlaubt, bis zu sechs Karten auszulegen. Dies muss nicht in einem Zug erfolgen, sondern geht über mehrere Runden, in denen man seine Auslage verbessern kann: Langt der Zwilling nicht, dann sattelt man halt noch einen drauf (so man kann…), und wenn das immer noch zu wenig ist, dann hat man eben Pech gehabt oder legt abermals nach.
Irgendwann haben dann alle Spieler gepasst bzw. ihr Maximum von 6 in der Auslage erlaubten Karten erreicht. Dann wird nach Pokermanier gewertet, wobei allerdings die vergebenen Punkte von Schlacht zu Schlacht variieren und auch die zweit- und drittplazierten Spieler möglicherweise noch etwas abräumen können.
Sollte man seine Auslage noch mit ein paar Kriegshunden garniert haben, so kann man nun noch die beiden oben genannten Sonderaktionen ausführen, wobei man auch aus den Auslagen der Mitspieler Karten nehmen darf.
Der Sieger der Schlacht wird nun neuer „Peacekeeper“, und die Spieler erhalten zusätzliche Handkarten. Im großen Gegensatz zum Pokerspiel steht allerdings die Tatsache, dass alle Spieler ihre nicht in der Schlacht verwendeten Karten behalten dürfen. So kann man in einigen Schlachten abstinent bleiben oder nur in homöopathischen Dosen kriegerisch aktiv sein, und dadurch eine massive Kartenhand für die späteren, lukrativeren Schlachten aufbauen.
Auf diese Art werden neun Schlachten ausgetragen – wer dann die meisten Siegpunkte besitzt hat gewonnen.
Das Spielmaterial befindet sich in einer nahezu luftfreien Schachtel und ist von guter Qualität. Als Kritikpunkt möchte ich jedoch anmerken, dass alle Kartenwerte nur in der linken oberen und rechten unteren Ecke aufgedruckt sind. Spieler, die die Karten so auffächern, dass sie die rechten oberen Ecken betrachten haben leider Pech gehabt – sie spielen entweder im Blindflug oder müssen sich leider umstellen – eine völlig unnötige Unschönheit, wie ich meine.
Die Grafik ist wie immer Geschmackssache. Bei Havoc handelt es sich bei Schachtel und Kartengrafiken um Bilder in mittelalterlichem Stil. Zum Thema passt das hervorragend, zu meinem persönlichen Geschmack leider weniger.
Überhaupt: das Thema „hundertjähriger Krieg“ – ich habe selten ein Spiel gespielt, bei dem das Thema so wenig zum Spielmechanismus passte wie in diesem Fall. Es ist und bleibt halt eine Pokervariante, da ändern alle Kriegshunde und mittelalterlichen Zeichnungen nichts.
Als Pokervariante dagegen ist das Spiel recht brauchbar, wobei der wesentliche Unterschied der ist, dass man seine Kartenhand über mehrere Runden aufbauen kann und sie nicht am Ende einer Schlacht komplett abgeben muss. Dies erlaubt es zu taktieren: Lieber permanent punkten, aber nie den großen Coup landen? Oder sparen, am Anfang von Wasser und Brot leben, aber in der Endphase fett absahnen? Wann nutze ich meine Karten? Verwende ich eine noch gut ausbaufähige Kartenkombination, oder warte ich lieber noch, ob die eine oder die zwei zur „Super-Kombi“ benötigten Karten noch zu mir kommen? Diese Punkte sind es, die dem Spiel ein wenig Pfeffer geben.
Andere Elemente dagegen tragen kaum zum Spielspass bei und sind einigermaßen überflüssig. Da ist zum einen der „Peacekeeper“, der gar nicht beeinflussen kann, in welchem Maße er den Peace keept oder auch nicht. Wenn die anderen Spieler lange sammeln und sich nicht trauen, einen Krieg zu starten, dann profitiert er. Dies wiederum führt dazu, dass es die übrigen Spieler garantiert nicht so weit kommen lassen, auch aus zwei weiteren Gründen:
Überflüssig ist auch „John of Gaunt“. Dabei handelt es sich um eine Mini-Erweiterung, welche man zumindest in Essen 2005 kostenlos zum Spiel dazu erhielt. Taucht diese Karte auf, so wird sofort ein Krieg ausgerufen. Zudem hat der gute John eine fest vorgegebene Kartenauslage, kann also ggf. bei der nun folgenden Schlacht besser sein als die teilnehmenden Spieler und diese somit Punkte kosten.
