Spielziel
Mittlerweile ist es ja üblich, dass erfolgreiche Spiele neben diversen Erweiterungen auch ein „kleines“ Geschwisterchen bekommen. Die Siedler von Catan haben ihr Kartenspiel, Puerto Rico hat sein San Juan usw. Nun hat auch das Spiel des Jahres 2004 Nachwuchs bekommen. Und wie schon bei den anderen genannten Beispielen, hat auch dieser Nachkömmling durchaus seine Daseinsberechtigung …
Ablauf
Wie schon in dem „großen“ Brettspiel liegt das Ziel darin, möglichst viele und lange Strecken zu bauen. Dazu werden hier aber nicht Züge auf einem Spielplan platziert, sondern Wagonkarten ausgelegt und gesammelt. Zudem winken am Ende Belohnungen, wenn man die meisten Strecken zu 6 bestimmten Städten gebaut hat.
Die Aktionsmöglichkeiten sind ähnlich wie beim großen Bruder. Ist man an der Reihe, kann man 1 Aktion aus 3 möglichen wählen:
- Es liegen immer 5 Wagonkarten (oder Lokomotiven = Joker) neben dem Nachziehstapel offen aus. Ein Spieler, der an die Reihe kommt, darf sich zwei neue Karten auf die Hand nehmen. Die Regeln sind hier identisch zum Brettspiel. Einziger - aber wichtiger - Unterschied: Liegen 3 Joker aus, werden die Karten nicht ausgetauscht, sondern bleiben liegen. Da Joker im Kartenspiel aber sehr lukrativ sind, sollte so etwas nicht all zu oft vorkommen.
- Zu Beginn hat jeder Spieler 6 Zielkarten bekommen, welche immer eine Verbindung zwischen zwei Städten und die dafür benötigten Wagonkarten zeigen. Davon muss man mindestens 1 behalten. Möchte man nun im Spiel neue Zielkarten haben, kann man 4 vom Nachziehstapel nehmen und beliebig viele (oder auch keine) davon behalten.
- Dies ist nun das eigentlich neue Element an dem Kartenspiel. Wenn man eine Strecke bauen möchte, geschieht dies nur indirekt. Welche Wagonkarten (Farben) man für eine Strecke benötigt, steht zwar auf den Zielkarten, jedoch kann man nicht einfach diese Kombination ausspielen. Dies geschieht in zwei getrennten Abschnitten:
Als dritte Aktionsmöglichkeit kann man nämlich gesammelte Wagonkarten aus der Hand offen vor sich auf den Tisch legen. Und zwar beliebig viele von einer Farbe (aber mindestens 2) ODER je 1 Karte von genau drei verschiedenen Farben. Doch auch hier gibt es noch Bedingungen zu beachten. Wählt man Variante A, darf kein anderer Spieler diese Farbe in einer gleich großen oder größeren Anzahl bereits offen vor sich liegen haben. Hierbei können auch Joker eingesetzt werden. Hat ein Mitspieler diese Farbe schon ausliegen, aber weniger Karten, dann muss dieser nun all diese Karten auf den Ablagestapel werfen. Ein nicht zu unterschätzender Ärgerfaktor! Bei Variante B ergibt sich daraus eigentlich automatisch, dass man diese 3 Karten nur auslegen kann, wenn noch keine dieser 3 Farben irgendwo ausliegen.
Doch wie baut man nun seine Strecken?
Immer zu Beginn eines Zuges kann der Spieler von jeder Farbe, die er noch vor sich liegen hat (die also unbeschadet eine Runde überstanden hat), 1 Karte in einen speziellen „Unterwegs-Stapel“ legen. Und lediglich Karten, die sich in diesem Stapel befinden, können später zum Bauen der Strecken genutzt werden. Dies geschieht genau dann, wenn die letzte Wagonkarte vom Nachziehstapel aufgedeckt wurde. Nun kommt jeder Spieler noch einmal an die Reihe. Danach werden alle noch offen ausliegenden und alle Handkarten abgeworfen. Jeder versucht nun möglichst viele seiner Zielkarten mit den Karten aus dem Unterwegs-Stapel zu erfüllen. Das Teuflische daran ist nur, dass man während des Spiels nicht in diesen Stapel hineinschauen darf und sich somit merken muss (oder es zumindest versucht …), welche Karten man sich schon gesichert hat.
