Spielerei-Rezension
Kris Burm ist ein konsequenter Mensch. Er hält fest an seinen Ideen und Ideologien und ist auch bereit, dafür einiges, im wahrstens Sinne des Wortes, aufs Spiel zu setzen. Sein Credo heißt: „Das abstrakte Spiel lebt, blüht und gedeiht“; das Spiel heißt Gipf und sein Risko war die Gründung einer eigenen Firma, um sein Spiel so zu produzieren, wie er sich das vorstellt. Spiel ist eigentlich fast zu wenig, denn Gipf ist ein Projekt, doch davon will ich etwas später berichten.
Gipf gaukelt einem äußerlich nichts vor, weder von der Schachtel noch vom Spielmaterial her. Man sieht sofort, dass es sich dabei um ein abstraktes Denkspiel handelt. Für viele sicherlich bereits ein Grund, die Schachtel wieder zu schließen und sich anderem zuzuwenden. Schade, kann ich da nur sagen, und die Tatsache lautstark bedauern, dass Abalone bereits erfunden wurde. Warum? Denn würde man den optischen Reiz von Abalone mit der Klasse von Gipf kombinieren, man hätte ein Spiel, das beinahe optimal wäre. So fehlt Gipf leider der optische Reiz, der Aufforderungs-charakter, das haptische Erlebnis. Aber was es auf dieser Seite zu wenig hat, holt es auf der spielerischen locker auf und das lässt die Kritikerwaage dann letztendlich ausschlagen.
Das Spielbrett von Gipf erinnert sofort an Abalone. Es besteht aus 37 Punkten, die in einem Sechseck angeordnet sind. Jeder Spieler erhält 15 Steine, mit denen er nun das Spiel zu bestreiten hat. Wie sehr oft bei solchen Spielen sind die Regeln furchtbar einfach, in einer Minute erklärt, das Spiel selbst aber ist alles andere als simpel. Wer am Zug ist, muss einen seiner Steine von außen in das Spielfeld einschieben; kann er das nicht, hat er verloren. So einfach ist das. Liegt auf dem Einspielpunkt bereits ein Stein, egal welcher Farbe, wird er in Schiebrichtung weitergeschoben bzw. werden alle angrenzenden Steine in dieser Richtung weitergeschoben; es sei denn, die Reihe ist bereits voll; dann nämlich ist ein Einschieben in dieser Richtung nicht möglich.
Nun, alles war das aber noch nicht. Denn sonst würde der Anziehende mit Sicherheit verlieren. Nein, ein kleines Detail fehlt noch: Wann immer vier Steine einer Farbe in einer Linie liegen, muss der Spieler sie herausnehmen und seiner Reserve zuführen, um sie erneut einzusetzen. Liegen dabei auch andersfarbige Steine benachbart zu dieser Viererkette, so werden auch sie aus dem Spiel genommen, aber nicht an den Besitzer zurückgegeben, sondern gelten als Gefangene.
Das aber war es jetzt wirklich. Zumindest das Grundspiel. Eine kleine, aber wichtige Änderung erfolgt nämlich beim Übergang zum Standardspiel. Hier stellt jeder Spieler dreimal 2 Steine übereinander und diese werden zu Beginn der Partie auf die sechs Ecken des Spielfeldrandes gestellt. "Gipfsteine", so heißen diese, haben nun zwei Funktionen: Zum einen muss man sie, so sie Teil einer eigenen Viererkette sind, nicht in die Reserve übernehmen - man kann aber, wenn man will; denn sie verlieren zwar ihren Gipfstatus und werden zu zwei gewöhnlichen Steinen (was in großer Not von Vorteil sein kann), aber man verliert nun auch dann, wenn man alle drei Gipfsteine eingebüßt hat, was auch durch Gefangennahme passieren kann.
Das Konzept der Gipfsteine bereichert das Spiel ungemein und fügt ihm noch eine dritte Gewinnkomponente hinzu. Und das ist es auch , was mir (im Gegensatz zu Abalone, mit dem es wohl am ehesten - aber zu unrecht, denn Gipf ist besser - verglichen werden wird) so gut daran gefällt. Auch wenn ich von der Steinezahl her zu verlieren drohe, kann ich mit geschickter Spielweise noch immer gewinnen (wenn ich es z.B. schaffe, den Gegner am Nachschubholen zu hindern, wenn er also keine Viererkette bilden kann). Natürlich wird es, je weniger Steine man hat, immer schwieriger, aber die Möglichkeit ist da, auf drei unterschiedliche Arten zu gewinnen, was dem Spiel eine enorme Tiefe und Vielfalt gibt. Und wer noch eins draufsetzen will, der versucht die Turniervariante, die einzig und allein darin besteht, dass nun jeder Spieler selbst entscheiden kann, mit wievielen Gipfsteinen er spielen will. Diese werden zu Beginn des Spiels eingesetzt, und wer einmal einen einfachen Stein gespielt hat, darf danach keinen Gipfstein mehr ins Spiel bringen.
Soweit, so gut, aber das ist nur der Anfang. Nein, keine Angst, jetzt kommen nicht noch all die Regeldetails, die ich vergessen habe. Nein, das oben war wirklich alles. Was aber noch kommt, ist ein höchst interessantes Konzept, von dem ich aber nur die Idee berichten kann. Gipf ist nämlich nicht einfach ein Spiel, sondern ein Projekt, in dem Gipf das Zentrum bildet. Rundherum sollen eine Reihe von Spielen entstehen, die mit Gipf auf höchst interessante Weise verknüpft sind (Update Mai'04: Mittlerweile sind in dieser Reihe die Spiele Gipf, Tamsk, Zertz, Dvonn und Yinsh erschienen).
Es wird nämlich spezielle Spielsteine, sogenannte Potentiale geben, die man bei Gipf verwenden kann. Um das aber zu tun, muss man ein anderes, kleineres Spiel zuerst gewinnen, d.h., die Gipf-Parte wird unterbrochen, um in einem weiteren Spiel zu klären, ob man nun ein spezielles Potential einsetzen kann oder nicht. Ich selbst kenne noch keines dieser Potentiale, habe aber Berichte von Spielern gelesen, die einige testen durften - und was sie erzählten, klang recht vielversprechend.
Kris Burm konnte in der Zwischenzeit sogar bei einem größeren Verlag unterkommen, denn Schmidt-Spiele (ehemals Blatz) hat es seit Nürnberg in seinem Programm und ich kann den dort Verantwortlichen nur zu ihrer Entscheidung gratulieren, denn Gipf hätte es verdient, zum Erfolg zu werden. Ein erster Schritt ist mit der Aufnahme in die Nominierungsliste zum "Spiel des Jahres 1998" bereits getan. Wollen wir hoffen, dass noch weitere folgen werden.
Rezension Helmut Wresnik
In Kooperation mit der Spielezeitschrift