Spielziel
Schon mal auf dem Siegertreppchen gestanden und eine Flasche Sekt geschüttelt, um sie anschließend unter großem Geschrei auf alle Anwesenden zu verspritzen? Am Ende einer Runde Formula Dé wünscht man sich schon mal, das Spielmaterial (und die Umgebung) wären Sekt-fest, um auch dieses Ritual spielen zu können. Denn offenbar gehört das ja zur Formel 1 dazu, und dieses Spiel versucht Rennatmosphäre zu vermitteln.
Ablauf
Vorwort: Sie kennen das Autorennspiel Formula Dé schon in einer alten Ausgabe und fragen sich, was macht die Neuauflage anders, womöglich besser? Dann können Sie am Ende dieses Absatzes eigentlich schon wieder mit dem Lesen aufhören, denn die Frage ist schnell beantwortet: Geändert wurde nicht viel, ein paar kleine Detail-Regelanpassungen, etwas anderes Spielmaterial, ansonsten ist eigentlich alles beim Alten geblieben. Stimmt nicht, könnte man jetzt aber auch anmerken, ein bisschen etwas wurde in der Neuauflage dann doch geändert : Ein neuer Spielmodus, nämlich Straßenrennen, wurde eingeführt. Dazu eine einsteigerfreundliche Anfängerregel sowie detaillierteres Spielmaterial. Ich meine trotzdem: Nett, aber nichts wirklich Entscheidendes. Wichtig zu wissen: Das alte und neue Spiel, insbesondere die Streckenpläne, sind miteinander kompatibel.
Spielaufbau: Viel Platz auf dem Tisch machen, den großen Plan auslegen, sich auf eine Startreihenfolge einigen, und die Autos platzieren. Schon geht es los. Die Motoren heulen auf, erster Gang. Mit ein oder zwei Feldern starten alle in die erste Runde. Nein, nicht alle, mit etwas Glück gelingt ein Traumstart oder ehe doch ein Alptraum: Motor abgewürgt, stehen bleiben. Gaspedal durchtreten, zweiter Gang: Bis zu vier Felder geht es vorwärts, und während die Vordersten schon bald die erste Kurve erreichen, passieren die Hintersten gerade mal die Startlinie.
Dabei wird es mitunter schon eng zwischen den Autos. Schnell passiert hier bereits der erste Crash. Zum Glück nur eine leichte Berührung, aber allzu oft kann man sich das nicht erlauben, denn viel hält so ein Rennwagen nicht aus. Langsam kommen die Auto in Schwung, dritter Gang. Vier bis acht Felder sind möglich, ab jetzt kann man versuchen sich abzusetzen oder aufzuholen. Auf in den vierten Gang, aber nicht zu schnell in die Kurve, sonst nimmt das die Reifen zu sehr mit und die sollen noch eine Weile reichen.
So in etwa beginnt eine typische Runde Formula Dé. Der Clou dabei sind die sechs verschiedenen Spezialwürfel, die die verschiedenen Gänge simulieren und mit denen jeweils die Zugweite bestimmt wird. In einigen Situationen muss zusätzlich noch mit dem Ereignisswürfel gewürfelt werden, der festlegt, ob das Auto in einer der sechs verschiedenen Kategorien Schaden nimmt.
Während des Rennens sind die Kurven das spielbestimmende Element. Für jede Kurve ist festgelegt, mit wie vielen Zügen man mindestens durchfahren muss. Damit ist eine Art Höchstgeschwindigkeit in den Kurven definiert; wer diese überschreitet und mit weniger Zügen durch die Kurve saust, muss erhöhten Verschleiß bzw. Schaden an seinem Auto hinnehmen. Besser also, man schaltet rechtzeitig runter, um mit einer angepassten Geschwindigkeit in die Kurve zu kommen. Das Schalten ist ebenfalls ein wichtiges, strategisches Element im Spiel, da man normal nur um einen Gang rauf oder runter schalten darf. Dadurch wird das Beschleunigen bzw. Abbremsen simuliert. Wer zu schnell ist, kann ein paar überzählige Würfelpunkte noch durch Bremsen oder Reifenverschleiß ausgleichen, sind diese Puffer aber erst einmal verbraucht, wird es eng.
