Rezension/Kritik - Online seit 09.12.2015. Dieser Artikel wurde 7215 mal aufgerufen.

Colonial

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Autor: Christophe Pont
Illustration: Luis Francisco
Marco Festa
Diego Madia
Verlag: Stratagem Ltd
Rezension: Edgar Ameling
Spieler: 3 - 6
Dauer: 120 Minuten
Alter: ab 13 Jahren
Jahr: 2011
Bewertung: 5,0 5,0 H@LL9000
5,3 5,3 Leser
Ranking: Platz 904
Colonial

Spielziel

In Colonial: Europe's Empires Overseas übernehmen die Spieler die Kontrolle einer europäischen Großmacht und versuchen, die außereuropäische Welt zu kolonisieren und dabei am schnellsten 10 Prestigepunkte zu sammeln und alle aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen. Die Siegpunkte erhalten die Spieler über diverse Aktionen wie Krieg, die Gründung von Kolonien, das Gründen einer blühenden Handelsstadt oder aber das Entdecken diverser Landpartien.

Ablauf

In jeder Spielrunde sucht sich jeder Spieler geheim aus seinem Kartendeck zunächst fünf Aktionskarten aus, die in ebenfalls festzulegender Reihenfolge benutzt werden sollen. Über diese Aktionen wie Krieg, die Gründung von Kolonien, das Gründen einer blühenden Handelsstadt oder aber das Entdecken diverser Landpartien erhalten die Spieler Siegpunkte. Allerdings darf auch das Weiterentwickeln der eigenen technologischen Fähigkeiten nicht vernachlässigt werden, denn erst durch sie wird es einem einfacher möglich, fremde Länder zu erobern oder neue bzw. lukrativere Einnahmequellen zu generieren. Geld ist wichtig in diesem Spiel, denn Geld ist eine knappe Ressource und ohne Geld können einige Aktionen nicht ohne Weiteres durchgeführt werden.

Dabei gestaltet sich der Rundenverlauf wie folgt: Zunächst werden reihum von jedem Spieler die ersten Karten ausgeführt, dann die zweiten, usw. Das Besondere dabei ist: Jede Karte zeigt zwei verschiedene Charaktere, mit denen unterschiedlichste Aktionen durchgeführt werden können. Durch das Vorab-Aussuchen der Karten sind die Spieler jedoch nicht zwangsläufig an eine Taktik gebunden, denn jede Karte beinhaltet jeweils zwei Charaktere, die einem jeweils verschiedene Handlungsmöglichkeiten eröffnen, welche man spontan beim Aufdecken der Karte aussuchen kann. Folgende Charaktere sind in jedem Kartendeck enthalten:

  • Botschafter: Verbessert den eigenen Status auf der Diplomatie-Leiste und ermöglicht die Entfernung eines Unruhe-Markers aus einer Provinz. Der Botschafter befindet sich auf derselben Karte wie der Entdecker.
  • Entdecker: Erkundet ein noch unentdecktes bzw. unbesiedeltes Territorium und sammelt dort Prestigepunkte. Um erfolgreich zu sein, muss mit den Würfeln gleich oder mehr entsprechend dem Schwierigkeitsgrad der Region gewürfelt werden.
  • Eroberer: Ermöglicht die Gründung von Kolonien. Voraussetzung: Alle Ressourcen der Region werden kontrolliert, und die Anzahl eigener Marker vor Ort entspricht wenigstens der dortigen Mindestmenge. Der Eroberer ist auf derselben Karte wie der Sounerän.
  • Souverän: Entfernt Unruhe-Plättchen und ermöglicht Kriegserklärung. Ein Krieg wird auf verschiedenen Ebenen ausgefochten: an Land, beim Handel, in den Schatzkammern und zur See. Die Gefechte werden solange ausgewürfelt, bis ein Sieger feststeht, der vom Unterlegenen einen Prestigepunkt erhält.
  • Financier: Nimmt Kredit bis zum doppelten der ökonomischen Stärke auf. Er befindet sich auf derselben Karte wie der Kauffahrer.
  • Kauffahrer: Transportiert Waren in Abhängigkeit von der Handelsflottengröße.
  • Gouverneur: Kann eine „boomende Stadt“ festlegen, die fortan doppelt so viele Waren produziert. Er ist auf derselben Karte wie der Händler.
  • Händler: Verkauft Waren auf dem Markt in Abhängigkeit der Wirtschaftskraft. Kann auch Waren von Mitspielern verkaufen, wovon beide profitieren.
  • Missionar: Bekämpft Unruhen. Ihn findet man auf derselben Karte wie den Wissenschaftler.
  • Wissenschaftler: Verbessert eine der vier Technologien (Seefahrt, Marinestreitkräfte, Logistik, Wirtschaft).
  • Aufständischer: Kann in fremder Region Aufstand anzetteln oder zumindest Unruhe vergrößern. Er ist auf derselben Karte zu sehen wie der Vizekönig.
  • Vizekönig: Kann Marker aus seiner Schatzkammer in eine entdeckte Region versetzen (maximale Anzahl abhängig von Logistik).

