Spielziel
"Sich mit fremden Federn schmücken" bedeutet soviel wie die Leistung anderer als die eigene ausgeben. Ich würde diese Redewendung nicht direkt auf die Politik beziehen, da fallen mir ganz andere Sprichwörter und Phrasen ein, einige davon nicht jugendfrei. Friedemann Frieses neuestes Spiel mit den üblichen zwei "F" im Spieletitel dreht sich jedoch um die Gunst von Wählerstimmen. Jeder Spieler schlüpft dabei in die Rolle eines Politikers, dem auf dem Weg zum Wahlerfolg jedes Mittel recht ist.
Ablauf
Die Wählerstimmen - der Leser hat es sicher schon erraten - werden durch Siegpunkte dargestellt, von denen es im Laufe des Spiels natürlich möglichst viele zu sammeln gilt. Die Ausgangssituation ist aber für jeden eher bescheiden. Jeder Spieler besitzt den gleichen Satz an Startkarten: ein paar Geldkarten im Wert von je einer Münze ("Väterlicher Freund") und ein paar Karten, die ihm einen geringen Bekanntheitsgrad bescheren ("Lokale Zeitung", "Lokales Radio", etc.). Drei Wahlhelfer stehen ihm zudem bereit, ihn in den verschiedenen Büros des Ministeriums bei der Beschaffung besserer Geldmittel sowie beim Rühren der Werbetrommel und anderer hilfreicher Tätigkeiten zu unterstützen.
In der ersten Phase jeder Runde - Planung - zieht jeder Spieler 5 Karten seines Nachziehstapels und wählt dann verdeckt eine Karte aus. Mit dieser Karte wird die anschließende Spielerreihenfolge ermittelt. In der zweiten Phase - Aktion - schicken die Spieler ihre Mitarbeiter ins Ministerium. In Spielerreihenfolge setzt jeder Spieler einen Wahlhelfer in ein leeres Büro, bis alle Wahlhelfer platziert wurden. Danach folgt die 3. Phase Kauf und Erfolg, in der die Spieler mit ihren finanziellen Mitteln (bestimmte Büros sowie passende Handkarten) ausliegende Karten kaufen können und Siegpunkte (aus Büros, Handkarten und Siegpunktmarkern) erhalten. Abschließend folgt die Phase Aufräumen, in der die nächste Runde vorbereitet wird.
Wer am Spielende die meisten Siegpunkte (= Wählerstimmen) sammeln konnte, setzt sich bei der Wahl gegen die anderen Kandidaten durch und wird neuer Präsident. Und nebenbei gewinnt er auch die Partie ;-)
Fazit
Fremde Federn - den Spieletitel bezieht Friedemann Friese aber auch auf sich. Er hat sich nämlich für dieses Spiel von einigen anderen Spielen inspirieren lassen und sich Mechanismen ausgezeichneter Spiele bedient. Trotzdem erweist er sich nicht als klammheimlicher Dieb sondern eher als Gentleman-Gauner, da er seinen geistigen Diebstahl nicht nur in der Spielregel anführt, sondern sich auch vorher die ausdrückliche Erlaubnis der betroffenen Spieleautoren geholt hat.
Donald X. Vaccarino gestattete ihm, das innovative Deckbau-Element seines preisgekrönten Dominion zu verwenden. Auch bei Fremde Federn kann man sein eigenes, anfangs nicht sonderlich effektives Kartendeck durch Zukauf stärkerer Karten verbessern. Das für den Kauf notwendige Geld kann hier sowohl durch Handkarten als auch durch das Besetzen passender Büros beschaffen werden. Einen gravierenden Unterschied gibt es allerdings bei den Siegpunkten. Während bei Dominion die gesammelten Siegpunkt-Karten erst am Schluss gewertet werden, werden hier nun die Siegpunkte aus den Handkarten, besetzten Büros und Siegpunkt-Markern (dazu später) jede Runde sofort auf einem Erfolgspfad notiert.
Eine weitere Anleihe stammt aus dem Spiel Agricola von Uwe Rosenberg. Mit "worker placement" werden die Wahlhelfer-Figuren in leere Büros eingesetzt, wo sie dann ihren Besitzern Vorteile, wie etwa Geld oder Siegpunkte bringen. Besonders wichtig sind die Büros "Öffentliche Ausschreibung", die man unbedingt für den Erwerb neuer Karten braucht. Andere Büros erlauben das Abheben zusätzlicher Karten vom eigenen Nachziehstapel, das Verdoppeln von Karteneffekten, etc. Jede Runde kommt ein neues Büro hinzu, was ebenfalls an Agricola erinnert. In der Aufräumphase wird in jedes diese Runde nicht gewählte Büro ein Siegpunkt-Marker gelegt, was sie in Folge attraktiver macht.
Anders als bei Dominion stehen hier nicht gleich alle Karten zum Kauf zur Verfügung. Bei der Kartenauslage hat sich Friese am Spiel Im Wandel der Zeiten von Vlaada Chvátil orientiert. Die 55 Aktionskarten sind in 5 Abschnitte eingeteilt, mit zunehmenden Kosten aber auch steigenden Effekten. Zu Beginn jeder Runde stehen 11 Karten zur Auswahl, wobei für die Karten in der rechten Kartenreihe zusätzliche Kosten zu entrichten sind. In der Aufräumphase rücken verbliebene Karten nach links, um rechts Platz für neue Aktionskarten vom Stapel zu schaffen.
