Spielziel
Ja ja, die Kamele! Wie gerne finden wir diese geduldigen Wüstenschiffe bei Ystari! Und immer wieder für einen anderen Zweck. Heute sammeln wir die Vierbeiner an den Wasserstellen und je mehr wir davon haben, umso aktiver sind wir auf dem Spielfeld.
Ablauf
Euphrat und Tigris durchschlängeln unseren Spielplan und zwischen diesen beiden Flüssen liegt fruchtbares Land, das wir zu besiedeln versuchen; Hüttenbauen ist auch außerhalb dieses Landstriches möglich, bringt aber scheinbar nicht so viele Siegpunkte.
Der Spielablauf ist schnell erzählt, aber um einiges vielschichtiger, als er in Worte zu fassen ist: Jeder Spieler entscheidet sich für ein Kartenpaar, auf dem verschiedene Früchte abgebildet sind; und je mehr bzw. scheinbar bessere Karten man wählt, umso später ist man an der Reihe (Spielerreihenfolge!). Von seinem zuerst platzierten Zikkurat (so etwas wie ein Tempel) aus setzt nun jeder Spieler seine Hütten, deren Bewohner er anschließend mit seinen Nahrungskarten ernähren muss. Nicht ernährte Personen (Hütten) werden wieder vom Spielplan genommen. Stehen nun drei (oder auch mehr) eigene Hütten außerhalb des Zweistromlandes im Dreieck beieinander, kann dazwischen kostenlos ein (oder auch mehrere) Brunnen gebaut werden, die anfangs reichlich und später immer noch genügend Prestigepunkte (= Siegpunkte) einbringen und keine Kamele kosten.
Dann gibt es Kamele für alle Hütten auf den Flüssen und Siegpunkte für Hütten auf dem Plan. Auch die Zikkurate und deren Ausbauten darf man sich anrechnen.
Nach der Siegpunktevergabe kann jeder Zikkurate bauen bzw. erweitern, sich als Intrigant am Hofe Assurs bewerben oder den Göttern opfern, je nachdem wie viele Kamele ihm zur Verfügung stehen. Nach der zweiten, fünften und achten Runde kommt es zum Hochwasser, was soviel wie eine Wertung bedeutet:
- Alle Hütten auf den Flüssen, das sind die, die uns so nett Kamele gebracht haben, werden überschwemmt und vom Spielplan genommen (sie kommen zurück in den Vorrat der Spieler).
- Die Einflüsse bei den Würdenträgern bringen nun Siegpunkte – wer am meisten investiert hat, erhält die meisten Siegpunkte, der zweite schon weniger … wer dort keine eigenen Spielfiguren stehen hat, bekommt auch keine Punkte.
- Dann erhält man für den oberen Würdenträger Siegpunkte, für den mittleren eine Pflugkarte (gilt als Joker beim „Ernähren“) und für den unteren gibt’s Kamele.
- Nun werden noch Siegpunkte für die Opfergaben verteilt; die Anzahl der dargebrachten Opfer wird mit der Anzahl der eigenen Zikkurate multipliziert.
Das Spiel endet nach der dritten Herrschaftszeit bzw. nach dem dritten Hochwasser. Eine Abschlusswertung gibt nochmals Prestigepunkte für jede Zikkuratsstufe, für die Pflugkarte und möglicherweise für nicht gebrauchte Kamele.
Fazit
Nachdem der Titel Euphrat und Tigris schon vergeben war und außerdem kein „Y“ beinhaltet, befinden wir uns also in Assyrien. Und was Signore Ornella hier wieder aus dem Hut gezaubert hat, ist hervorragend! Ein Spiel, das in sich stimmig ist, einige Wege zum Sieg aufzeigt und doch noch genügend Platz für den Glücksfaktor bereithält. Sehr schön! Aber versuchen wir mal, die einzelnen Dinge zu bewerten:
Das Spielmaterial ist wie immer hervorragend, auf das Mindeste reduziert, aber es fehlt auch nichts. Die Qualität ist super und schnell ist alles aufgebaut. Anfangs vermisst man allerdings eine kleine Übersicht zum Ablauf des Spiels für jeden Spieler. Gezwungenermaßen behilft man sich schließlich mit der Spielregel, denn auf der letzten Seite wurde der Ablauf kurz zusammengefasst. Die Spielregel lässt keine Fragen offen. Höchstens die eine: Warum geht es bei Ystari eigentlich ständig um Kamele?
