Spielziel
"Nein! Nicht schon wieder!"
So reagieren meine Mitspieler, wenn ich ein Zeichenspiel auf den Spieltisch bringe. Und sie haben im allgemeinen Recht, denn bis auf ein paar Hardcore-Partyspieler braucht so etwas niemand mehr. Pictionary, Activity und wie sie alle heißen, hängen einem schon zum Hals raus. Wenn dann trotzdem sogenannte "Neuheiten" auf den Markt kommen, stellt man schnell fest, dass es doch wieder nichts anderes ist als irgendwelche Begriffe kritzeln bzw. das Gekritzel der Mitspieler möglichst schnell zu erraten.
Doch das letzte Mal war es anders. Die anfängliche Ablehnung war zwar noch im üblichen Maße, als ich Pictomania vorschlug. Ich musste meine ganze Überzeugungskraft aufwenden, um die Runde zum Ausprobieren des neuesten Spiels des Tschechen Vlaada Chvátil zu bewegen. Eine halbe Stunde später sprach niemand mehr von einem "öden Zeichenspiel". Ganz im Gegenteil, sogar die Partyspiel-Muffel hatten eine Menge Spaß dabei, weshalb ich dem werten Leser das Spiel auf keinen Fall vorenthalten möchte.
Ablauf
Es wird also gezeichnet bei Pictomania. Natürlich gehören Aufgabenkarten zum Spielmaterial, die Spieler können ja nicht einfach bloß irgendwas zeichnen. Hier sind auf jeder Aufgabenkarte sieben Begriffe angedruckt, die alle zu einem bestimmten Thema passen. Auf einer der einfachen Karten finden sich zum Beispiel lauter Begriffe rund ums Wetter: Schnee, Regen, Sonnenschein, Hagel, Blitz, Sternschnuppe und Regenbogen. Sechs Aufgabenkarten werden zufällig gezogen und so auf die beiden Kartenhalter gesteckt, dass jeder Karte ein Symbol zugeordnet ist.
Um zu ermitteln, wer welchen Begriff darzustellen hat, zieht jeder Spieler zwei Karten, die er ansieht und dann verdeckt vor sich hinlegt. Eine Symbol-Karte legt das Thema fest, eine Zahlenkarte hingegen, um welchen der sieben Begriffe es geht. Da jede Symbol- und Zahlenkarte nur einmal vorkommt, ist gewährleistet, dass jedes Thema nur einem einzigen Spieler zugeteilt ist; dasselbe gilt auch für die Zahlen. Als letzte Vorbereitung erhält jeder Spieler Tipp-Kärtchen in den Werten von 1 bis 7, sowie einige Wertungsplättchen. Außerdem werden noch - abhängig von der Spielerzahl - ein paar schwarze Bonusplättchen in der Tischmitte bereitgelegt.
Nachdem jeder nun weiß, was er zu Papier bzw. aufs Zeichentableau bringen soll, geht's los. Gleichzeitig zeichnen die Spieler ihre Begriffe und versuchen zudem zur selben Zeit, die Begriffe ihrer Mitspieler zu erraten, wobei da natürlich die Karten auf den Kartenhaltern stets konsultiert werden können. Wer glaubt, die Zeichnung eines Mitspielers erkannt zu haben, gibt geheim seinen Tipp ab, indem er sein Tipp-Plättchen mit der entsprechenden Ziffer verdeckt auf den Tippstapel des Spielers legt. Wer mit Zeichnen und Raten fertig ist, darf sich ein Bonusplättchen nehmen. Die Runde endet, sobald das letzte Bonusplättchen (es gibt eines weniger als Spieler mitmachen) seinen Besitzer gefunden hat.
In der darauf folgenden Wertung werden die Tipps abgerechnet. Für korrekte Tipps erhalten die Spieler Wertungsplättchen mit Siegpunkten, die umso höher ausfallen, je früher ein Tipp abgegeben wurde. Jeder Wertungspunkt, der aufgrund eines falschen Tipps nicht vergeben wurde, verringert die Punkteausbeute des Zeichners. Auch die gesammelten Bonusplättchen können noch Extra-Punkte bringen. Nach fünf Runden gewinnt der Spieler mit der insgesamt höchsten Siegpunktezahl.
Fazit
Bei einem Zeichenspiel erwartet man Stifte und Papier in Form von Zetteln oder Blöcken. Diese sucht man bei Pictomania jedoch vergebens. Vielmehr finden wir mit einer klaren Folie beschichtete Zeichentableaus, abwischbare Filzstifte und sogar kleine Wischtücher in der Schachtel. Eine geniale, Papier sparende Lösung. Schade nur, dass so die "Kunstwerke" der Nachwelt nicht erhalten bleiben ;-). Andere Teile des Spielmaterials geben hingegen Anlass zu Kritik. So sind die Kartenhalter aus Pappe ziemlich ungeschickt und im Grunde genommen sogar unbrauchbar, weshalb wir die Karten nicht mehr in den Halter gesteckt, sondern unter die Symbole gelegt haben. Der Verlag hat allerdings bereits in der 2. Auflage - erkenntlich an der Schachtel mit blauem Hintergrund - reagiert und stabile Kartenhalter aus Plastik beigefügt. Auch liegen der Neuauflage richtige Wischschwämme bei, sodass nun alles reibungslos funktioniert.
