Spielziel
Was für ein trostloser Anblick! Verfallene Seetürme, verlassene Meeresruinen, ja selbst das Meer macht einen deprimierenden Eindruck: Die Farbe ähnlich der Donau bei Hochwasser -schlammig-braun-grün, darüber schweben dichte Nebelschwaden. Dies alles zeugt vom Niedergang des einst mächtigen Reiches Titania.
Bevor meine Leser nun Wikipedia bemühen oder den Begriff "googeln": Nein, Titania gibt es nicht wirklich, dieses Fantasiereich dient nur als Kulisse für das Spiel aus dem Hause Hans im Glück.
Ablauf
Womit unsere Aufgabe schon feststeht: Wer sonst als wir Spieler kommt dafür in Frage, die Seetürme wieder zu errichten und Titania in neuem Glanz erstrahlen zu lassen? Und um anzuzeigen, dass wir mit Tatendrang und frischem Mut ans Werk gehen, sind die Segel unserer Schiffe, mit denen wir uns auf den Weg machen, in den leuchtend-optimistischen Farben rot, gelb und blau gehalten. Dies sind aber nicht die Spielerfarben, vielmehr werden die Schiffe von uns allen gemeinsam bewegt. Ausgehend von den drei Startfeldern in der Mitte des Spielplans werden Schiffe so auf die Sechseckfelder gesetzt, dass sie an gleichfarbige Schiffe angrenzen. Die Schiffe werden also nicht wirklich über den Plan gezogen, sondern es werden zusammenhängende Netze gebildet.
Als Motor zum Einsetzen der Schiffe dienen uns Schiffskarten. Die meisten Schiffe auf den Karten weisen Segeln in einer der drei Farben auf, es gibt jedoch auch welche mit Segeln zweier Farben, eine Art Joker also. Sind wir an der Reihe, spielen wir bis zu drei Handkarten aus und setzen jeweils ein entsprechendes Schiff aus dem Vorrat ein. Bei einem Joker müssen wir uns für eine der beiden Farben entscheiden. Dabei dürfen auf jedem Feld höchstens 2 Schiffe stehen, welche zudem unbedingt unterschiedliche Farben haben müssen. Außerdem können Turmfelder nicht befahren werden. Zum Abschluss unseres Spielzugs ziehen wir Karten nach. Die Summe der gespielten und nachgezogenen Karten ergibt dabei stets 3. Je mehr Schiffe wir einsetzen, umso weniger Karten können wir daher nachziehen. Setzen wir ganz aus, können wir dementsprechend 3 Karten vom Stapel ziehen.
Jedes Feld hilft uns auf unserer Sanierungsmission. Während in den Außenbereichen des Plans eine Abbildung auf jedem Feld deutlich zeigt, was wir darauf zu erwarten haben, sorgt dichter Nebel um die Startfelder herum dafür, dass wir - wie man so schön sagt - "im Trüben fischen". Erst wenn wir ein Schiff auf ein solches Feld ziehen, wird das darauf befindliche Nebelplättchen umgedreht und offenbart, was wir darauf vorfinden. Auf den meisten Feldern erhalten wir Muscheln, die unverzichtbare Währung von Titania, mit der wir später punkteträchtige Seetürme bauen können. Daneben gibt es noch Felder, die uns Seesterne, zusätzliche Schiffskarten, Punkteplättchen oder direkte Siegpunkte liefern.
Wenn wir ausreichend Muscheln gesammelt haben, können wir endlich die Baufelder - die mit den Kränen - ansteuern. Nur auf diesen können wir die verfallenen Seetürme wieder aufstellen, als Belohnung winken 3 Siegpunkte pro errichtetem Stockwerk. Für jeden Turm können wir jedoch nur die farblich passenden Muscheln einsetzen. Die Kosten richten sich dabei nach der Höhe des gebauten Stockwerks. So kostet beispielsweise der unterste Bauteil eines grünen Turmes lediglich 1 grüne Muschel, der 3. Stock eines Turmes schon 3 entsprechende Farbmuscheln. Höher als 4 Stockwerke darf jedoch kein Turm gebaut werden - das wäre aber ohnehin nicht lukrativ. Wir dürfen übrigens beliebig viele Stockwerke an verschiedenen Türmen bauen, solange diese an ein Baufeld angrenzen.
