Spielerei-Rezension
Viel Feind, viel Ehr' – Kapern und Würfeln bis die Schwarte kracht!
Manchmal fällt es einem Rezensenten schwer, eine Besprechung eines Spiels abzuliefern. Nicht etwa, weil er keine Lust an dieser Spielkritik hat, auch nicht, weil ihm das Spiel nicht zusagt. Viel eher ist es eine große Vertrautheit mit einem Spiel, eine über einen längeren Zeitraum reichende gemeinsame Geschichte, eine große Nähe und Zuneigung zu einem Spiel, die Probleme bereitet. Und dann kommt automatisch die Frage nach der Objektivität einer Spielekritik auf, einem oft geforderten Bestandteil jeder sachlichen Auseinandersetzung mit neuen Spielen. Kann man denn noch objektiv sein, wenn man bereits den Prototyp eines Spiels nächtelang gespielt hat, mit den Autoren stundenlang an Regelfeinheiten gebastelt und über Sinn und Unsinn einzelner Passagen dieser Regel diskutiert hat? Um es kurz zu machen: die immer so vehement eingeforderte Objektivität ist dann natürlich zum Teufel, aber es bildet sich mit Sicherheit eine – gerade durch das Vielspielen fundierte! – subjektive Meinung zu einem Spiel heraus, die für andere Spieler eine gute Hilfestellung bei einem möglichen Kauf sein kann. Daher habe ich mich letztendlich entschieden, dass ich gerade aus den genannten Gründen eigentlich ideal geeignet bin, Störtebeker zu besprechen. Falls unter den Lesern hierzu andere Auffassungen bestehen: ich bin gern bereit, hierzu eine offene Diskussion zu führen und hoffe daher auf Reaktionen!
Hans im Glück stellte bei der "Spiel'00" in Essen gleich drei neue Spiele vor. Neben CARCASSONE und ATTILA, die an anderer Stelle besprochen werden, kam mit Störtebeker die zweite 2000er Neuheit von Thorsten Löpmann und Andreas Wetter nach dem bei Amigo erschienenen SAN FRANCISCO heraus. Obwohl auf den ersten Blick das "kleinere" der beiden Spiele, ist es in meinen Augen nicht weniger reizvoll. Zur Entstehungsgeschichte des Spiels eine kleine Anekdote: im Frühsommer 1999 war über mehrere Wochen eines der beherrschenden Themen auf der Internetseite von Knut Michael Wolf ( inzwischen spielbox.de) das Spiel "Blackbeards Piraten". Nachdem in einem Beitrag hierzu nachgefragt worden war ("Wer kennt dieses Spiel?") meldeten sich einige Spieler zu Wort, die es gespielt hatten und unterschiedlich einschätzten. Andere wollten Bezugsmöglichkeiten erfragen und ob es überhaupt noch erhältlich sei. Tatsache war, dass es zu diesem Zeitpunkt außer dreier Prototypen kein einziges Exemplar dieses Spieles gab, es aber mit dieser Diskussion geschickt in aller Munde war. Über die Initiatoren dieser Diskussion ranken sich Gerüchte, auf die ich hier nicht näher eingehen will ( wer möchte, kann ja Andreas Wetter mal befragen, wer denn der "Spielebär" ist...), clever war diese Aktion allemal. Schon der Prototyp konnte überzeugen und Hans im Glück wollte als Verlag dieses Kartenspiel ins Licht der großen Spielewelt heben. Einige Regeln wurden nicht übernommen, ein paar Zusätze machten das Spiel familientauglicher – das Ergebnis kann sich sehen lassen!