Da jede Karte nur einmal benutzt werden darf, bleiben oft Zielkarten unerfüllt und bringen wie schon im Brettspiel Minuspunkte. Daher sind in dem Kartenspiel auch die Joker von großer Bedeutung. Diese können nun nämlich für jede Farbe verwendet werden, egal, mit welcher Farbe sie ursprünglich ausgespielt wurden. Nur wenn 4 Spieler an der Partie beteiligt sind, wird solch ein Durchgang nun noch einmal komplett wiederholt (also nochmals der ganze Nachziehstapel durchgespielt). Ansonsten endet die Partie und für die 6 großen Zielstädte erhalten nun noch jene Spieler Sonderpunkte, welche die meisten Zielkarten für diese Städte erfüllt haben.
Nach Abzug nicht erledigter Zielkarten gewinnt am Ende der Spieler mit den meisten Punkten.
Fazit
Wie schon in der Einleitung erwähnt, hat dieses Spiel neben dem Brettspiel durchaus seine Daseinsberechtigung. Allein schon hinsichtlich Format der sehr kurzen Regel ist es z. B. für den Urlaub sehr gut geeignet. Das Gefühl vom großen Bruder kommt durch das Thema, die Karten und das Erfüllen der Zielkarten ganz gut rüber.
Während man im Brettspiel ständig bangt, dass einem jemand die wichtige Strecke wegschnappt, bevor man die dafür nötigen Karten sammeln konnte, muss man hier ständig darum zittern, ob die vor einem liegenden Karten es schaffen, den Weg in den Unterwegs-Stapel zu finden. So kann es gut laufen, wenn beispielsweise 5 ausgelegte rote Karten 5 Runden lang immer eine neue rote Karte einbringen, weil niemand diese Auslage übertrumpfen konnte. Andererseits kann es bitter sein, wenn bereits eine Runde später jemand 6 Karten dieser Farbe ablegt und die eigenen 5 dann alle ersatzlos abgeworfen werden müssen, ohne dass auch nur eine einzige der Karten den Weg in den eigenen Unterwegs-Stapel gefunden hat.
So muss man also auch ständig darauf achten, was andere Spieler sammeln, und vielleicht auch mal riskieren, 3 unterschiedlich farbige Karten auszulegen und zu hoffen, dass mindestens 1 davon durchkommt.
In den ersten Partien fand ich die Regel etwas unglücklich, sich die Karten im Unterwegs-Stapel nicht angucken zu dürfen, weil dies ja Gedächtniskünstler unweigerlich bevorzugt. Daher haben wir mal die Variante ausprobiert, wo dies dann doch erlaubt ist. Dies brachte jedoch eine ganze Menge Unruhe in das Spiel, da jeder ständig zwischen seinen Hand- und Unterwegskarten wechselte und man später auch ziemlich verwirrt war. Hier liegt sicherlich der eindeutige Knackpunkt des Spiels. Aber nach einigen Partien bekommt man schon ein gutes Gefühl dafür, welche Karten man benötigt bzw. schon gesammelt hat.
Wie schon im Brettspiel scheint die Strategie, sich auf lange Zielkarten zu konzentrieren, durchaus lohnenswert. Doch gerade bei den Bonuskarten am Ende sahnt meistens derjenige ab, der viele kleine Strecken mit den geforderten Städten gesammelt hatte. Zudem ist während des ganzen Spiels ja auch nicht eindeutig erkennbar, wer gerade vorne liegt, weil niemand weiß, wer welche Strecken erfüllen kann. Damit kann auch nicht gegen einen Führenden gespielt werden, was ich persönlich als Pluspunkt empfinde. Im Vergleich zum Brettspiel verläuft das Kartenspiel sogar ein wenig interaktiver, da man den Mitspielern direkt Karten „wegnehmen“ und aktiv in deren Planungen eingreifen kann. Dies kommt allerdings auch nicht bei allen gut an und zarte Gemüter sollten dann vielleicht doch lieber beim großen Bruder bleiben.
Einziger negativer Punkt ist eigentlich nur die Unübersichtlichkeit, die während des gesamten Spiels vorherrscht. Wenn z. B. vier Leute gleichzeitig anfangen, ihre Zielkarten zu erfüllen, entsteht schon mal Chaos und man sollte diese Vorgänge vielleicht nacheinander abhandeln.
Alles in allem aber hat mir dieses Spiel sehr gut gefallen und wird beim nächsten Urlaub sicherlich den Weg in meine Reisetasche finden.
Rezension Michael Schlepphorst
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.