Auch Seesterne können uns wertvolle Punkte einbringen. Wenn wir auf einem Feld Seesterne einsammeln, können wir sie für später aufheben oder aber auch sofort (eventuell zusammen mit bereits vorher gesammelten Seesternen) auf Turmfeldern einsetzen. Für jedes Turmfeld müssen wir so viele Seesterne entrichten, wie Türme abgebildet sind. Punkte erhalten wir dann für jeden Turm sowie für jedes errichtete Stockwerk. Dies bewirkt, dass man Seesterne erst im späteren Spielverlauf sinnvoll einsetzen kann. Um anzuzeigen, dass wir ein Turmfeld abgerechnet haben, wird ein Seestern auf das entsprechende Feld gelegt, in Folge bringen uns dort neue Etagen übrigens je 4 statt 3 Siegpunkte.
Sobald wir das letzte Schiff einer Farbe einsetzen, endet die erste Epoche. Für die zweite Epoche legen wir alle Schiffe sowie die Seesterne wieder in den Vorrat zurück, räumen die Nebelplättchen ab, mischen sie und verteilen sie wieder verdeckt auf die Nebelfelder. Nach der 2. Epoche, die genauso verläuft wie die 1. Epoche, gewinnt schließlich jener Spieler mit den meisten Punkten.
Fazit
Verlag Hans im Glück, Autor Rüdiger Dorn und Grafiker Michael Menzel, das ist eigentlich eine tolle Kombination. Leider hält Titania nicht ganz was es verspricht. Vom Spielmaterial zwar gewohnt solide, ist die recht düstere Gestaltung aber sicher nicht Menzels Meisterstück, auch wenn sie wahrscheinlich genau so vom Verlag beabsichtigt war. Zudem sind die Zählsteine bei schlechter Beleuchtung sehr schwer voneinander zu unterscheiden. Mich persönlich hat das optische Gesamtbild jedenfalls nicht unbedingt angesprochen oder zum Spielen animiert, da hilft auch die wirklich gut aufgebaute Spielregel nicht darüber hinweg.
Das Spiel selbst funktioniert - was anderes hätte ich von Rüdiger Dorn, der uns schon so viele tolle Spiele geliefert hat, auch nicht erwartet. Aber irgendwie kann mich Titania als Vielspieler nicht begeistern. Taktiker stört die relativ hohe Streuung durch die Nebelplättchen, welche dem einen mehr, dem anderen weniger Muscheln bringen. Das Kartenglück kann ebenfalls eine Rolle spielen, wenn einer partout nicht die richtigen Schiffsfarben nachzieht, während andere vielleicht ständig Joker erhalten. Daher ist auch großartiges Vorausplanen nicht möglich und das Spiel plätschert eher ohne große Höhepunkte dahin. Die Spielunterbrechung zur Mitte des Spiels finde ich da besonders störend, sie ist auch thematisch nicht wirklich nachvollziehbar.
Grundsätzlich gefällt mir der Mechanismus mit dem Karteneinsatz und -nachschub ganz gut, damit lässt sich auch schön taktieren. Vor allem beim Rundenende heißt es da genau auf die Möglichkeiten der Mitspieler zu achten, um nicht am Schluss auf unnötigen Karten sitzenzubleiben. Doch selbst dies kann nicht über eine gewisse Beliebigkeit im Spielverlauf hinwegtäuschen. Die hohe Erwartungshaltung aufgrund der Konstellation Verlag, Autor und Grafiker führt somit zu einer gewissen Enttäuschung.
Als Familienspiel hingegen kann Titania durchaus punkten, wenn auch die nicht gerade fröhlichen Illustrationen jüngere Spieler nicht unbedingt ansprechen. Der schnelle Einstieg, die mittlere Komplexität, welche bewirkt, dass auch Neulinge kaum Nachteile gegenüber Kennern haben, und das ausreichend hohe Handlungspotential kann gerade bei Gelegenheitsspieler Anklang finden. Ein weiteres Plus ist, dass das Spiel in jeder Besetzung gleich gut funktioniert.
Titania ist somit kein schlechtes Spiel, als verwöhnter Kenner der Hans im Glück-Spiele ist man nur etwas anderes, meist besseres gewohnt. Aber natürlich kann nicht jedes Spiel aus diesem Hause auch wirklich ein Hit sein. Ich bin mir allerdings sicher, dass uns schon eine der nächsten Veröffentlichungen vom Verlag und/oder Autor wieder restlos zufrieden stellen wird.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.