Spielziel
Recherche ist alles im Journalismus, zu dem ja auch wir Spielekritiker gehören. Und als gewissenhafter Rezensent vertraut man nicht einfach nur einer Spielgeschichte, sondern checkt die Fakten. Nicht alles, was es da an Anleitungen von Spielen gibt, hält einer fundierten Überprüfung stand. Bei EDO wurde aber im Vorfeld gut gearbeitet, alle Zahlen und Daten stimmen mit meinen zuverlässigsten Quellen (Google, Wikipedia) überein: Edo (jap. "Flusstor") ist der frühere Name der japanischen Hauptstadt Tokio. Es war der Sitz des Tokugawa-Shogunats, welches Japan von 1603 bis 1868 beherrschte, und gab dieser Periode der japanischen Geschichte die Bezeichnung Edo-Zeit. Während dieser Epoche wuchs Edo zu einer der größten Städte der Welt und besaß eine pulsierende städtische Kultur nach dem Gedanken der "fließenden Welt".
Ablauf
Der Spielplan spiegelt freilich nicht ganz die historischen Gegebenheiten wider. Rund um das zentrale Edo sind die anderen Städte sowie Reisfelder, Wälder und Steinbrüche eher schön gleichmäßig verteilt. Dazu befinden sich noch drei Flussfelder in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, sowie ein paar Grenzposten in der Peripherie. Ein ebenso regelmäßiges Straßennetz verbindet die einzelnen Orte miteinander.
Nachdem wir uns spielerisch im Zeitalter der Siegpunkte befinden, verwundert es nicht, dass auch bei EDO der Erwerb dieser - hier "Machtpunkte" genannt - das Um und Auf ist. Die meisten Machtpunkte erhält man im Laufe des Spiels durch den Bau von Gebäuden. So bringt ein Haus 1 Machtpunkt, ein Kontor schon deren 2, und eine Festung stolze 3 Machtpunkte. Für das Bauen werden allerdings Rohstoffe (Holz und/oder Stein) sowie Geld (Ryo) benötigt, außerdem braucht man dazu Personal in Form von Beamten und Samurais, welche wiederum mit Reis entlohnt werden müssen.
Die naheliegende Frage lautet deshalb: Wie kommt man an all dies? Bei EDO wird alles durch Aktionen geregelt. Klingt nicht gerade originell, aber die Art und Weise, wie dies hier geschieht, ist doch sehr reizvoll. Alle Aktionen kommen auf so genannten Erlaubniskarten vor. Jeder Spieler besitzt zu Beginn drei Erlaubniskarten, auf denen je vier verschiedene Aktionen abgebildet sind. Mit einigen Aktionen kann Reis geerntet, Holz gefällt oder Stein abgebaut werden. Andere Aktionen ermöglichen das Rekrutieren neuer Beamter oder das Entsenden von Beamten auf den Spielplan, wo sie dann als Samurais agieren. Wieder andere erlauben den Bau von Gebäuden in einer Stadt, den Erwerb neuer und vor allem vorteilhafterer Erlaubniskarten, den Handel mit dem umherfahrenden Händler, etc.
In jeder Runde planen zuerst alle Spieler gleichzeitig ihre Aktionen, indem sie die Erlaubniskarten ihrer gewünschten Aktionen in ihr Planungstableau stecken. Drei Aktionen können auf diese Weise vorgeplant werden, wobei die Karten praktischerweise als Sichtschirm für die eingeteilten Beamten dienen. Anschließend führen die Spieler mit dem Startspieler beginnend im Uhrzeigersinn jeweils ihre erste Aktion aus, danach reihum die zweite Aktion und dann die dritte Aktion. Die Spielrunde endet mit ein paar Verwaltungsaufgaben. Zum einen schüttet jede Stadt an die Spieler mit den meisten Gebäuden ein paar Ryo aus, zum anderen müssen die Spieler jeden Samurai, den sie auf dem Spielplan belassen wollen, mit Reis versorgen.
