Spielziel
Ich kann mir vorstellen, dass so ziemlich jeder von euch in seiner Jugend mindestens einmal in einem Sommercamp war, bei den Pfadfindern, in kirchlichen oder politischen Vereinigungen, so wie ich in der Katholischen Jungschar. In Erinnerung bleiben davon dann das Schlafen in Zelten, verschiedene sportliche Aktivitäten, Gruselgeschichten und Lieder am Lagerfeuer, Wanderungen in der Natur, etc. Genau diese Abenteuer im Zeltlager können wir im neuesten "Game Factory"-Spiel Wanderlust wiedererleben.
Ablauf
Zuerst müssen wir den Spielplan zusammenpuzzeln. Dieser zeigt aber nicht das Camp selbst, sondern repräsentiert drei Pfade, welche den Erfolg in drei verschiedenen "Abenteuern" darstellen. Jeder von uns wählt eine Spielerfarbe und stellt je eine seiner Figuren an die Startposition jedes Pfades. Am anderen Ende der Pfade werden die Abzeichen in den drei anfangs gewählten Abenteuern platziert, weitere Abzeichen ("Teilgenommen" und "Camp-Champ") kommen auf die markierten Flächen im oberen Teil des Spielplans.
Motor des Spiels sind Spielkarten. Neben dem Basis-Deck benötigen wir für jede Partie drei beliebige der 7 enthaltenen Abenteuerdecks. Mit den Basis-Karten wird eine offene Auslage vorbereitet, während die gewählten Abenteuerdecks separat gemischt werden. Von den drei so gebildeten Stapeln legen wir dann jeweils die obersten zwei Karten offen aus.
Jeder von uns erhält ein Startdeck, bestehend aus 7 "Licht aus!"-Karten und je einer "Gehe 1"-Karte jedes Abenteuers, welche wir mischen und auf das "Nachziehstapel"-Feld unserer Spielertafel legen. Nachdem wir ein Plättchen "Energie-Riegel" erhalten haben, ziehen wir unsere Startkarten (je nach Startposition 3 bis 6 Karten). Und schon kann der Wettstreit um die besten Abzeichen losgehen.
In unserem Spielzug spielen wir unsere Handkarten aus und legen sie oberhalb unseres Tableaus aus. Von jeder Karte können wir dann entweder die angeführte Aktion durchführen (bloß die Karten "Licht aus!" erlauben keine Aktion), oder sie für 1 Energie nutzen. Jederzeit in unserem Zug können wir auch Karten kaufen, wofür die angegebenen Kosten in Form von Energie und/oder Energieriegeln verwenden. Gekaufte Karten kommen auf unseren Ablagestapel, ebenso wie alle ausgespielten Karten am Ende unseres Zuges.
Einige Karten ermöglichen uns, eine Figur auf einem Pfad vorwärts zu ziehen. Wird sie dabei auf oder über ein Feld mit eine Bonus gezogen, erhalten wir diesen umgehend. Dies kann 1 Energieriegel vom Vorrat sein, eine zusätzliche Bewegung mit einer beliebigen Figur, oder aber wir dürfen eine weitere Karte vom Nachziehstapel ziehen.
Sobald wir mit all unseren drei Figuren eine der beiden Brücken überquert haben, erhalten wir das dazugehörige Abzeichen. Erreichen wir mit einer Figur das Ende des Pfades, gibt es das entsprechende Abenteuerabzeichen als Belohnung. Für alle Abzeichen gilt: Da die Abzeichenplättchen nach absteigenden Werten sortiert sind, profitieren wir umso mehr, je früher wir ein Abzeichen erringen.
Gewinnt einer von uns von jedem der drei Abenteuer eine Auszeichnung, wird die laufende Runde nur mehr zu Ende gespielt. In einer Schlusswertung erhalten wir Siegpunkte (hier "Erfahrungspunkte" genannt) für unsere gesammelten Abzeichen, für alle Karten in unserem Deck, sowie eventuelle Punkte für jene Figuren, welche zwar noch nicht das Ende des Pfades erreicht haben, aber sich zumindest auf dem letzten Abschnitt befinden. Konnten wir schlussendlich die meiste Erfahrung sammeln, kehren wir als gefeierter Champion vom Sommercamp heim.
Fazit
Wanderlust ist - unschwer zu erkennen - ein Deckbauspiel. Schließlich kommen wir mit unserem mickrigen Startdeck nicht weit, und zwar buchstäblich, weil wir unsere Figuren ja hauptsächlich auf den Pfaden vorwärtsbewegen wollen, um zu punkten. Also müssen wir es - in bester "deckbuilding"-Manier - mit besseren, stärkeren Karten aufbessern.
