Spielziel
Akten türmen sich, der Kaffeekonsum der Beamten und Angestellten in den Ämtern steigt in schwindelerregende Höhen. Denn kaum sind die gelieferten Aktenberg auf überschaubare Höhe gesunken, knallt der Bote den nächsten Stapel auf den Tisch. Also Bleistift gespitzt, eine Traubenzuckertablette eingeworfen und weitergeschuftet – immer streng nach Dienstweg. Nun ja, fast immer. Ein Griff zum Telefon oder ein „Eilt“-Etikett helfen der ein oder anderen Akte, schneller zu selbigen gelegt werden zu können. Auf zu geduldige Papiere hingegen wartet niemand, nur der Reißwolf...
Ablauf
Bis zu vier Ämter ringen verzweifelt mit ihren Aktenbergen. In jedem sitzt ein gestresster Beamter, Entschuldigung: Mitspieler, und versucht dem Wust an Papieren Herr zu werden – möglichst schnell und möglichst aufwandsarm. Den Schreibtisch jedes Spielers zieren zwei Ordner: „Eingang“ und „Ausgang“. In ersterem warten zu Beginn 7 Akten aus allen vier Ämtern. Auf den Akten der jeweiligen Ämter finden sich zwei entscheidende Vermerke: Ein Buchstabe (A-G), und 2-3 Ämtersymbole, die angeben, von welchen Behörden (und in welcher Reihenfolge) die Akten abgezeichnet werden müssen.
Jeder Aktenfresser, ich meine natürlich Spieler, hat nun die Qual der Wahl, pro Arbeitsgang aus 3 Aktionspunkten Kombinationen der drei folgenden Handlungsmöglichkeiten zusammenzustellen:
1.) Oberste Akte im Ordner „Eingang“ bearbeiten und in den Ordner „Ausgang“ verfrachten (Symbol des Amtes mit Büroklammer markieren)
2.) Alternativ einen Mitspieler anweisen, die oberste Akte seines Eingangs zu bearbeiten
3.) Eine Sonderkarte spielen
Die ersten beiden Aktionen kosten je einen Aktionspunkt, die nur einmalig verwendbaren Sonderkarten verschlingen deren zwei. An Sonderkarten stehen zur Verfügung:
- Einen Kollegen per Telefon zur Bearbeitung einer frei gewählten Akte auffordern
- Für „Durchzug“ sorgen, und damit die Reihenfolge eines Eingangsordners neu festlegen
- Per Sonderboten eine Akte sofort an den nächsten zuständigen Sachbearbeiter weiterreichen
- Eine „Rücksprache“ anberaumen, und damit eine bereits bearbeitete Aktie wieder in den Eingang des betreffenden Amtes zurückwandern lassen.
Wer nicht alle Aktionspunkte verwenden will, kann für übriggebliebene seinen „Bleistift spitzen“. Zweimaliges Spitzen kann zu Rundenbeginn gegen eine Traubenzuckertablette eingetauscht werden. Betreffender Traubenzucker wirkt bei Einnahme sehr belebend: Der „gedopte“ Beamte werkelt in dieser Runde gleich für einen Aktionspunkt mehr.
Haben alle Spiele ihre Aktionen ausgeführt, sammelt der Startspieler der aktuellen Runde die Akten aus dem „Ausgang“ ein – seine eigenen zuerst, die anderen Stapel packt er (so wie sie im Ausgang liegen) nach Spielreihenfolge im Botenwagen oben drauf. Nun liegt konsequenterweise oben, was zuletzt in den Botenwagen platziert wurde. Den Boten schert das wenig: Was oben liegt, wird ZUERST zugestellt. Die noch nicht fertigbearbeiteten Akten an das Amt, dessen Symbol als nächstes angegeben ist, bei abgearbeiteten Akten (Büroklammer über jedem Symbol) ab damit in die erstbeste freie Endablage.
An Endablagen gibt es insgesamt sechs, die Kapazität schwankt zwischen 2 und 4 Akten. Ist eine Ablage voll, kommt es sofort zur Zwischenwertung. Das Amt, dessen Akte vollendet in der Ablage schlummert bekommt Punkte nach angegebener Tabelle: Akten mit den Buchstaben A-C geben in den frühen Ablagen (1-3) üppig Punkte, E-G sind eher bei späterer Endabfertigung lukrativ.
Ist die Endablage bis Register 6 voll, oder erreicht ein Spieler 35 Punkte, endet das Spiel. Zur Ermittlung des Endstandes wandern unbearbeitete Akten noch in den Reißwolf, jede vernichtete Akte kostet das betreffende Amt einen Siegpunkt.