Soweit die an sich recht überschaubaren Grundregeln. Es gibt darüber hinaus noch eine Reihe von Detail- und optionalen Zusatzregeln, wie Wetterbedingungen, unterschiedliche Reifen, sowie abhängig von der gefahrenen Rundenzahl auch unterschiedliche viele Verschleiß- und Reifenpunkte. Je mehr dieser Regeln mit ins Spiel aufgenommen werden, desto realitätsnäher bzw. taktischer wird das Spiel. Alle diese Details hier vorzustellen würde aber den Rahmen sprengen.
Neu in dieser Formula Dé-Ausgabe ist der Rennmodus Straßenrennen, für den auf der Rückseite des Spielplans eine weitere Strecke abgebildet ist. Auf dieser liefern sich verwegene Gestalten illegale Straßenrennen. Ganz neu kommt hier eine Gruppe von 10 Charakteren ins Spiel, die mit unterschiedlichen Vorlieben und jeweils einer speziellen Sonderfähigkeit ausgestattet sind. Für maximale Realität wurde sogar an ein Extraset Straßenautos gedacht, mit denen die bösen Jungs (und natürlich auch Mädels) ihre Runden drehen. Im Wesentlichen wurden die Grundregeln für diese Variante übernommen, einige zusätzliche Spielelemente wie Nitro-Einspritzung, eine Polizeistation mit Höchstgeschwindigkeitsmessung sowie spezielle Straßenabschnitte sollen für ein verändertes Spielgefühl sorgen.
Fazit
Es scheint bei Asmodee beliebt zu sein, bei Spielen möglichst auch eine Anfängervariante anzubieten, damit auch der unwillige Spielregelleser schnell und ohne viel Nachdenken losspielen kann. Ob das wirklich eine gute Idee ist? Versuchen Sie mal Mau Mau ohne Aussetzen und dem Ziehen von zwei Karten. Oder Skat ohne Trumpf - als Anfängerregel sozusagen. So etwas spielt man doch kein zweites Mal!
Ähnlich "spannend" fanden wir die neue Anfängerregel von Formula Dé. Wenn man nicht groß zählen mag und auch keine Lust hat, ein klein wenig über ein Spiel nachzudenken, kann man auch gleich nur ein bisschen würfeln und schauen, wer die höchste Zahl schafft. Wem das zu langweilig erscheint, dem kann ich nur empfehlen: Spielen Sie nach den Profiregeln! Es müssen nicht gleich alle Zusatzregeln sein, aber vor allem die detaillierten Autoschadenspunkte sind wichtig, damit ändert sich nämlich ein wesentliches Detail: Das Spiel wird spannend!
Formula Dé ist dann keine belanglose Würfelorgie, sondern hat (natürlich im Rahmen eines Würfel- und damit Glückspiels) einen relevanten strategischen Anteil. Denn man muss abschätzen, welcher Gang einen wie weit bringt. Oder ob sich das Risiko lohnt, wenn ein guter Wurf einen in Führung bringen, ein schlechter Wurf aber ein Desaster bis hin zum vorzeitigen Ausscheiden bedeuten kann. Langsam in die Kurve rein und schnell wieder raus, oder lieber im hohen Gang mit Schwung rein, stark abbremsen und durch? Es gibt einige taktische Möglichkeiten, und unterschiedliche Fahrstile haben wesentlichen Einfluss auf den Spielverlauf.
Vielleicht ist an dieser Stelle ein Vergleich zu Backgammon gestattet. Das ist auch "nur" ein Würfelspiel, trotzdem betonen erfahrene Backgammonspieler eher den hohen taktischen Moment als den Glücksspielcharakter. Ähnlich würde ich das bei Formula Dé auch sehen. Und das ist es, was dieses Spiel für mich auszeichnet und es zu einem wirklich gelungenen Spielerlebnis macht: Unkompliziertes Spiel, ausgewogene Mischung aus Taktik und Glück, stimmungsvolle Rennatmosphäre.
Ein Satz noch zur Spieldauer: Formula Dé will zügig gespielt werden. X-mal die Strecke abzählen, um die optimale Kurve zu finden, tötet jeden Spielspaß und macht das Spiel endlos. Ein Rennfahrer kann sich in der Kurve schließlich auch nicht umentscheiden. Dafür lieber zwei als nur eine Runde fahren. Die erste Runde wird oft noch stärker von der Startaufstellung und dem Würfelglück geprägt. Wer einmal hinten ist, braucht eben eine Weile, um aufzuholen. Zwei Runden hingegen sind genug, um einen Rückstand wieder aufzuholen. Außerdem wirken sich so die unterschiedlichen Fahrtaktiken stärker aus. Wer in der ersten Runde sein Auto überstrapaziert, um an die Spitze zu kommen, fällt in der zweiten Runde oft wieder zurück, da er nicht mehr so viel Reserven hat. In der dritten Runde verfestigt sich hingegen dann oft nur noch die bis dahin ausgespielte Reihenfolge. Das ist dann weniger spannend und die Spieldauer überschreitet dann schon mit drei, vier Spielern deutlich die 2-Stunden-Marke, was von vielen als zu lang empfunden wird.
