Spielerei-Rezension
Spielerei-Kritik Frühling 2012:
Die dies-, nein, letztjährige Neuheit der Schottenbrüder Lamont, also von der Spiel ’11, sieht mal wieder wie ein Kinderspiel aus – dank der hübschen und witzigen Spielfiguren (Seestern, Muschel, Oktopus usw.) aus hochwertigem, keramikartigem Material, oft ein besonderes Merkmal von Fragor Games. Das ist Poseidon’s Kingdom aber keineswegs, sondern trifft gut die Mitte zwischen „einfach“ und „moderat anspruchsvoll“.
Die Regel, mit teilweise etwas bemüht klingendem Wortwitz (vor allem in der deutschen Version), erweckt zunächst den Eindruck großer Komplexität, ist aufgebläht und umständlich, und vielleicht spielt sich Poseidon’s Kingdom deshalb zunächst etwas hakelig. Die vorbildliche Zusammenfassung macht es dann klar, auch wenn man es noch nicht sofort glauben mag: Das ist wirklich so einfach, man muss nicht noch dieses und jenes nachschauen.
Das Spielmaterial ist gut und üppig, absolut nicht schottisch geizig. Ein großer, doppelseitiger Spielplan, ein kleinerer Nebenspielplan und eine aus vier Teilen zusammen zusteckende, dreidimensionale Monsterwelle beanspruchen viel Platz. Hinzu kommen viele Plättchen unterschiedlicher Art und viele, viele handliche, eher kleine Würfel in vier Spielerfarben und einer neutralen Farbe. Last, not least, wie von den Lamont Brothers gewohnt, witzig modellierte Spielfiguren aus keramikähnlichem Material, dem Thema angemessen als Seestern, Oktopus, Muschel und Fisch – drei Stück pro Sorte, d. h., pro Spieler. Und dann ist da noch der gefährliche Hai …
… und der böse Krake auf dem Nebenspielplan, der von jedem Spieler sechs Freunde gefangen hält, die es zu befreien gilt. Hat ein Spieler alle seine Freunde befreit, wird mit der letzten Runde das Spielende eingeläutet.
Übertrieben gesagt, dauert der Aufbau fast so lange wie das ganze Spiel, zumindest beim ersten Mal – aber das vergrößert nur die Vorfreude.
Als läge nicht schon genug auf dem Spieltisch, baut auch noch jeder Spieler an seinem eigenen Riff; dazu dienen aus zwei verbundenen Sechsecken bestehende Plättchen, die nach bestimmten Regeln neben- und übereinandergeschichtet werden. Wer Antics aus gleichem Hause kennt, weiß, wovon ich spreche – dort dienten solche Plättchen zur Errichtung des eigenen Ameisenhügels. Nicht die Form der Plättchen, auch deren Zweck wurde für Poseidon’s Kingdom übernommen – bestimmte Symbole gestatten, bestimmte Aktionen auszuführen bzw. bestimmen die Nutzungshäufigkeit dieser Aktionen während des eigenen Spielzuges.
Der Spielablauf ist nach aller Vorarbeit recht einfach, aber nicht ohne Finessen und einen gewissen Anspruch – wer die Spiele der Gebrüder Lamont kennt, weiß, dass sich hinter den niedlich kindlichen Spielfiguren meist ein Wolf im Schafspelz versteckt, zumindest ein Wölfchen.
Ein Spielzug ist schnell geschildert: Der Spieler muss entweder sein Riff ausbauen, dafür einfach eins (der noch) verfügbaren Plättchen nehmen, oder einen seiner Würfel auf die große Welle legen. Anschließend muss er eine seiner beiden Figuren auf dem Hauptspielplan bewegen, dann kann er Würfel aus dem Feld „essen“ oder lagern, auf dem seine bewegte Figur gelandet ist. Schließlich bewegt er noch den Hai, der alle Figuren, die er auf seinem Feld antrifft, auffrisst – aber keine Bange, enge Verwandte tauchen im nächsten Spielzug auf und übernehmen den Job des Verstorbenen, also wird niemand aus dem Spiel katapultiert.