Hat noch kein Spieler mindestens 12 Machtpunkte erreicht, wird der Startspielerstein weitergereicht und eine neue Runde beginnt. Anderenfalls folgt eine Schlusswertung, in der die Spieler noch Machtpunkte für Samurais auf dem Spielplan und verbliebenes Geld erhalten. Wer nun die meisten Machtpunkte besitzt, gewinnt das Spiel.
Fazit
Nachdem die Erlaubniskarten den Hauptmechanismus des Spiels darstellen, ist es angebracht, etwas genauer darauf einzugehen. Die Karten schauen auf den ersten Blick verwirrend aus, bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch eine Symbolik, die durchaus logisch und verständlich ist. Die Aktion selbst wird durch ein einfaches Piktogramm dargestellt. An der Unterseite jeder Aktion ist angegeben, wie oft eine Aktion überhaupt durchgeführt werden kann. Einige besonders starke Aktionen, wie etwa das Anwerben eines neuen Beamten, können nur ein einziges Mal getätigt werden, andere hingegen öfters, bis zu viermal, je nachdem, wie viele Beamte man dafür abgestellt hat.
Dann gibt es einen Unterschied, ob für eine Aktion nur ein Beamter benötigt wird, der sozusagen seine Arbeit vom Schreibtisch aus erledigt, wie beispielweise die Beschaffung von finanziellen Mitteln. Oder ob man dafür zusätzlich einen Samurai vor Ort braucht. Ein Beispiel für Letzteres ist die Reisernte, bei der für jeden aktivierten Beamten auch ein eigener Samurai auf einem Reisfeld zugegen sein muss. Vor dem Aufdecken seiner Erlaubniskarte hat jeder Spieler die Möglichkeit, beliebig viele seiner Samurais auf dem Spielplan zu bewegen, allerdings muss für jedes gezogene Feld 1 Ryo als Reisekosten bezahlt werden.
Als knifflig kann sich das Problem erweisen, wenn man zwei Aktionen in einer Runde durchführen möchte, die sich beide auf derselben Erlaubniskarte befinden. Zwar gibt es in einigen Fällen eine etwas schlechtere Option auf einer anderen Erlaubniskarte, aber meist ist man gezwungen umzudisponieren. Mit dem Kauf einer neuen Sondererlaubniskarte - es gibt stets fünf offene im Angebot - hat man ab der nächsten Runde eine größere Auswahl an Aktionsmöglichkeiten und steht nicht mehr so oft vor diesem Dilemma.
Sehr beliebt sind natürlich die Aktionen, bei denen man neue Rohstoffe erhalten kann. Allerdings gibt es dafür keinen fixen Ertrag. Vielmehr hängt dieser davon ab, wie viele Figuren sich auf dem entsprechenden Feld aufhalten. Steht man alleine in einem Steinbruch, erhält man 3 Steine, zu zweit sind noch 2 Steine drin, zu dritt nur mehr einer. Bei mehr als drei Figuren hätte man sich die Mühe (und die Aktion) sparen können, weil man dann gar nichts mehr abbekommt. In den Wäldern und auf den Reisfeldern funktioniert es auf dieselbe Art. Höhere Nachfrage bedingt also einen geringeren Ertrag; wirkt fast ein bisschen wir Marktwirtschaft.
Aus diesem Grund ist EDO weniger strategisch als taktisch orientiert. Für die Planung seiner Aktionen muss man die jeweilige Situation am Spielplan berücksichtigen. Auch die Rohstoffbestände der Mitspieler können Aufschluss über deren mögliche Aktionen geben. Aufgrund dieser Überlegungen und einiger Zwänge durch die Erlaubniskarten kann es manchmal ein wenig dauern, bis auch der letzte Spieler seine Planung abgeschlossen hat. Die Durchführung der einzelnen Aktionen geht dann aber relativ flott voran.