Spielerzahl: Theoretisch kann man Formula Dé mit bis zu 10 Spielern spielen, bedingt durch die Notwendigkeit des Nacheinanderziehens nimmt die Spieldauer in großer Runde allerdings überproportional zu. Ob das noch Spaß macht, muss man einfach selbst ausprobieren.
Spielmaterial: Der Spielplan ist aus dickem Karton und recht groß, erfordert also ordentlich Platz. Mir gefällt das gut, die Strecke bleibt so übersichtlich, es wird nicht zu fummelig und die detailreiche Grafik trägt gut zum Spielgefühl bei. Die neuen Spielertableaus konnten mich auf Anhieb nicht so ganz überzeugen; zwar sind sie vielleicht etwas praktischer als vorher, aber einen kleinen Plastikstick in einem geschlitzten Stück Karton hin- und herzufummeln bringt mir dann doch kein Rennfealing. Das hätte für mich auch etwas abstrakter sein dürfen, aber das ist wohl eher Geschmacksache. Es funktioniert jedenfalls.
Zusammenfassend also eine nach wie vor sehr gelungene Rennspiel-Umsetzung. Für Besitzer der alten Formula Dé-Ausgabe gibt es aus meiner Sicht keinen gewichtigen Grund, zur neuen Version zu wechseln. Jedem anderen, der sich grundsätzlich für Rennspiele begeistern kann, sei dieses Spiel zumindest zum Testen empfohlen. Begeisterung für reale Autorennen muss man dafür übrigens nicht mitbringen. Ich selbst würde mir nie ein richtiges Autorennen ansehen, aber für eine Runde Formula Dé würde ich sogar nachts aufstehen. Es soll ja Leute geben, die das für Live-Rennen auch machen.
Fazit Straßenrennen: Schießende Anwohner und toughe Typen. Das sind die Zutaten, aus denen hier irgendwie nichts gemacht wurde. Die Variante scheint entweder mit sehr heißer Nadel oder aber einfach nur lieblos zusammen gemixt zu sein. Dabei bezieht sich diese Kritik nicht auf die Qualtität der durchweg guten und verständlichen Spielanleitung, sondern eher auf die Story und deren Umsetzung.
Wenn man ein Rennen nach den normalen Regeln gefahren ist und anschließend den Straßenrennmodus probiert, wird kein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Varianten deutlich. Die eigentliche Änderung sind die definierten Fahrer, die aber eigentlich nur eine Individualisierung darstellen, wie man sie auch selbst vornehmen kann.
Außerdem sind die individuellen Vorteile der Fahrer teilweise absurd. Bei uns passiert: Der vor mir fahrende Spieler mit der etwas abstrusen Sonderfähigkeit, sein Autoradio vor Wut aus dem Fenster zu schmeißen, nutzt seine Fähigkeit, woraufhin ich bei der Schadensbestimmung einen Getriebeschaden erleide. Das sorgte für ausgiebiges Gelächter bei der Überlegung, wie er das Radio wohl geschmissen haben könnte, aber letztendlich konnte danach das Spiel niemand mehr ernst nehmen, und so richtig dringend weiterspielen wollte auch keiner mehr.
Aufmachung, Grafik und Geschichte des Straßenrennens sind offensichtlich bewusst dumm-proletenhaft gehalten. Zudem wird mit einer zwanghaft wirkenden Slang-Sprache scheinbar versucht, eine eher jüngere Spielergruppe zu erreichen. Ob das funktioniert, kann ich nicht beurteilen, ich empfinde es eher als peinlich, bzw. glaube, das mit etwas mehr Mühe sicherlich eine bessere Variante möglich gewesen wäre. So bleibt ein aufwendiges, mit viel Material versehenes, inhaltlich und spielerisch unausgegoren wirkendes Möchtegern-Straßenrennen, das die Qualitäten des Hauptspiels nicht erreicht. Wenn man es allerdings nur als Dreingabe betrachtet, stört es auch nicht weiter, nur kaufen würde ich die neue Ausgabe dafür nicht.
Rezension Michael Timpe
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.