Spielerei-Rezension
Lang, lang ist’s her: 2001 erhielt das Legespiel Carcassonne die Auszeichnung „Spiel des Jahres“. Bereits in den ersten zehn Jahren hat es sich über sechs Millionen Mal verkauft. Seitdem sind zahlreiche Erweiterungen oder auf dem Grundspiel basierende eigenständige Spiele erschienen. Ob Kathedralen, Fluss oder Kornkreise, die Mayflower, das Star-Wars-Universum oder die Südsee – mit Carcassonne ist alles möglich.
Manche dieser Mitglieder der großen Carcassonne-Familie sind reizvoll und innovativ, während sich bei anderen die Vermutung aufdrängt, der Verlag wolle lediglich den Erfolg des Grundspiels nutzen, um irgendetwas Belangloses oder einen weiteren Abklatsch verkaufen zu können. Nun also Nebel über Carcassonne – eine kooperative Version: Das lässt aufhorchen und tatsächliches Neues erwarten.
Die Spieler legen gemeinsam Plättchen, sammeln Punkte und versuchen, die Ausbreitung von Geistern zu stoppen, den Spuk auf Friedhöfen einzudämmen und Schlösser zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn sich zu viele Geister in der Landschaft tummeln oder die Spieler zu wenige Punkte gesammelt haben, verlieren sie die Partie. Diese Ideen werden in verschiedenen Schwierigkeitsstufen variiert.
Nach Carcassonne-Manier legen die Spieler Plättchen aneinander. Punkte gibt’s für Figuren auf abgeschlossenen Straßen und Städten, während die Wiesen unter Umständen gefährlichen Nebel ins Spiel bringen. Für jedes im Nebel abgebildete Geistersymbol muss ein Geist gelegt werden – sofern der Nebel nicht an anderen Nebel angrenzt, denn dann kommt ein Geist weniger ins Spiel; und falls ein Nebelgebiet abgeschlossen ist, werden alle darauf befindlichen Geister entfernt. Wer Punkte erhält, kann auch auf diese verzichten und stattdessen von einem Plättchen seiner Wahl bis zu drei Geister wegnehmen. Müssten mehr Geister platziert werden, als noch im Vorrat vorhanden sind, haben die Spieler verloren. Erreichen sie gemeinsam eine bestimmte Punktzahl, ist die Partie gewonnen.
Diese einfachste Spielvariante lässt sich problemlos auch mit jüngeren Kindern spielen. Ab Level 2 kommen Schlösser und Friedhöfe ins Spiel. Schlösser, die rundum von Plättchen umgeben sind, bringen Punkte für jedes dieser Plättchen, auf dem Nebel abgebildet ist. Friedhöfe hingegen gehen mit dem Verlust einer Figur und zusätzlichen Geistern einher.
In höheren Schwierigkeitsstufen muss jeweils ein bestimmter Punktestand erreicht werden, wenn ein Teil der Plättchen verbraucht ist. Außerdem gibt es weitere Elemente, Anpassungen und Regeländerungen, die das Spiel von Level zu Level immer anspruchsvoller werden lassen. Mal sind weniger Geister verfügbar, mal müssen mehr Punkte erreicht werden, mal kommen Hunde ins Spiel, mal muss jeder Spieler eine Figur abgeben … Auf den beiden höchsten Schwierigkeitsstufen (Level 5 und 6) bringen Friedhöfe schließlich noch zusätzlich verdeckt gelegte Plättchen ins Spiel, die das Gewinnen ebenso erschweren wie die Tatsache, dass jeder Spieler individuell eine vorgegebene Punktzahl erreichen muss.
Mit Nebel über Carcassonne greift der Autor den seit einigen Jahren in der Branche zu beobachtenden Trend zu kooperativen Spielen auf und kombiniert ihn geschickt mit Mechanismen aus Carcassonne. Die Grundideen bleiben gleich, doch es sind nun teilweise andere Denkansätze gefordert, was man tun oder vermeiden sollte. Dass beispielsweise Figuren verschiedener Spieler in derselben Stadt stehen, ist nun erstrebenswert, weil es mehr Punkte bringt. Bei jeder Wertung steht die Entscheidung an, ob die Punkte aktuell gebraucht werden oder die Entfernung von Geistern gerade dringender ist.
Wer oft verschiedene Levels spielt, wird immer wieder nachschlagen müssen, was gerade wie geregelt ist – da wäre eine zusätzliche Übersicht hilfreich gewesen. Mal sind die Geisterfiguren wichtig, mal die Geistersymbole, mal die Nebelfelder; mal werden Geister auf die Friedhöfe gelegt, mal drumherum verteilt, … Immerhin listet die Level-Übersicht die jeweiligen Grundelemente der einzelnen Schwierigkeitsstufen auf, und auch auf der Rückseite der Anleitung gibt es eine Kurzzusammenfassung.
Mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad kommen weitere Einschränkungen hinzu, aber auch mehr Optionen. Dabei sind die höheren Levels tatsächlich sehr anspruchsvoll. Die „Spielergemeinde“ ist sich weithin einig, dass Level 6 fast nicht zu gewinnen ist – und da fragt man sich dann, ob hier der Bogen nicht vielleicht ein klein wenig überspannt wurde. Doch man kann sich ja auf die anderen Levels konzentrieren oder individuell an der einen oder anderen Stellschraube drehen, um auch bei Level 6 mehr als nur eine theoretische Chance auf den Sieg zu haben.
Natürlich ist es vom Glück abhängig, wann welche Plättchen ins Spiel kommen. Dadurch kann es durchaus passieren, dass man auch auf Stufe 2 Mal scheitert, ohne sich dumm angestellt zu haben. Oder man hat bei Level 5 das Glück, dass Friedhöfe spät aufgedeckt beziehungsweise verdeckt gelegt werden, also gar nicht als zusätzliche Gefahr aktiviert werden. Hat man Pech beim Aufdecken der Plättchen, kann das zwar zu Frust führen, aber dann ist es aufgrund der überschaubaren Spieldauer kein Problem, einfach gleich noch eine weitere Partie zu spielen.
Nebel über Carcassonne ist vielfältig, reizvoll und eine interessante kooperative Variante des modernen Klassikers. Das Thema ist schön umgesetzt, das Material ansprechend gestaltet. Während die unteren Levels perfekt für Familien geeignet sind, bieten die höheren Levels eine spannende Herausforderung für Kenner. Dabei sind die Partien tatsächlich sehr immersiv: Die Spieler werden ins Geschehen hineingezogen und fiebern mit. Das sorgt in Kombination mit den verschiedenen Levels für einen hohen Wiederspielreiz.
Darüber hinaus kann Nebel über Carcassonne übrigens nicht nur solo gespielt, sondern auch als Erweiterung für das Grundspiel genutzt werden – und das erklärt schließlich auch, warum die Spielfiguren anders aussehen als die „Meeples“ aus Carcassonne …
Rezension Birgit Irgang
In Kooperation mit der Spielezeitschrift