Doch wie fügen sich diese verschiedenen Elemente zusammen? Erstaunlich gut, wie ich feststellen konnte. Zwar hatte ich in den ersten Partien das Gefühl, dass der Startspieler einen Vorteil hätte, da er immer zuerst Zugriff auf attraktive Büros hat, sich ungestört die besseren Karten im Angebot sichern kann und dadurch auch in Folge leichter wieder den Startspieler stellen könnte. Das Rezept für die anderen Spieler liegt darin, eine andere Strategie als der Startspieler zu verfolgen, um ihm gegenüber nicht ständig das Nachsehen zu haben.
Und Strategien gibt es tatsächlich ein paar unterschiedliche. Man kann sich etwa darauf konzentrieren, stets viele Wahlhelfer zu haben. Die violetten Aktionskarten ermöglichen das Anheuern zusätzlicher Wahlhelfer (z.B. "Kleine PR-Aktion"), welche zwar am Ende der Runde wieder abgegeben werden müssen, aber das Besetzen zusätzlicher Büros erlauben. Dadurch kann man in einer Runde öfters agieren als seine Mitspieler.
Aus Dominion bekannt ist die Strategie, die darauf abzielt, viele Karten vom Stapel nachziehen zu dürfen, wofür die blauen Karten und Büros zuständig sind. Mehr Karten bedeuten nicht nur eine größere Chance auf Aktions-, Geld- und Siegpunktkarten, sondern auch einen schnelleren Kartendurchlauf, wodurch auch neue Karten früher zum Einsatz kommen.
Auch eine Geldstrategie kann zum Erfolg führen. Der forcierte Kauf von gelben Karten (z.B. "Freunde in der Industrie") sorgt dafür, dass man stets liquid ist und sich so stärkere Karten leisten kann. Selbst wenn man dabei etwas die Siegpunkte vernachlässigt, kann dies beim lukrativen Erwerb von Doktortiteln (z. B. "Dr. jur.") in den letzten Runden des Spiels wieder wettgemacht werden. Hierbei wird nämlich jede dafür ausgegebene Münze direkt in Siegpunkte umgewandelt.
Man kann sich darauf spezialisieren, hauptsächlich Siegpunkte zu generieren. Die grünen Siegpunktkarten und die entsprechenden Büros bringen jede Runde die darauf angegebenen Punkte ein. Die Karten "Landesweites Radio" (3 Siegpunkte) finde ich dabei attraktiver als die teuren Karten "Auflagenstärkste Tageszeitung" (10 Punkte), da sie bereits ab der 2. Runde ins Spiel kommen und daher weit häufiger aktiviert werden als letztere. Wer also von Anfang an nur darauf schaut, so viele Siegpunkte wie möglich zu sammeln, setzt sich früh ab und kann vielleicht später nicht mehr eingeholt werden.
Eine weitere Vorgehensweise zielt darauf ab, sein Deck nicht unbedingt zu vergrößern, sondern im Gegenteil vernünftig abzuspecken. In vielen "Deckbuilding Games" ist es ein probates Mittel, schwächere oder die eigene Taktik störende Karten zu entsorgen, also ganz aus dem Spiel zu entfernen. Bei exzessiver Nutzung dieser Möglichkeit kommt jede gewählte Strategie wirkungsvoller zur Geltung. Und auch die roten Störkarten, wie "Führerschein" oder "Hochschulabschluss", welche man manchmal gezwungenermaßen nehmen muss, wird man auf diese Weise wieder los.
Der Leser wird die Farbhinweise im Text schon bemerkt haben: violette "Wahlhelfer"-Karten, blaue Nachzieh-Karten, gelbe Geldkarten, grüne Siegpunktkarten, rote Störkarten, dazu noch graue Karten "für Spezielles". Friese hat sich sichtlich bemüht, den Spielablauf mit dem Farbcode zu vereinfachen, denn die Farben geben auch an, wann eine Karte überhaupt gespielt werden darf. Trotzdem tauchen im Spiel immer wieder Sonderfälle auf, die man sich in den ersten Partien mühsam heraussuchen muss. Hat man sich aber einmal durchgearbeitet, läuft es dann umso reibungsloser ab.
Dass Fremde Federn trotzdem nicht restlos überzeugen kann. hängt mit der längeren Spieldauer zusammen. Es ist mit Sicherheit kein lockeres Kartenspielchen. Eine Runde kann sich mitunter ganz schön ziehen, wenn Grübler am Tisch sind, viele Wahlhelfer zum Einsatz kommen und/oder viele Karten nachgezogen werden. Es gibt drei Bedingungen für das Spielende, aber interessanterweise traten in jeder meiner Partien alle drei zur selben Zeit auf: In der 11. Runde wurde der letzte Doktortitel gekauft und gleichzeitig erreichte ein Spieler 95 oder mehr Siegpunkte. Je nach Spielerzahl dauert das Spiel zwischen 90 und 150 Minuten.
Ein weiterer Grund dafür, dass das Spiel bei uns trotz der guten Mechanismen nicht ganz so gut ankam wie die meisten anderen Spiele vom Grünschopf Friese liegt wohl darin, dass Grafik und Thema etwas den typischen 2F-Witz vermissen lassen. Grafiker Harald Lieske hat zwar einige bekannte Szenen aus der Politik ironisch auf Karten umgesetzt (zum Beispiel den an Putin erinnernden Angler mit nacktem Oberkörper), aber von seinem Kollegen Maura sind wir schon Schärferes, Pikanteres gewöhnt.
Alles in allem ist Fremde Federn aber nach wie vor ein gutes Spiel, das die verschiedenen Elemente aus den drei genannten Spielen auf gelungene Weise kombiniert, und dessen Feinheiten man erst nach ein paar Partien kennenlernt. Ich spiele es gerne wieder und möchte auch noch ein paar Sachen ausprobieren. Ich würde mir aber gleichzeitig wünschen, dass es etwas weniger mechanisch und nicht ganz so trocken daherkäme...
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.