Wer nun über Monopole von Ressourcen verfügt, hat die Möglichkeit, mit Markern aus der Schatzkammer seine Handelsflotte zu vergrößern. Danach können die Streitkräfte aufgerüstet werden, höchstens jedoch so viel, wie es der jeweiligen Technologiestufe entspricht. Falls dann noch Marker übrig sind, können diese als Piraten in die Handelsflotten der Mitspieler entsendet werden. Solche Freibeuter greifen die Händler an, wenn diese Waren verschiffen wollen – was zu Verlusten auf beiden Seiten führt.

Dieser Ablauf wiederholt sich von Runde zu Runde, bis schließlich jemand das Spielziel erreicht hat.

Fazit

Colonial: Europe's Empires Overseas kommt daher wie ein klassisches Eurospiel, angereichert mit einigen Aspekten einer klassischen Wirtschaftssimulation sowie einigen Elementen der Gebietskontrolle. Als Erstes fällt bei diesem Spiel sein detailreiches und wunderschön gestaltetes Spielbrett ins Auge. Dieses und sämtliche anderen Komponenten wurden mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet. Es ist klar erkennbar, dass der Designer offenkundig ein Fan der Geschichte ist. So gibt es zahlreiche Details wie die Entdeckung Amerikas, die kulturabhängige grafische Darstellung der Einwohner auf der Karte oder die sehr schön gestaltete Anleitung, die mit einigen historischen Hintergrundinformationen aufwarten kann, welche zwar alle eher minimalen Einfluss auf das Spiel selbst haben, jedoch dieses grafisch enorm aufwerten.

Der grafische Detailreichtum vermag allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Spiel trotzdem kleine Schwächen hat. Nicht ohne Grund wurden die Regeln gegenüber der ersten Edition stark verändert. Die Regeln sind nun klarer strukturiert, und die Stärke der Aktionen und der einzelnen Charaktere ist deutlich ausgewogener. Dennoch ist das Regelwerk immer noch recht komplex, dazu noch gespickt mit zahlreichen Details und damit nicht unbedingt eingängig. Zwischendurch muss man immer wieder einen Blick in die Anleitung werfen, um sich zu vergewissern, ob man bei seinem geplanten Zug alles regelkonform macht. Immerhin sind die Regeln sehr übersichtlich gegliedert und mit zahlreichen Beispielen versehen, so dass die wichtigsten Fragen schnell geklärt sind. Auch sind die Regeln in sich schlüssig und widersprechen sich in manchen Punkten nicht selbst oder werden unlogisch. Aufgrund des umfangreichen und komplexen Regelwerkes spricht dieses Spiel in erster Linie Vielspieler an, Familien oder Gelegenheitsspieler dürften damit überfordert sein.

Was bei dem Spiel besonders auffällt, sind die eng verzahnten Mechanismen und die damit verbundenen Wechselwirkungen. Länder neu zu entdecken und zu erobern wird umso leichter, wenn man die Fähigkeit der Seefahrt weiterentwickelt. Nur damit alleine kommt man zwar voran, aber nicht zum Ziel: Auch die militärische Komponente sollte nicht vernachlässigt werden, denn sonst kann man im Kriegsfall leicht unter die Räder geraten und vieles von dem, was man sich mühsam aufgebaut hat, wieder verlieren. Ohne wirtschaftliche Entwicklung kommt man jedoch auch nicht weiter, wenn man eine boomende Stadt gründen will, die eine sprudelnde Einnahmequelle sein kann und die sind in diesem Spiel rar gesät. Nichtsdestotrotz sollte man sich auch um seine logistischen Fähigkeiten bemühen, denn die helfen dabei, einmal erobertes Terrain durch eigenes Militär abzusichern. Man befindet sich also ständig in einem Abwägungsprozess, welche Fähigkeiten man als nächste weiterentwickelt, um möglichst wenig Schwachpunkte bzw. Angriffsfläche zu bieten.