Bei zwei bzw. drei Spielern wird der Spielplan einfach verkleinert, farbige Markierungen lassen die Grenze vermuten; wem dies zu wenig ist, der kann ja einfach ein paar nicht gebrauchte Hütten auf die Außenfelder setzen. Die Regel wurde so angepasst, dass auch in kleinerer Besetzung Spannung aufkommt und man nicht einfach nur vor sich hinspielt.
Gemein, aber sehr wichtig ist zuerst, dass man in jeder Runde alle Hütten (bzw. deren Bewohner!) ernähren muss. Kommt am Anfang meist die Frage, ob denn die Hütten überhaupt ausreichen, so wird diese im Laufe des Spiels von selbst beantwortet.
Und schon steht die Frage im Raum, wie man zum Sieg kommt. Hier ist – und das ist ja auch gut so - keine klare Aussage möglich! Folgende Dinge können dazu führen, dass man am Schluss die Kamelnase vorn hat:
- Brunnen: Vorraussetzung ist der Bau von Hütten außerhalb des Zweistromlandes. Das bringt wenig Punkte für die Wertung, aber die Brunnen zählen schon heftig! Nicht zu vergessen ist hier auch die Regel, dass ein neues Zikkurat nicht an einen Brunnen gebaut werden darf! Brunnen allein werden jedoch nicht zum Sieg führen.
- Zikkurate bauen: Das Grundelement ist scheinbar sehr teuer (6 Kamele!), außerdem muss man dafür auch eine Hütte opfern; aber jedes Zikkurat und jedes Mittelstück/Dach bringt Siegpunkte - bei jeder Wertung. Außerdem hat man dadurch mehr Möglichkeiten, eigene Hütten zu setzen, nachdem diese in Verbindung zu einem eigenen Zikkurat stehen müssen. Gleichzeitig engt man damit auch die Möglichkeiten der Gegner ein. Zikkurate sind eine wichtige Grundlage, werden aber allein wohl nicht zum Sieg führen.
- Opfergaben: Je mehr Zikkurate man besitzt, umso eher wird man auf Opfer setzen! Nicht bei der ersten Wertung, aber bereits bei der zweiten sind hier schon gute Siegpunkte einzufahren. Opfergaben allein werden aber sicherlich auch nicht zum Sieg führen.
- Möglichst viele Hütten im Zweistromgebiet: Diese Hütten bringen je zwei Punkte, deren Bewohner müssen jedoch auch ständig ernährt werden. Und außerdem kann man dort keine Brunnen bauen. Dies allein wird also ebenfalls nicht zum Sieg führen.
- Spielerreihenfolge: Ständiges Dilemma, dass man viel Nahrung braucht, will man davon aber viel haben, kann man als Letzter in der Runde möglicherweise nur zuschauen. Da heißt es, den richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Waren zu verbinden. Mitentscheidend für den Sieg, gerade wenn es sehr „eng“ zugeht.
- Intrigen am Hof: Diese bringen viele Siegpunkte ein. Aber nur darauf zu schielen, wird einem nicht den Sieg bescheren!
Ja, so kann man wohl als Siegstrategie bezeichnen, dass eine gute Kombination der genannten Möglichkeiten zum Gewinn des Spieles führt. Und richtig schön ist es wieder einmal, dass alle Spieler ihren Weg finden wollen – und das geht oft nur dadurch, andere Spieler zu behindern, auszubremsen, zu blocken bzw. einfach schneller als sie zu sein!
Ein durch und durch gelungenes Spiel liegt vor uns! Assyria kann ich für 2, 3 und 4 Spieler durchwegs empfehlen, auch deswegen, weil jede Neuaufnahme anders abläuft. Dabei sind jene Leute, die „strategische“ Spiele mögen und Erfahrung darin mitbringen, sicher etwas im Vorteil. Wer hier einfach so darauf losspielt, wird kein Kamel gewinnen.
Für alle anderen gilt: Auf die Kamele - fertig - los!
Rezension Alfons Leierseder
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.