Diese einfachen Vorgänge sind bestens miteinander verzahnt. Wer an seinem Riff weiterbaut, muss gut überlegen, welches Plättchen er wohin legt und sich damit neue Möglichkeiten schafft oder alte verbaut – ein Bewegungssymbol auf dritter Ebene bedeutet z. B., dass der Spieler seine Figur bis zu drei Felder weit bewegen kann. Auch die Anzahl der aufzunehmenden Würfel wird auf diese Weise bestimmt, und Lagerplätze für aufgenommene Würfel sind ebenfalls wichtig, kann man doch meist nicht alle auf einmal essen. Die Meeresgesetze sind wunderlich – denn indem man Würfel „isst“, befreit man seine Freunde. Bestimmte Würfelkombinationen sind dafür erforderlich, beispielsweise zwei gleiche Zahlen, vier verschiedene, eine Straße usw. Dazu sollte man wissen, dass man diese Würfel nicht würfelt, sondern so vom Spielplan aufnimmt, wie sie dort liegen. Und wie kommen diese dorthin? Ganz einfach – wenn die große Welle voll belegt ist (es gibt eine bestimmte Anzahl Plätze, ansonsten s. o., Riff bauen oder Würfel legen), wird das ganze Gebilde gekippt, und die Würfel verstreuen sich über das Spielfeld, auf jeden Fall die meisten. Wie und wo sie dann liegen bleiben, müssen bzw. können sie genommen werden, eben sofort gegessen oder für ein späteres Befreiungsmahl gelagert werden. Man sollte noch wissen, dass sich die Felder des Plans über die gesamte Breite des Spielplans erstrecken, jedes Feld stellt eine Welle dar, und die Spielfigur kann nur die Würfel aufnehmen, die in der Welle liegen, in welcher sie ihre Bewegung beendet hat.
Wer Würfel anderer Spieler aufnimmt, lässt deren Figur auf dem Krakenspielplan weiterlaufen; ein hübscher Kniff, denn auch dadurch können Freunde befreit werden. Für jede Befreiung gibt es Punkteplättchen, je eher man bei einer bestimmten Kombination seinen Freund befreit, desto mehr Punkte gibt es, wodurch sich auch ein gewisser Wettlaufcharakter ergibt. Die Würfel sind überhaupt das A und O des Spiels – nachdem die große Welle die Würfel über den Spielplan verteilt hat, zählt jeder Spieler die Summe seiner Würfel zusammen und erhält einen entsprechenden Bonus, auch das kann, u. a., die Befreiung eines Freundes sein. Die kniffligste Entscheidung jedes Spielzuges ist es eindeutig, sich entweder für den Riffbau oder die Platzierung eines Würfels zu entscheiden – alles Weitere ergibt sich dann schon fast von selber. Gut geregelt ist auch, dass man jede Aktion immer mindestens ein Mal ausführen kann, auch wenn man das entsprechende Symbol nicht in seinem Riff hat oder es nicht sichtbar ist; man darf sich also mindestens immer eine Welle weit bewegen und mindestens einen Würfel aufnehmen, falls dort vorhanden.
Zu den für die Freundesbefreiung gesammelten Punkten kommen in der letzten Runde noch welche durch verdeckte Plättchen, die man sich u. U. zumindest schon teilweise hat heimlich anschauen können, oder man verliert auch welche. Einzelheiten dazu müssen hier nicht breitgetreten werden. Erwähnen möchte ich aber noch die kleinen Skelettplättchen, die jedes Mal ein Symbolfeld des eigenen Riffs abdecken, wenn eine eigene Figur vom Hai gefressen wird.
Einmal verstanden, geht Poseidon’s Kingdom flott vonstatten und man sieht, dass die Riesenwelle der Spielregel eigentlich nur eine kleine Welle ist, auf der man allerdings gut surfen kann und die gelegentlich nicht ohne Heimtücke ist. Das Spiel ist schnell gelernt und einfach auszuführen, erfordert aber doch ein gewisses taktisches Geschick. Mit diesem Spiel halten die beiden sympathischen Schotten ihren insgesamt hohen Standard, „beklauen“ sich erfolgreich selbst und haben wieder einmal ihren Sinn für Gimmicks, aber auch stimmiges Spielgeschehen bewiesen – trotz der vielen Würfel mit nur geringem Glücksanteil. Auf geht’s, die nächste Welle rollt an!
Rezension Ferdinand Köther
In Kooperation mit der Spielezeitschrift