Spielerei-Rezension
Gib mir all dein Gold! Oder Juwelen! Zur Not tun es aber auch ein paar gute Karten, Hauptsache, ich habe am Ende genug Punkte zusammen, um so der erfolgreichste Pirat Asiens zu werden. Wir schreiben das Jahr 1808 und die Möglichkeiten, mittels betrügerischer E-Mails oder auch als Bankberater anderen Leuten das Geld aus den Taschen zu ziehen, liegen in ferner Zukunft. Wer damals anderen Leuten ihren Besitz abluchsen wollte, musste das noch in (un)ehrlicher Handarbeit machen. Als einer von vier ambitionierten Seeräubern gilt es, die Anerkennung von Madame Ching zu erlangen. Und das geht bei der holden Dame am besten, indem man andere Schiffe versenkt, Schätze ansammelt und Fertigkeiten erlernt.
Doch bis es so weit ist, müssen wir erst mit unserer Dschunke raus aufs große, weite Meer. Bewegt wird mittels von Navigationskarten, von denen jede eine Zahl und eine Farbe zeigt, manchmal auch ein Symbol. Die Spieler legen pro Runde eine dieser Karten verdeckt aus und decken sie gleichzeitig auf. Wer die höchste ausgelegt beginnt und fügt die Karte seinem Expeditionsstapel hinzu. Ist die Zahl höher, wird die Reise auf dem gerasterten Spielbrett fortgesetzt, andernfalls wird eine neue Expedition gestartet. Um möglichst weit zu kommen, müssen wir also à la Keltis geschickt mit den Karten haushalten und eine möglichst lückenlose Reihe bilden. Während die Größe des Stapels die Weite der Expedition bestimmt, hat die Farbe einen Einfluss auf die Richtung. Haben alle Karten dieselbe Färbung, geht es schnurstracks geradeaus. Doch mit jeder neuen Farbe geht es weiter Richtung Süden, in Richtung Hongkong.Das muss kein Nachteil sein, denn wer als erster den Hafen erreicht, erhält Bonuspunkte. Und allgemein sind die südlicheren Felder gewinnbringender. Denn je höher die aufgedruckte Zahl des Felds, umso höher die Belohnung. Am unteren Rande des Bretts warten nämlich schon diverse Missionen, die automatisch erfüllt werden, indem man auf See weit genug kommt. Und der Preis für diese Mühen sind die angesprochenen Goldstücke und Juwelen, umso zahlreicher, je schwieriger die Mission.
Ja, und wann darf ich nun plündern? Eigentlich gar nicht. Auch wenn es die Anleitung impliziert, ist Gewalt hier keine Lösung, Madame Ching ist sogar ein größtenteils sehr friedfertiges Spiel. Andere Schiffe kapern oder große Seeschlachten für sich gewinnen wie in Korsaren der Karibik ist nicht. Und grübeln auch nicht: Das Autorenduo Bruno Cathala und Ludovic Maublanc, dem wir unter anderem Kyklades und die Spiele um Mr. Jack zu verdanken haben, hatten bei ihrer Version des munteren Piratentreibens die Familie im Blick, weniger die Hardcorestrategen. Erstere werden hier auch ihren Spaß haben, denn die Regeln sind relativ schnell begriffen, das Material farbenfroh, die Partien recht kurz.
Die schnelle Spieldauer geht hier auch damit einher, dass die Aussicht auf den Sieg weniger von planerischen Fähigkeiten als von einem glücklichen Händchen bestimmt wird. Wie so oft bei Kartenspielen sitzt auch hier Lady Fortuna immer mit am Tisch, und das gleich mehrfach. Die Navigationskarten bestimmen nicht nur den Ausgang der Expeditionen, haben sie die passenden Symbole, dürfen sie später zudem gegen Fertigkeitskarten getauscht werden, die einem das Piratenleben doch deutlich vereinfachen. Hinzu kommen spezielle Begegnungskarten, die man unterwegs unter bestimmten Voraussetzungen erhält. Diese können einem nicht nur Extrapunkte bescheren, sondern auch die Möglichkeit, seine Mitspieler mit diversen kleinen Aktionen zu nerven und so für ein bisschen Interaktivität in dem ansonsten eher solitären Spiel sorgen. Für sich genommen wird natürlich keine einzelne Navigations- oder Begegnungskarte spielbestimmend sein, dafür ist Madame Ching dann doch zu ausgeglichen, im Zusammenspiel ist der Glücksfaktor aber schon recht hoch. Schlechte Verlierer sollten also lieber prophylaktisch schon einmal etwas meditieren, denn so viel sich in den letzten zweihundert Jahren im Räubergeschäft getan hat, eins galt damals wie heute: Am Ende gewinnt nicht immer der, der es am meisten verdient hätte, sondern der, der vom Leben die richtigen Karten erhielt.
Rezension Oliver Armknecht
In Kooperation mit der Spielezeitschrift