Spielziel
"Mädels, schnallt Euch an - räumliches Denken ist gefragt!" Wenn mich dieses Spiel eines gelehrt hat, dann den Abbau eines Vorurteils: Erdbewohner weiblichen Geschlechts hätten keine dreidimensionale Vorstellungskraft. Diese wird zwingend benötigt, wenn man sich an das neueste Werk der Ubongo-Reihe heranwagt. Und die Endergebnisse zeigen eine geschlechterneutrale Ausgeglichenheit, wie sie zuvor meist von den Herren der Schöpfung gegenteilig prognostiziert wurde. Folgen wir also Herrn Rejchtman in die dritte Dimension.
Ablauf
Die im Spiel enthaltenen Legetafeln sowie die Edelsteine und die Sanduhr sind aus den vorherigen Ubongo-Versionen bestens bekannt. Hinzu kommen ein zehnseitiger Würfel und die nun dreidimensional gestalteten Bauteile, mit denen statt einer zweidimensionalen Fläche nun die Grundfläche auf 2 Ebenen ausgefüllt werden muss. Außerdem hat der herausgebende Verlag keine Mühen und Kosten gescheut und ein Lösungsheft beigelegt, in dem alle 504 Aufgabenlösungen fotografisch(!) abgebildet sind.
Pro Spielrunde erhält jeder Spieler eine Legetafel, auf der je Seite zwei Grundflächen abgebildet sind. Die (vermeintlich) leichtere Seite gibt das Bebauen einer der Flächen mit 3 Bauteilen, die andere mit 4 Bauteilen vor. Über den Würfel wird für alle Spieler bestimmt, welche Grundfläche sie mit welchen Bauteilen zu füllen haben. Nachdem alle Spieler diese identifiziert und aus dem Vorrat zu sich genommen haben, wird die Sanduhr umgedreht und der parallele Bauspaß bzw. die zeitgleiche Bauverzweiflung beginnt. Wer seine Fläche auf 2 Ebenen als Erstes komplett bebaut hat, darf einen ausliegenden Belohnungsstein nehmen und einen zusätzlichen blind ziehen. Gleiches gilt für die Nummer 2, lediglich die weiteren Spieler bekommen nur noch den blind gezogenen Edelstein.
Wer das jedoch nicht innerhalb der Zeitvorgabe schafft, geht leer aus. Sollte dies bei allen Spielern in einer Runde der Fall sein, gibt es eine zweite Chance für jeden durch nochmaliges Umdrehen der Sanduhr. In der zweiten Runde kann allerdings nur noch ein Spieler einen Edelstein erwerben, danach ist sofort Schluss.
Nach 9 Spielrunden endet eine Partie und die Auswertung der Punkte erfolgt anhand der erworbenen Edelsteine, die je nach Farbe unterschiedliche Punkte einbringen. Da die meisten dieser Steine durch blindes Ziehen erworben werden, hat also keineswegs sicher derjenige gewonnen, der immer innerhalb des Zeitlimits fertig wurde.
Fazit
Bei einer Serie, die aus einer Spielidee entwickelt wird, erwartet man bei neuen Versionen stets eine Steigerung zu dem oder den Vorgängern. In Bezug auf das Grundspiel und die Erweiterung Ubongo extrem ist dies hier nahezu mühelos gelungen.
Das sehr gute Spielmaterial lockt sofort alle Altersschichten und unterschiedliche Spielertypen an den Tisch. In entsprechender Umgebung hat jeder Spieler ungewollt eine Entourage hinter sich, die gerne bereit ist, durch mehr oder weniger sinnvolle Tipps unterstützend einzugreifen. Auch untereinander helfen die Spieler nach Lösung der eigenen Aufgabe gerne (und teilweise übereifrig) den Mitspielern bei deren Problemstellung. Nur in sehr wenigen Fällen wird daher eine strenge Einhaltung der Spielregeln befolgt, zumindest was das Ende einer Runde angeht. Auch wenn es keinen Edelstein mehr gibt, ist der Ehrgeiz der Teilnehmer nahezu ausnahmslos derart hoch, dass die Aufgabe dann eben zeitunabhängig gelöst wird. Zur Not auch mit Hilfe von Beratern.
Die Punktabrechnung und das Nehmen und Ziehen der Edelsteine wird tatsächlich zur Nebensache, und infolgedessen auch der Spielsieg. Oft ist die Erleichterung, die Lösung endlich hinbekommen zu haben, so groß, dass alle Boni und sonstigen Punktmöglichkeiten nicht sofort eingesackt werden. Durch die bessere Ausnutzung der Tafelflächen sind mittlerweile auch je Seite zwei Aufgaben untergebracht, was der Abwechslung bei häufigem Spielgebrauch gut tut.
Die schon bei Ubongo festgestellte und mich immer wieder verblüffende Tatsache ist auch bei dieser Ausgabe gegeben: JEDER Spieler schafft es, im Verlauf einer Partie mindestens eine Aufgabe innerhalb des Zeitlimits zu lösen und JEDER Spieler hat irgendwann das Brett vorm Kopf, welches die Tränen der Verzweiflung und die Schamesröte ein wenig verdeckt.
Begeisterung ist tatsächlich die treffendste Bezeichnung für das Spielgefühl der Tester dabei und danach. Der Aufgabenreiz ist so hoch, dass die eigentliche Wertung wie erwähnt in den Hintergrund rückt und zur absoluten Nebensache wird. Will man wirklich noch mehr von einem Spiel verlangen? Mag auch der im Vergleich zu anderen Familienspielen recht hohe Verkaufspreis abschreckend wirken, diese Investition ist aus drei Gründen lohnend:
- Sehr gut gestaltetes Spielmaterial
- Höchster Spielspaß für Beteiligte und Umstehende
- Möglichkeit zum Abbau von Vorurteilen (siehe Einleitung)
Auch ohne Provisionsvereinbarung würde ich es dem Verlag nicht übelnehmen, wenn bei weiteren Auflagen eine Spieleempfehlung von mir auf der Schachtel zu finden wäre. Möglicherweise wird dies aus Platzgründen nicht passieren, denn einen Kandidat für diverse noch bekanntere Spieleauszeichnungen gibt Ubongo 3-D auf jeden Fall ab.
Rezension André Beautemps
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.