Liegt man zum Ende des Spiels vorn, kann man dennoch Probleme bekommen. Es wird mit allen Mitteln versucht, den Führenden in seinem Vorankommen zu behindern. Was in der Natur der Sache liegt. Die ersten Prestigepunkte gewinnt man noch relativ schnell ohne große Intervention der Gegenspieler. Sobald man jedoch den achten Prestigepunkt erreicht, kann man davon ausgehen, dass die anderen Mitspieler den Rebellen- oder den Fürstencharakter überproportional oft einsetzen, um ein drohendes Ende um jeden Preis hinauszuzögern. Unter diesem Gesichtspunkt ist es daher sinnvoll, sich vor dem finalen Prestige-Run gut auf der Diplomatieleiste zu platzieren und ausreichend Missionsmarker in den eigenen Kolonien zu setzen, um damit einem drohenden Prestigeverlust vorzubeugen oder ihn zumindest zu minimieren.

Ein weiterer Kritikpunkt des Spiels ist die vorgegebene Spieleranzahl. Es bietet zwar offiziell Platz für 2 bis 6 Spieler, sinnvoll ist ein Spiel nur mit einer Beteiligung von 5 bis 6 Spielern. Für jede andere Anzahl ist der Platz in der Welt einfach zu groß, sodass zu viele Prestigepunkte durch Erkunden gewonnen werden können und die Interaktion deutlich geringer ausfällt. Ausgehend von dieser Überlegung gibt es eine Zusatzregel, wo man bei geringerer Beteiligung - variierend nach Anzahl der Spieler - auch eine gewisse Anzahl an Ländern auf jedem Kontinent einfach absperrt. Wenn man nämlich die Größe des Feldes entsprechend an die Anzahl der Beteiligten anpasst, dann ist damit in jedem Fall auch ein ausgewogenerer Spielverlauf sichergestellt, weil man sich nicht gegenseitig aus dem Weg gehen und einfach ungestört sein Ding durchziehen kann. Das Spiel steht oder fällt in seiner Dynamik mit der gegenseitigen Interaktion.

Trotz dieser genannten Schwächen spielt sich das Spiel in voller Besetzung relativ zügig durch. Es gibt zwar zwischendurch immer wieder mal Grübelpausen, weil jeder natürlich sorgfältig abwägt, welche möglichen Konsequenzen sein Handeln nach sich zieht. Nichtsdestotrotz fallen diese Pausen nicht so stark ins Gewicht, dass man gefühlt nebenher noch etwas anderes spielen könnte. Das Durchführen eines Zuges selbst geht dann doch relativ flott vonstatten. Auffallend ist, dass es keine wirkliche Killer-Strategie gibt. Wenn man zu sehr auf Krieg oder zu sehr auf Handel geht, kann es passieren, dass man am Ende doch mit vergleichsweise leeren Händen dasteht. Andererseits kann man nicht alle Aspekte gleich stark berücksichtigen bzw. umsetzen. Man muss also schon zusehen, dass man irgendwo gewisse Akzente bzw. Schwerpunkte setzt, ohne jedoch dabei alles andere zu sehr zu vernachlässigen. Damit ist in jedem Fall Abwechslung garantiert, weil kein Spielverlauf dem anderen gleicht und sich jedes Mal wieder neue Konstellationen ergeben.

Alles in allem ist Colonial: Europe's Empires Overseas ein Spiel, das durch seine tolle Atmosphäre und sehr viel Liebe zum Detail besticht. Der Spielmechanismus ist im Großen und Ganzen gut ausgewogen und ansprechend. Die Regeln sind zwar klar strukturiert, allerdings auch sehr komplex mit zahlreichen Details. Selbst nach mehrmaligem Spielen ist immer wieder mal ein Nachlesen notwendig. Insgesamt spielt sich das Spiel überwiegend flüssig, aufgrund der zahlreichen strategischen Optionen innerhalb eines Spielzuges kann es zwischendurch immer wieder auch zu einigen kleineren Wartezeiten kommen.

Rezension Edgar Ameling

Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.

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H@LL9000-Bewertungen

H@LL9000 Wertung Colonial: 5,0 5,0, 1 Bewertung(en)

Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz Kommentar
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 05.01.15 von Edgar Ameling - Ein Spiel bei dem das Konzept mit der tollen Aufmachung mithalten kann. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass hier Mac Gerdts seine Finger im Spiel gehabt haben müsste!