Fazit
Der Behördenalltag – stressig, sperrig, nervtötend für Beamte und Antragstelle gleichermaßen. Ist es möglich, aus dem Papierkrieg Marke „knicken, lochen, abheften“ ein unterhaltsames Spiel zu machen? Es ist möglich. Ad acta nimmt ironisch den Kampf mit der papiergetränkten Bürokratie auf die Schippe, indem es in gelungener Weise „simuliert“, wie Akten mal ganz regulär, mal unter der Hand ihre Wege von einer Behörde zur andern suchen. Vieles bleibt liegen, anderes wird verblüffend schnell durch die Hände der Sachbearbeiter geschleust.
Die thematische Umsetzung ist also prima getroffen. Mit dem Spielmaterial gestaltet sich die Situation anders. Dabei ist „ad acta“ für ein Kleinverlagsspiel recht schön gestaltet und üppig ausgestattet: Spielübersichten für jeden Spieler, ein echter Stempel als Startspielermarker, ein extra Beispielblatt, dünne, aber ansehnliche Ämterablagen. Es hapert eher an der Funktionalität: Auf den Schreibtischen der Spieler ist sehr wenig Platz, ebenso im Botenwagen. Viel schlimmer jedoch die ständige Verwendung von Büroklammern als Markierungen: Schon nach 2-3 Partien sind die Spielkarten deutlich gezeichnet, wer Grobmotoriker in seiner Runde wähnt sollte tunlichst um schonende Behandlung flehen. Doch selbst dann sehen die Karten durch Klammern und die notwendige Fummelei schnell abgenutzt aus. Zur Ehrenrettung von BeWitched sei gesagt: Mir fiele spontan auch keine bezahlbare Alternativlösung ein. Nichts gekostet hätte eine etwas professionellere Gestaltung der (manchmal etwas bemüht humorvollen) Regel: Auch ein Kleinverlag kann hier im Sinne besserer Übersicht Grundsätze des Textsatzes (Absätze, Schriftwahl, korrekte Einzüge bei Aufzählungen) einhalten.
Das Spiel selbst fordert durch alltagsnahe Thematik (sollte ich „Problematik“ schreiben?) geradezu zu Lachern und Anekdoten auf. Eine Spielerunde mit Finanz- oder ähnlichen Beamten hat einen Heidenspaß damit, den/die real Betroffenen mit Anspielungen und Witzeleien zu piesacken. Das täuscht dann manchmal etwas darüber hinweg, dass sich das Spiel selbst recht stromlinienförmig gestaltet: Liegen irgendwo Akten meines Amtes oben, lasse ich sie meist umgehend bearbeiten. Von enormer Bedeutung ist die Reihenfolge der Akten in den Ein- und Ausgängen, und die daraus resultierende Reihenfolge im Botenwagen. Theoretisch kann ein Spieler anhand der wahrscheinlichsten Züge der Mitspieler durchrechen, was genau er zur optimalen Punktausbeute tun sollte. Solche Grübelei zieht Spiel und Wartezeiten sofort erheblich in die Länge. Mehr Spaß macht ad acta, wenn es halbwegs spontan gespielt wird.
Dafür, dass die Grübelei selbst bei extremem Rechenaufwand nicht allentscheidend einwirken kann, sorgt die Anfangsverteilung der 7 Akten pro Amt: Hat hier ein Spieler das Pech, dass seine Akten gleich reihenweise am unteren Ende mehrerer Stapel landen, hat er bei einigermaßen versierten Mitspielern fast keine reelle Siegchance. Im Umkehrschluss kann ein Spieler, der gleich mehrere seiner Akten mit den Buchstaben A-C zu Spielbeginn am oberen Ende der „Eingangs“-Stapel wiederfindet, frühzeitig tüchtig punkten – und damit nicht selten einen zweistelligen Punktevorsprung herausholen, der sich im weiteren, weitaus kontrollierbareren Spielverlauf oft nur schwer aufholen lässt. Für etwas mehr Wirbel im Aktendschungel sorgen neutrale Sonderaktionskarten, die als „Profi-Variante“ dem Spiel beiliegen. Ob das gefällt ist Geschmackssache.
Andrea Meyer hat mit „ad acta“ eine süffisante und unterhaltsame Spielumsetzung des Behördenalltags geschaffen. Insbesondere Spielerunden, die eine Affinität zum Thema aufweisen, werden für etliche Runden jede Menge Spaß haben, wenn auch nicht ausschließlich durch das Spiel bedingt. Der Spielmechanismus alleine ist originell, aber nicht übermäßig variabel. Und wenn die „dummen Sprüche“ bei der vierten oder fünften Partie dann langweilig werden, zeigt meistens auch das Spiel selbst erste Ermüdungserscheinungen – in Sachen Motivation und Material. Aber es wäre ja fast ein Stilbruch, bei diesem Namen nicht irgendwann selbst „zu den Akten“ zu wandern...
Rezension Steffen Stroh
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.