Wie bei einem Piratenthema erwartet, geht es in der Hauptsache darum, andere Schiffe zu entern und damit Beutepunkte zu erringen. Spielmechanistisch laufen die Aktionen über eine Mischung von Karteneinsatz und Würfelglück. Die Karten werden benötigt, um einerseits das Recht am Entern eines Schiffes nachzuweisen. Hierzu müssen genausoviel Proviantkarten wie auf der Schiffskarte abgebildet sind an das betreffende Schiff angelegt werden. Vier dieser Schiffskarten liegen immer auf dem Spieltisch offen aus, je nach Spielerzahl werden weitere Schiffe nachgelegt, wenn es zu erfolgreichen Enterversuchen kam. Bei den Spielkarten, von denen jeder Spieler 6 auf die Hand bekommt, gibt es neben den erwähnten Proviantkarten noch Piraten im Wert 1-4, die ebenfalls an die Schiffe angelegt werden können – allerdings verdeckt! Wenn ich als handelnder Spieler also genug Proviant angelegt habe, kann ich einen Enterversuch starten. Dazu muss ich mit dem Wurf zweier Würfel die in der Mitte der Schiffskarte abgedruckte Kampfwertzahl erreichen oder übertreffen. Zusätzlich kann ich die Zahl meiner angelegten Piraten zu meinem Wurf addieren. Aber natürlich können die Gegenspieler, die ebenfalls Karten an diesem Schiff angelegt haben, hier noch kräftig mitmischen und durch einen Gegenschlag (= mehr Würfelpunkte bzw. Piraten) alle meine Bemühungen zunichte machen. Aber ich selbst kann auch mit Breitseiten andere Beutekarten erobern oder ins Meer befördern. Für die Eroberung eines Schiffes werden die jeweiligen Wertungspunkte ( die nicht gleich sind mit den Kampfwerten!) auf der Wertungstafel gutgeschrieben. Geschickt sind hier altbewährte Spielmechanismen verbunden worden und ergeben ein schmackhaftes Ganzes. Die für ein Kartenspiel – und das bleibt es trotz der benutzten Wertungstafel! – ziemlich komplexe Regel erschließt sich schnell, die Materialien sind von guter, bei den Schiffskarten sogar ausgezeichneter Qualität und auch grafisch gibt es für mich keinen Grund zur Beschwerde. Vielleicht hätte man die Wertungskarte etwas anders gestalten können, doch wirkliche Schwierigkeiten ergeben sich hier nicht.
Störtebeker ist in erster Linie ein Spiel, das Spaß macht und von der Interaktion am Tisch lebt. Der Glücksfaktor ist sicher recht hoch und genau das ist auch beabsichtigt. Die taktischen Möglichkeiten dürfen aber nicht unterschätzt werden, es ist schon nicht egal, wo ich meine Karten platziere und zu welchem Zeitpunkt ich agiere oder reagiere. Durch die sogenannte "Profiregel" kommen noch einige Feinheiten dazu, die gerade die taktische Spielweise stärker betonen. Aber klare Sache, der Würfel ist extrem mächtig, auch das Ziehen der Karten ist nicht immer im Sinne des Spielers ( der in diesem Fall aber auch ganz gezielt Karten mit dem Ablagestapel austauschen kann, hierbei aber eine Karte verliert). Wer von einem Spiel Fun und Action erwartet, liegt hier bestimmt richtig. Es ist einfach nur schön, wenn die Mitspielerin mit zwei Würfeln vier Punkte werfen muss und zweimal eine"1" und eine"2" wirft, beim drittenmal es dann souverän mit acht Punkten meistert und der garstige Gegenspieler ihr durch einen"9"er Gegenschlag das Boot klaut! Wer jetzt meint, dass ihn/sie ein solches Spiel ansprechen könnte, der/die wird es sicher auch erwerben. Und wer sich noch nicht angesprochen fühlt, der/die sollte es trotzdem einfach mal ausprobieren, ich denke, es wird ihm/ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit gut gefallen. Und allen anderen kann ich nur eine Partie direkt mit den Autoren empfehlen, die Vermittlung übernehme ich gerne!
Rezension Michael Schramm
In Kooperation mit der Spielezeitschrift