Leserbewertungen

Leserwertung Colonial: 5,3 5.3, 3 Bewertung(en)

Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz Kommentar
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 11.01.15 von Ernst-Jürgen Ridder - Ich bin natürlich befangen, deshalb schreibe ich mal keinen Kommentar.
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz Kommentar
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 04.09.22 von Dietrich - "Colonial - Europe's Empires Overseas" - Die Reaktionen unserer Spielegruppe sind eindeutig: Dieses Spiel ist das ultimative Spiel und übertrifft zur Zeit alle bisherigen, darunter 18xx, Pax-Spiele, Splotter-Spiele. Warum? "Colonial" spielt sich sehr thematisch, selbst wenn man sich nur etwas mit der europäischen Kolonialgeschichte auskennt. Da die Spieler einzelne europäischen Staaten und Königreiche vertreten können, fällt dann schon einmal der eine oder andere auch ironische Kommentar, der das Spielgefühl belebt, erst recht bei geschichtlichen Kenntnissen. Und selbst die Zeit des Aufstiegs und Untergang des Sklavenhandels mit seinen Auswirkungen wird fast nebenbei berücksichtigt. Ähnlich wie die guten - also älteren - thematischen Martin-Wallace-Spiele spielt sich "Colonial" am besten zu sechst, der Höchstzahl, außer man spielt mit der alternativen Staatenvariante, in der Deutschland (schwarz) natürlich nicht vertreten sein kann. Trotz der vielen Möglichkeiten haben die einzelnen Züge der Mitspieler nur eine kurze Downtime (neudeutsch), da sie ja simultan vorgeplant sind, und jeder wenn nötig aus zwei Aktionen auswählen kann oder bei Fehlplanung bzw. durch die Züge der Mitspieler für diese Aktionsrunde sogar passen muss. Der Glücksfaktor in Form von 10/5 Würfeln kann eine Rolle spielen aber durch fortschreitende Entwicklungen abgemildert werden. Ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt des Spiels ist, dass die Siegpunkte (Reputationspunkte) durch die Entdeckungs-, Eroberungs- und Wirtschaftsereignisse vergeben werden und für jeden einsehbar sind. Vor allem gibt es keine Siegpunktvergabe am Spielschluss! Das Spiel endet, wenn ein Spieler es schafft, 10 oder mehr Reputationspunkte zu erreichen und - wichtig - dabei keine Schulden mehr hat. Ja, Schulden kann und sollte man auch aufnehmen! Wenn sich das Ende des Spiels abzeichnet, gibt es ein "Wettrennen" um die letzten Entdeckungspunkte in Australien. Oder um den Abbau seiner Schulden, nämlich dann, wenn man selbst und andere schon mehr als 10 Siegpunkte besitzen, aber verschuldet sind. In unseren Runden zeigte sich, dass das Spiel am besten mit voller Spielerzahl zu spielen ist. Es ist aber auch mit weniger Spielern spielbar, allerdings können auf demselben Spielplan leichter Siegpunkte erworben werden, da man einander seltener in die Quere kommt. Da hilft eine kleine Regeländerung: Ziel ist es für die Spieler, statt generell 10 Siegpunkte, nach Spieeleranzahl modifizierte Siegpunkte zu bekommen: 60/Spieleranzahl; also bei 6 Spielern 10 Siegpunkte, 5 Spielern 12 Siegpunkte, 4 Spielern 15 Siegpunkte usw., da ja 60 durch alle Spielerzahlen ohne Rest teilbar ist. Obwohl "Colonial" wenig Text besitzt und keine langen Regeln, ist es schade, dass man es nur in Englisch bekommen kann. Eine deutsche Version würde dem Spiel eine größere Fangemeinde verschaffen; daher muss man sich bei Ernst-Jürgen Ridder für seine Spielregelübersetzung bedanken, die bei Boardgamegeek zu finden ist.
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz Kommentar
Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 11.12.23 von britzer - Auch von mir ein großes Lob: tolle Aufmachung, klare Regeln und großartiges Spielerlebnis. Wer mit diesem düsteren Kapitel der Geschichte (Kolonialisierung und Ausbeutung) ein Problem hat, sollte die Finger von diesem Spiel lassen. Einzig der Kampfmechanismus ist glücksabhängig, da mit Würfeln ausgetragen. Eine deutsche Version wäre schön und ist überfällig.

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