Spielziel
Eine irische Kleinstadt, irgendwo zwischen Waterford und Limerick. Knapp 5.000 Einwohner, und außer einer langen Tradition als Marktstadt nichts Nennenswertes. So wenig, dass selbst der Wikipedia-Eintrag über ein paar Zeilen nicht hinausgeht.
Warum wird dann extra ein Bretspiel nach "Tiobraid Àrann" (so der irische Name) benannt? Dies liegt einzig und allein am Song "It's a long way to Tipperary", welcher als eins der Lieblingslieder der britischen Soldaten im Ersten Weltkrieg weltweit bekannt wurde. Das Spiel hat aber rein gar nichts mit Militär zu tun, vielmehr bauen wir unsere eigene irische Idylle auf, sozusagen unser persönliches Tipperary, so mit Feldern, Weiden, Schafen, Whiskeybrennereien, Mooren, Steinkreisen, Ruinen...
Ablauf
Die oben erwähnten Landschaften kommen auf Landschaftsteilen vor. Sie sind unterschiedlich groß und weisen auch unterschiedliche Formen auf. Solche "Polyominos" kennen wir bereits aus vielen Spielen, diese hier sind aber teilweise sehr groß, einige decken sogar 7 Felder ab, und können zum Teil richtig unförmig sein. Mit diesen Teilen vergrößern wird das Gebiet unseres Heimatortes.
Wie kommen wir nun an diese Landschaftsteile? Der "Spielplan" ist eigentlich ein Speichenrad, in dessen fünf Aussparungen zu Beginn jeder Runde je zwei zufällig aus dem Stoffbeutel gezogene Teile gelegt werden. Wir versetzen dann die Drehscheibe in Drehung und dürfen aus jenem Bereich, in den das Wappen unseres Heimatortes weist, einen der beiden Landschaftsteile nehmen und bei uns anlegen.
Die Legeregeln sind recht simpel, denn die Teile dürfen beliebig gedreht und gewendet werden. Sie müssen mit mindestens einer Kante an unser Gebiet angrenzen, wobei auch Lücken lassen erlaubt ist. Ja, es ist nicht einmal vorgeschrieben, dass irgendwelche Landschaften übereinstimmen müssen.
Viel entscheidender ist aber, warum wir überhaupt Landschaftsteile platzieren. Natürlich, um am Ende die meisten Punkte zu erzielen. Dabei liefert uns jede Landschaftsart auf individuelle Weise Punkte oder sonstige Vorteile.
Die Wiesen und Weiden sind wichtig, um Schafe unterzubringen. Auf den Weiden befinden sich zudem schon ein oder zwei Schafe. Zum Schluss zählt für uns die größte zusammenhängende Schafherde so viele Punkte, wie sie Schafe enthält. Zusätzlich erhalten wir noch 5 Extrapunkte, wenn wir schlussendlich insgesamt die größte Schafherde besitzen.
Steinkreise bringen uns - je nach aufgedrucktem Wert - bei der Schlusswertung 1 bis 4 Punkte. Moore liefern uns zufällige Zusatzplättchen (1 Feld groß), wenn es uns gelingt, ein neues Schutzgebiet aus mindestens 2 Mooren zu bilden. Schaffen wir es, drei Ruinen in einer geraden Linie zu legen, erhalten wir einen Turm, den wir am Spielende beliebig platzieren dürfen.
Und schließlich gibt es da noch Destillerien und Getreidefelder. Immer wenn wir Getreide angrenzend an eine Destillerie legen (oder umgekehrt), produzieren wir Whiskey, indem wir das Fass auf der Whiskeyleiste unseres Heimatortes um eine Position vorrücken, wodurch sich die Punkte für die Schlusswertung erhöhen.
Nach der 12. Runde ist Schluss. In einer Schlusswertung ermitteln wir unser erzieltes Ergebnis. Neben den bereits erwähnten Punkten für Steinkreise, Schafherden und unsere Whiskeyproduktion bekommen wir hauptsächlich Punkte für unsere gesamte Auslage. Für die größte rechteckige Fläche, welche keine Lücken aufweist, erhalten wir 1 Punkt für jedes Feld dieses Fläche, wofür sich die während der Partie gesammelten Türme als recht hilfreich erweisen. Außerdem kriegen wir 5 Extrapunkte, wenn es uns gelungen ist, unseren Heimatort vollständig (orthogonal und diagonal) mit Landschaftsteilen zu umschließen.
Auch auf der grünen Insel hält sich die Gepflogenheit, dass wir gewinnen, wenn wir die höchste Gesamtsumme erreichen. Wir stoßen mit einem Gläschen Tullamore Dew an und singen laut und kräftig: "It's a long way to Tipperary...".
Fazit
Tipperary ist also ein Legespiel. Als solches hat es natürlich viel Konkurrenz zahlreicher anderer Legespiele, welche in den letzten Jahren herausgekommen sind. Was unterschiedet Tipperary von diesen, wie kann es sich aus der Masse abheben, um ausreichend viele Spieler zu begeistern?