Große Strategien gibt es also keine. Obwohl es mehrere Möglichkeiten gibt, an die wertvollen Machtpunkte zu gelangen, führt dies zu keiner signifikanten Differenzierung in der Vorgehensweise. Gebäude wird jeder bauen wollen, denn sie sorgen neben dem notwendigen Nachschub an Geld auch für den Großteil der Punkte. Übrigens muss jeder Spieler in der Hauptstadt mindestens ein Haus gebaut haben, sonst scheidet er noch vor der Schlusswertung aus.
Mit dem Händler kann man während des Spiels zusätzliche Machtpunkte erhalten. Wer die Aktion "Handel" wählt, zieht die Händlerfigur zu einem seiner Samurais (Reisekosten bezahlen!), und darf dann eine der beiden aktuellen Handelsmöglichkeiten nutzen: Entweder die angeführten Rohstoffe zu einem Fixpreis kaufen oder die angegebenen Rohstoffe in einen Machtpunkt tauschen. Nachdem der Händler eine Aktion kostet, wird man letztere Option meist nur dann wählen, wenn man gerade über ausreichend Material verfügt. Willkommene Machtpunkte zwar, aber in all meinen bisherigen Partien war kein Spieler gezielt darauf aus.
Auch bei der Schlusswertung gibt es zwei Möglichkeiten für Machtpunkte. Verbliebenes Geld kann noch in Machtpunkte umgemünzt werden. Da der Wechselkurs aber sehr ungünstig ist - 50 Ryo bringen gerade mal einen Machtpunkt -, sind alle Strategien, die darauf abzielen, für die Schlusswertung viel Geld zu sammeln, zum Scheitern verurteilt. Erfahrungsgemäß versucht man in den letzten Runden höchstens, die noch fehlenden Ryo für eine runde Summe zusammenzubringen.
Als wesentlich attraktiver für die Schlusswertung stellen sich die Samurais heraus. Da jede Figur auf dem Spielplan am Ende einen Machtpunkt zählt, lohnt es sich, in der letzten Runde so viele wie möglich mit der Aktion "Reise" noch einzusetzen. Allerdings muss dann auch für die erforderlichen Reisvorräte gesorgt werden. Wem es gelingt, alle seine Samurais unterzubringen, kann sich so immerhin über - meist spielentscheidende - fünf Machtpunkte freuen.
Das Spielmaterial lässt (fast) keine Wünsche offen: reichhaltig, hochwertig (stabile Plättchen, viele Holzteile), schön gestaltet und gut durchdacht. Die Spielregeln sind - wie heutzutage üblich - in zwei Teile gegliedert: Ein Übersichtsblatt erklärt die Bestandteile und den Aufbau, das eigentliche Regelheft ist gut aufgebaut und reich bebildert. Dennoch muss ich zwei Kleinigkeiten kritisieren: Die unauffälligen Marker, die jeweils fünf Rohstoffe repräsentieren, passen optisch nicht ins Bild, ein paar Holzteile mehr hätten bei dem hohen Ladenpreis - EDO kann man nicht gerade als Schnäppchen betrachten - sicher noch drin sein können. Und für nicht produzierende Ertragsstellen (je eine pro Rohstoffart) sind zwar Abdeckplättchen vorhanden, um Fehler zu vermeiden, bräuchte man jedoch auch Markierungen für die entsprechenden Orte.
Mit EDO haben Louis und Stefan Malz (Vater und Sohn!) ein erstaunliches Erstlingswerk abgeliefert. Die Einstiegshürde ist zwar ziemlich hoch, dafür wird man aber mit einem anspruchsvollen Spiel entschädigt, das alleine schon deshalb immer wieder gerne herausgeholt wird, um in früheren Partien gemachte Fehler auszumerzen und die eigene Vorgehensweise zu optimieren. Nach dem eher für Gelegenheitsspieler gedachten Kingdom Builder endlich wieder ein Spiel mit Tiefgang für erfahrene Spieler.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.