Nun habe ich ja bereits unzählige Spiele (laut neuester Zählung über 30!) hier auf "H@ll 9000" rezensiert, welche mehr oder weniger Deckbau-Elemente aufweisen. Wanderlust gehört in diesem Genre mit Sicherheit zu jenen der einfacheren Sorte. Kaum ein anderes ist so auf das Endziel fixiert, so "straight forward", wie dieses hier. Aus diesem Grund ist es ausgezeichnet für Anfänger geeignet, um diese in die Mechanismen dieser faszinierenden Spielegattung einzuführen.
Trotz seiner Unkompliziertheit bietet Wanderlust aber jede Menge Abwechslung. Das Basis-Deck besteht eigentlich nur aus vier unterschiedlichen Karten: Neben den lästigen "Licht aus!"-Karten, die lediglich dazu dienen, Energie für den Kauf neuer Karten zu liefern, sind dies die Karten "Snack" (2 Energie), "Wanderkarte" (1 - 3 Karten ablegen, um dann genauso viele nachzuziehen) und "Wecker" (auf einem beliebigen Pfad 1 Feld vorwärts ziehen).
Erfolgsautor Phil Walker-Harding hat aber noch insgesamt 7 Abenteuerdecks inkludiert. In einer Partie kommen stets drei Decks zum Einsatz, sodass insgesamt 35 unterschiedliche Kombinationen zur Auswahl stehen. Für die erste Partie werden drei bestimmte Decks empfohlen, in späteren Partien kann man entweder gezielt gewisse Decks verwenden oder den Zufall entscheiden lassen.
Neben jenen Karten, die das Vorwärtsziehen der eigenen Figuren - je nach ihren Kosten - um 1, 2 oder 3 Felder erlauben und die in jedem Abenteuerdeck vorkommen, widmet sich jedes Abenteuerdeck einem ganz speziellen Aspekt. Hier in Kurzform die jeweiligen Spezifikationen:
Viele Karten des Abenteuerdecks "Aktivitäten" ermöglichen es, zusätzliche Karten aus der Auslage zu nehmen. Je nach Art kommen die genommenen Karten entweder auf den Ablagestapel, zuoberst auf den Nachziehstapel oder sogar direkt auf die Hand. Im Deck "Kochen" sind wiederum Karten, welche zusätzliche Energie liefern, entweder nur für diesen Spielzug oder in Form von Riegeln zum Speichern. Die Besonderheit der "Outdoor"-Karten besteht darin, zusätzliche Karten vom Nachziehstapel ziehen oder eine bestimmte Karte vom Ablagestapel auf die Hand nehmen zu dürfen.
Die Karten des Abenteuerdecks "Freundschaft" bringen äußerst vorteilhafte Effekte, von denen aber auch die Mitspieler ein wenig profitieren. Im Gegensatz dazu wirken sich einige Karten des "Gruppenspiele"-Decks negativ auf die Mitspieler aus, während andere Karten Vorteile bringen, wenn man durch das Ziehen seiner Figur die Figur eines bestimmten Mitspielers erreicht. "Wassersport"-Karten verschaffen einem zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten, manche für eine beliebige Figur, andere für weit vorne oder weit hinten positionierte Figuren. Und schließlich gestatten Karten des Abenteuerdecks "Handarbeit" Handkarten oder Energieriegel abzugeben, um dadurch einen Nutzen (zusätzliche Energie oder Bewegung) zu erhalten.
Die Abenteuerdecks bringen also viel Varianz ins Geschehen. Die einzelnen Elemente sind erfahrenen Spielern spätestens seit Dominion, dem Urvater der Deckbauspiele, bestens bekannt. Dabei ist nichts dabei, was Gelegenheitsspieler überfordern würde, alles so abgestimmt, dass sich Otto Normalverbraucher gut zurecht findet. Richtige Experten und "deck building"-Profis werden sich mit Wanderlust aber bald langweilen, weil längerfristige Strategien und gewiefte Taktiken kaum vorhanden sind. Diese sind aber auch nicht die angepeilte Zielgruppe.
Beim Spielmaterial merkt man, dass es ursprünglich ein Kickstarter-Projekt ist, weil viel Liebe in Details geflossen ist, wie die Unterbringung der verschiedenen Abenteuerdecks in praktischen Boxen, die übersichtlichen Spielertableaus und die ansprechende künstlerische Gestaltung. In der Schachtel ist auch noch ausreichend Platz für weitere Boxen, weshalb ich glaube, dass bald schon Erweiterungen auf den Markt kommen werden. Insgesamt eine runde Sache, die nebenbei auch nostalgische Erinnerungen an so manches denkwürdige Sommerlager der Kindheit weckt.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.