Da ist einmal der Kernmechanismus, nämlich auf welche Weise wir an die Landschaftsteile gelangen. Dies geschieht mit einem Drehteller, der - ähnlich wie bei Planet Unknown - jedem Spieler einen Sektor zuweist, aus dem er eines von zwei Plättchen wählen kann. Während allerdings beim Kennerspiel der jeweilige Startspieler einen Sektor frei bestimmt, und sich seine Mitspieler mit dem begnügen müssen, was sich in deren Sektor befindet, wird hier rein zufällig jedem Spieler ein Sektor zugewiesen, indem eine Drehscheibe schwungvoll zum Rotieren gebracht wird. Wir spielen sozusagen "Roulette", was aber für ein Familienspiel völlig okay ist.
Interessant sind auch die Größen und Formen der Landschaftsteile. Kleinere Teile (3 bis 4 Felder groß) sind naturgemäß wesentlich leichter unterzubringen, während die größeren Teile, welche aus bis zu 7 (!) Feldern bestehen, wirklich unförmig sind. Diese führen so teilweise zu Problemen, sie lückenlos in die eigene Auslage zu integrieren. Das steht im krassen Gegensatz zur Aufgabe, ein möglichst großes, geschlossenes Rechteck zu bilden, um damit ein Maximum an Punkten zu erzielen. Ein sehr reizvolles Dilemma.
Wichtig sind aber auch die auf den Teilen vorkommenden Landschaftsarten, welche unterschiedliche Wertungsmuster bzw. Vorteile mit sich bringen. Es gibt zwar nur wenige, leicht verständliche Legeregeln und vor allem keine Verpflichtung, irgendwelche Landschaften zwingend benachbart zu legen. Aber natürlich ist es vorteilhaft, wenn bestimmte Landschaften an andere grenzen. So werden Moore zu Schutzgebieten, welche (zufällige) Einzelplättchen bringen. Ruinen sorgen in Dreierreihen für Türme, mit denen am Spielende entstandene Lücken flexibel gefüllt werden können.
Mit Weiden und Wiesen versuchen wir, möglichst große Schafherden zu bilden. Dazu helfen auch willkommene Holzschafe, die es als Bonus bei einigen wenigen Landschaftsplättchen oder auf einigen Feldern der Whiskey-Leiste gibt. Damit lassen sich Schafherden vergrößern, sogar verstreute Schafe vereinen und mit der Hauptherde zusammenschließen. Dies ist auch in Hinblick auf die 5 Extrapunkte für die insgesamt größte Schafherde recht wertvoll.
Und schließlich sind da auch noch die Destillerien und Getreidefelder. Diese wollen wir abwechselnd aneinander platzieren, also Brennerei an Feld und umgekehrt, um auf der Whiskey-Leiste voranzukommen. Bei geschicktem Vorgehen ist es möglich, sein Fass auch mehr als ein Feld zu bewegen.

Es zählt also bei weitem nicht nur die Form eines Landschaftsteiles, sondern auch welche Landschaften sich wo darauf befinden, um einen optimalen Effekt zu erzielen. Hierbei sind doch mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Tipperary mag zwar ein lockeres Familienspiel sein, banal ist es jedoch auf keinen Fall. Kurzfristige Entscheidungen sind gefragt, kommt es doch darauf an, aus den gerade zur Verfügung stehenden Möglichkeiten das Beste herauszuholen, auch in Hinblick auf die weitere Entwicklung der Auslage. Taktik und Glück halten sich hier ziemlich die Waage, wie es bei einem guten Familienspiel auch sein soll.
Beim Spielmaterial wissen besonders die Holzteile (Fässer und Schafe) zu gefallen, während die Türme, welche vor der ersten Partie zusammengebastelt werden müssen, ein bisschen Klebstoff benötigen, um nicht ständig wieder auseinanderzufallen. Der Stoffbeutel ist für die richtig großen Landschaftsteile ein wenig zu klein geraten, weshalb man sie nicht so gut durchmischen kann, wie man gern wollte. Und die Grafik des Covers mit seiner eher tristen Stimmung macht nicht gerade Lust auf einen Irland-Urlaub. Im Großen und Ganzen ist aber alles sehr ordentlich und von guter Materialqualität.

Tipperary ist in unseren Spielrunden sehr gut angekommen, sowohl bei den Gelegenheitsspielern, bei denen es gerne als Hauptgang auf den Tisch kommt, als auch bei den erfahrenen Spielern, die es bevorzugt als Vorspeise, als Zwischengang oder als Dessert servieren. Dass es zu fünft genauso gut funktioniert wie zu zweit, wirkt sich ebenfalls sehr positiv aus. Und wenn schon der "große Bruder", das etwas taktischere Planet Unknown zum "Kennerspiel des Jahres 2023" gekürt wurde, kann man Tipperary wohl ebenfalls ohne Bedenken eine Empfehlung aussprechen.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.