Den Reiz des Spiels macht natürlich die Verwendung recht ähnlicher Begriffe aus. Hier hat Vlaada Chvátil hervorragende Arbeit bei der Wahl der Themen und Begriffe der Aufgabenkarten geleistet. Für die Spieler gilt es daher, sich wirklich alle Begriffe einer Karte durchzulesen, um die Unterschiede sowohl genau genug zu treffen als auch erkennen zu können. Das ist gar nicht so einfach, wie ich am Beispiel der Aufgabenkarte "Tische" demonstrieren möchte: Konferenztisch, Schminktisch, Schreibtisch, Nachttisch, Sekretär, Küchentisch und Couchtisch. Da sind Zeichner und Ratender gleichermaßen gefordert.
Dem Spiel liegen Aufgabenkarten in vier Farben bei, welche einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Die grünen Karten sind ja noch relativ leicht und schon für Kinder ab 9 Jahren geeignet, da sie meist konkrete Objekte betreffen. Aber mit den orangefarbenen und blauen Karten steigt schon der Anforderungscharakter. Da kommen abstrakte Begriffe vor, Gemütszustände, Tätigkeiten, etc. Und die extremen violetten Aufgaben sind überhaupt nur mit viel Phantasie, abstraktem Vorstellungsvermögen und Symbolik zu lösen. Oft riefen die Aufgaben bei uns kollektives Kopfschütteln und Raunen hervor, weshalb ich auch hier mit den sieben Begriffen einer Karte ein (abschreckendes?) Beispiel nennen will: Wahrheit, Anstand, Selbstlosigkeit, Loyalität, Moral, Prinzipientreue und Solidarität. Oft braucht man da ein wenig Glück, um nur ja nicht genau jene Begriffe zugeteilt zu bekommen, bei denen man keine Ahnung hat, wie man sie unmissverständlich darstellen soll. Eine Spielrunde sollte daher - auch in Hinblick auf Alter und Zusammenstellung der Gruppe - eingangs entscheiden, welchen Aufgaben sie sich stellen möchte, dann gibt es keine Einbußen beim Spielspaß.
Das Punktesystem wirkt anfangs etwas kompliziert und ist daher gewöhnungsbedürftig, ist aber durchaus sinnvoll. Bereits die Regelung, dass nicht vergebene Wertungsplättchen für den Zeichner negativ zählen, ist Anreiz genug, sich beim Zeichnen möglichst um eine verständliche Darstellung zu bemühen. Ernsthaftes Raten wiederum wird nicht nur durch gewonnene Wertungsplättchen belohnt. Spieler, die mit Zeichnen und Tippen fertig sind, können sich ja eines der ausliegenden Bonusplättchen nehmen und damit 1 bis 3 Extrapunkte sichern. Dies ist allerdings nicht ganz ohne Risiko. Jener Spieler, der nämlich in einer Runde die meisten falschen Tipps abgegeben hat, wird als das "schwarze Schaf" bezeichnet. Für ihn zählt ein eventuell genommenes Bonusplättchen statt Pluspunkten sogar Minuspunkte. Klingt alles etwas verwirrend, man stellt aber schnell fest, dass nur so seriöses und sinnvolles Spielen - auch bei Partyspielen sollte der Wettbewerbsgedanke gelten - möglich ist und hat dann das Prozedere rasch verinnerlicht.
Der Faktor "Zeit" spielt natürlich eine gewisse Rolle, schließlich gibt es für schnellere richtige Tipps höhere Punkte. Vor allem in den ersten Runden mit leichteren Aufgaben sorgt dies für viel Hektik. Da passieren leicht Fehler, da man stressbedingt zu wenig auf andere Begriffe oder Lösungen geachtet hat. Mit Fortdauer des Spiels sinkt der Zeitdruck, denn die schwierigeren Aufgaben bedürfen meist einer gewissen Überlegung bzw. einer sorgfältigeren Zeichnung. Es muss öfters um die Ecke gedacht werden, mit der Folge, dass die Runden wesentlich länger dauern und nicht mehr ganz so hektisch ablaufen.
Pictomania hat sich bei uns aus all diesen Gründen, vor allem aber wegen des wirklich enormen Unterhaltungswertes zum beliebtesten Partyspiel gemausert. Somit sei es auch allen Spielern wärmstens ans Herz gelegt, die damit meist nur wenig anfangen können. Ausprobieren lohnt sich wirklich!
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.