Geradezu eine Katastrophe ist die Spielregel – genauer gesagt die deutsche Übersetzung. Diese wimmelt nicht nur von Fehlern sprachlicher und grammatikalischer Art, sondern ist auf eine Art verfasst, die das Begreifen des Spiels nicht gerade vereinfacht. In einigen Punkten ist sie zudem ungenauer als die englische Originalregel bzw. sogar fehlerhaft. Glücklicherweise liegt die englische Regel dem Spiel bei – zumindest des Englischen mächtige Spieler können sich dort die nötige Klarheit verschaffen.
All die genannten Punkte machen „Havoc“ nicht etwa zu einem schlechten Spiel. Es funktioniert gut und ist stellenweise sogar spannend. Andererseits ist die „gefühlte Spieldauer“ für das Gebotene zu lang, und das Spiel selbst verschwindet in der Masse von Spielen, in denen man auf irgendeine Art und Weise Karten sammeln muss, um in Zwischenwertungen gut und am Spielende sehr gut abzuschneiden. In Tateinheit mit der teilweise schlechten Übersicht - 6 Kartenfarben mit Werten von 1 bis 18 lassen in voller Besetzung und bei gut gefüllter Kartenhand die Übersicht schneller dahin schmelzen als einen Schneehaufen im Frühling - kann ich vor diesem Hintergrund leider keine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen.
Rezension Michael Andersch
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
H@LL9000 Wertung HAVOC: The Hundred Years War: 4,3, 12 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
06.01.06 von Michael Andersch |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
17.11.05 von Kathrin Nos - Eine der Überraschungen der Essener Messe 2005 für mich. Nur durch den Hinweis eines Mitspielers wurden wir auf dieses Spiel aufmerksam gemacht: Zum Glück! |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
24.11.05 von Peter Nos |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
29.11.05 von Uta Weinkauf |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
06.12.05 von Bernd Eisenstein - Tolle Überraschung. Total aufgesetztes Thema (braucht ein Kartenspiel mit Werten und Farben ein Thema?) aber sehr spannend bis zum Ende. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
09.01.06 von Michael te Uhle |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
12.01.06 von Nicole Biedinger |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
14.01.06 von Jochen Traub |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
12.02.06 von Jörn Griesbach |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
17.02.06 von Frank Gartner |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
20.02.06 von Michael Schlepphorst - Auch ich muss sagen das die deutschen Regeln alles andere als gut sind. Daher habe ich auch eine eigene Übersetzung angefertigt. Die Kritik an dem Peacekeeper kann ich allerdings auch nicht nachvollziehen. Er sorgt lediglich dafür, dass nicht zu lange Karten gehortet werden ohne das eine Schlacht begonnen wird. Insgesamt eine sehr gute Poker-Variante für die ich nur leider zu selten Mitspieler finde ;-) |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
27.04.07 von Roland Winner - Die deutsche Regel ist voller Fehler, ein echtes Ärgernis. |
Leserwertung HAVOC: The Hundred Years War: 4.7, 6 Bewertung(en)
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
18.02.06 von Sarah Kestering |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
18.02.06 von Humphrey Clerx |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
18.02.06 von Günter Cornett - Wenn man nicht die passende Spielerzahl für Tichu hat, ist Havoc immer eine gute Wahl. Mir gefällt zudem die thematische Einbindung, auch wenn ein anderes Thema genauso gut wäre. Dass man ein wenig über den 100jährigen Krieg erfährt, ist eher gut als schlecht. Der Peacekeeper hat eine rein spieltechnische Funtion: der Friede soll nicht zu lange dauern. Was soll daran schlecht sein? Die dt.Regel hat leider Macken, aber das ist für mich kein so gravierender Punkt. |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
19.02.06 von Simone |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
20.02.06 von Stefan Meißner |
Aufmachung | Spielbarkeit | Interaktion | Einfluss | Spielreiz | Kommentar |
21.02.06 von Daniel Ott |