Spielerei-Rezension
Spielerei Herbst 2009: Mit El Presidente zum ersten Tanz im Rumcafé
Ein schnittiger Straßenkreuzer der Luxusklasse fährt vor, El Presidente steigt aus und setzt mal eben eine neue Verordnung in Kraft. So können wir uns das Szenario vorstellen, das auf Cuba für neuen Planungsbedarf sorgt. Das Grundspiel blieb erhalten: Jeder besitzt eine Plantage mit Rohstoff- und Baustoff-Feldern, in jeder Runde stehen jedem alle Hilfskräfte in Form von 5 privaten Personenkarten zur Verfügung und deren Aktionen werden nacheinander und reihum ausgeführt: Roh- und Baustoffe bringt der Arbeiter, die Händlerin kauft und verkauft dieselben, der Architekt baut mit den passenden Baustoffen neue Gebäude, der Vorarbeiter aktiviert Gebäude und produziert dabei Siegpunkte, Geld oder Waren aus den Rohstoffen, und der Bürgermeister verschifft Güter gegen Siegpunkte. Auch das ist nicht neu: wer die meisten Siegpunkte bei Spielende hat gewinnt.
Auch die so genannte Parlamentsphase ist geblieben. Zur Erinnerung: von den 5 Personenkarten werden nur 4 ausgespielt, der Stimmwert der Fünften zählt für die Abstimmung über den neuen Gesetzesvorhaben (Steuergesetze, Subventionsgesetze, Baugesetze zum Beispiel). Bestechungen sind möglich, wir befinden uns schließlich gerade in einem Parlament, und der Sieger aus dieser "Debatte" darf zwei der 4 ausliegenden Gesetzesvorschläge aktivieren. 8 neue Gesetzesvorschläge (2 für jede Kategorie) bringt El Presidente mit: Z. B. subventioniert ein Gesetz den aktuell Letzten auf der Siegpunktleiste, ein anderes besteuert die Siegpunkte. Da die Zahl der Gesetzesvorschläge von bislang 6 pro Kategorie auf 8 gestiegen ist, kann sich die Zahl der Spielrunden auf 8 erhöhen.
Eine weitere Neuerung sind 6 neue Schiffe, die jetzt auch mal das Verschiffen von Holz und das Verschiffen von Orangen als Monokultur erlauben.
Und 6 neue Gebäude gibt es: Das Zollamt ist ein billiges Gebäude (kostet nur 1 Stein, 1 Holz) für destruktive Spieler. Man kann damit einen der begehrten Schiffsplätze blockieren, ohne allerdings selber Siegpunkte zu erhalten. Meistens lohnt sich so eine Gemeinheit eher nicht, da jeder mit seinen Ressourcen besseres zu tun gedenkt, als nur anderen in die Suppe - pardon in die Schiffsladung - zu spucken. Interessanter ist da schon das Strandcafé, kostet genau so viel. Das braucht nämlich nicht aktiviert zu werden, und man kann es trotzdem nutzen und eine der schon genutzten Alternativfunktionen von Händlerin, Bürgermeister oder Architekt wiederholen. Zum Beispiel hat die Händlerin schon ihren Roh- oder Baustoff verschenkt, der Strandcafé-Besitzer lädt sie zu einem fiktiven Espresso ein und wird ebenfalls beschenkt. Andere müssten für kostbare Pesos auf dem Markt kaufen.
Weniger interessant scheint der Zeitungsverlag (für 2 Stein und 2 Holz zu erwerben), der wurde in meinen Spielrunden noch nie gebaut. Damit sichert man sich ein Presseplättchen, mit dem man einen der 4 Gesetzesvorschläge markiert. Sollte dieser nicht die Parlamentsabstimmung passieren, gibt es einen Siegpunkt und einen Peso. Das wird nur dann richtig lohnend, wenn der Pressevertreter auch das Parlament bestimmt und dafür sorgt, dass er Peso und Siegpunkt bekommt. Andere werden ihm kaum den Gefallen tun, es sein denn, dieses spezielle Gesetz würde sie erheblich benachteiligen.
Das Herzstück aller Neuerungen sind allerdings die Aktionen von 6 Cubanern, die als Karte auf dem neuen Spielplan auf 6 Feldern Platz nehmen, und von denen jeder Spieler pro Runde genau einen seinem Personal einreihen muss - keine Sorge, sie sind alle nett zum aktuellen Dienstherren. Bei weniger Spielern werden arbeitsfreudige Cubaner durch so viele störrische Esel ersetzt, dass bei Runden-Ende immer ein Cubaner übrig bleibt. Bei 2 Spielern darf jeder 2 Mal zugreifen, funktioniert gut.
Die Tänzerin ist immer dabei und ihr Partner ist sofort neuer Startspieler - oder Spielerin. Das wurde ohne El Presidente wie die Parlamentswahl über die ungenutzte eigene Personenkarte geregelt, allerdings ohne Bestechung und bei Gleichstand mit automatischem Startspieler-Wechsel. Jetzt könnte der aktuelle Startspieler immer Startspieler bleiben, schließlich hat er Kraft seines Status ersten Zugriff auf alle Aktionen und Karten. Dann entgehen ihm allerdings die anderen Dienste der neuen Cubaner, z. B. die Ernte vor dem Vergammeln zu retten, 2 Pesos zu kassieren, eine Gebäudefunktion noch einmal nutzen. Und da warten natürlich auch Schiffe, die gegen Siegpunkte zu beladen sind. Die werden gerne von anderen gefüllt, wenn man nicht flott zuschlägt.
Und was noch zu bedenken ist, zum nicht engagierten Cubaner fährt am Ende der Runde die Limousine des Präsidenten und setzt die Verordnung in Kraft, die zu dem Kartenfeld gehört. Anmerkung: die Cubaner-Karten werden jede Runde neu auf die Felder verteilt, die Aktionen der Kartenfelder sind auf den neuen Plan aufgedruckt, somit ändert sich in jeder Runde die Zuordnung. Und auch das kann gewisse Zwänge auslösen: Will ich, dass der Führende 2 Siegpunkte abgeben muss oder dass in der nächsten Runde die Parlamentsphase entfällt und alle 4 Gesetzesvorschläge automatisch in Kraft treten? Dann muss ich eventuell genau hier eingreifen. Ich kann eine Verordnung sicher verhindern, indem ich den zugehörigen Cubaner engagiere.
Es gilt also noch mehr als bei Cuba die Interessanlage der anderen zu beobachten und darauf zu reagieren. Und man sollte unbedingt vorausplanen - peinlich, wenn man in seinem Rumcafé für Hochprozentiges Siegpunkte bekäme, die zugehörige Schnapsbrennerei aber auf anderen Plantagen steht, oder man im Baurausch das Rumcafé auf einer Zuckerrohr-Plantage errichtet hat. Dann kann man zwar noch die Händlerin bemühen, die verkauft alles, aber meist teuer, und Geld ist knapp, sehr knapp. Bestechungen und Steuern leeren schnell die Kassen. Vielfältige Möglichkeiten, den Mitspieler (und sich selbst!) auszutricksen ändert auch das Wirken von El Presidente nicht. Wer gerne plant, auch mal die Schadenfreude der anderen vertragen kann und nicht so leicht die Übersicht bei komplexen Spielabläufen verliert findet mit dieser Erweiterung neue, interessante Herausforderungen. Eine ausführliche Rezension von Cuba ist in der Spielerei Heft 78/März 2008 nachzulesen.
Rezension Lotte Schüler
In Kooperation mit der Spielezeitschrift