Spielziel
"Lookout Games" - dieser Verlag stand seit seinem Erscheinen stets für hochklassige, taktisch bzw. strategisch orientierte Spiele mit sehr geringem Glücksfaktor. Der einzige Zufallsmoment in allen Spielen des Verlags resultierte bis dato aus den darin vorkommenden Karten. Als Paradebeispiel sei hier das vielfach preisgekrönte Agricola angeführt, bei dem etwa 300 verschiedene Karten für sehr abwechslungsreiche und gleichzeitig anspruchsvolle Partien sorgen. Auf der Schachtel des neuesten Werkes fällt jedoch - ausgerechnet im Firmen-Logo! - ein in Klammer gesetzter Zusatz auf: "mit Würfeln". Ist dies als Warnung zu verstehen oder will man damit eine neue Zielgruppe erreichen?
Ablauf
In Feudalherren schlüpfen die Spieler in die Rollen von Baronen im tiefen Mittelalter. Dabei entwickeln und bevölkern sie ihre eigenen Ländereien mit dem Ziel, in der Gunst des Königs stärker zu steigen als die Mitspieler. Das Lehensgut besteht aus einem Lehensplan mit 64 Feldern (8 x 8), von denen 49 bebaut werden können. Vier Felder davon werden mit einem Bergfried abgedeckt, dem Stammsitz des Barons, auf dem später Soldaten und Befestigungen platziert werden können. Der Rest des Lehens ist bis auf einen einzelnen Wald anfangs noch vollkommen leer und bietet somit ausreichend Platz für Bewohner und Gebäude.
Diese kommen auf Plättchen vor, die bunt gemischt in einen Beutel wandern. Nachdem ein paar davon in der Spielvorbereitung gezogen, verteilt und von den Spielern auf beliebige Felder ihres Lehens gelegt wurden, erhält jeder Spieler noch ein Anfangskapital von je 3 Einheiten der Ressourcen Nahrung, Stein, Holz, Eisen und Gold. Dann kann das Spiel losgehen. Wer an der Reihe ist, würfelt zuerst mit den zwei Würfeln. Die beiden Würfel sind aber keine normalen Sechsseiter, sondern Oktaeder, besitzen also acht Flächen. Damit wird für alle Spieler festgelegt, welches Feld ihres Lehensplans einen Ertrag abwirft. Der weiße Würfel bestimmt die Reihe, der blaue die Spalte des "Aktionsmittelpunkts". Der Spieler kann sich ein Plättchen aussuchen, das sich auf diesem oder einem der acht benachbarten Felder befindet, und kassiert je nach Art des Plättchens Gunstpunkte (Siegpunkte auf der Wertungstafel) und/oder Rohstoffe.
Danach wird eine Ereigniskarte vom Stapel gezogen. In den meisten Fällen drücken diese Karten die Launen des Monarchen aus, oder aber es findet ein Überfall von Banditen, Drachen oder Riesen statt. Dies alles kann sich auf die Rohstoffbestände, die Siegpunkte und/oder die Plättchen auf dem Lehensplan auswirken.
In der anschließenden Kaufphase werden neue Plättchen ausgelegt, von denen im Uhrzeigersinn jeder Spieler eines gegen Abgabe der darauf angegebenen Kosten auf seinem Lehensplan unterbringen kann. Militäreinheiten müssen dabei im eigenen Bergfried platziert werden, die anderen Plättchen auf beliebigen Feldern des Lehensplans. Alternativ kann man stattdessen auch die nächste Befestigungsstufe seines Bergfrieds bauen, um die Verteidigungsstärke zu erhöhen.
Danach hat der aktive Spieler noch zwei so genannte Baron-Aktionen. Er kann damit beliebige Plättchen (allerdings ohne Gunstpunkte) nutzen, um an bestimmte Ressourcen zu gelangen. Eine der beiden Aktionen kann er aber auch für eine Sonderaktion verwenden, um etwa das Lehen eines Mitspielers zu sabotieren. Auch ein Angriff mit seinen Truppen (Landsknechte, Bogenschützen und Ritter) gegen einen neutralen Staat oder direkt gegen einen Mitspieler ist möglich.
Schließlich muss er in der Ernährungsphase noch seine Bewohner ernähren, indem er pro angefangene 5 Plättchen in seinem Lehen 1 Nahrung abliefert. Damit endet sein Zug und er gibt die Würfel an seinen linken Nachbarn weiter. Dies geht so lange, bis eine Spieler die erforderliche Anzahl an Gunstpunkten erreicht und somit gewinnt.
Fazit
Die graphische Gestaltung von Feudalherren weicht ziemlich stark von den sonstigen Spielen von Lookout Games ab. Auf Schachtel, Karten und den Spielplänen finden sich bunte Zeichnungen im Comic-Stil, was eher unprofessionell wirkt. Der Grund dafür liegt darin, dass Autor Tom Wham (Kings & Things, Awful Green Things from Outer Space) selbst die witzigen Illustrationen geliefert hat. So ungewohnt dies auf den ersten Blick erscheint, ergibt es doch einen ganz eigenen Charme. Die Qualität des Spielmaterials ist hingegen absolut im heutigen Standard: stabile Plättchen, Stoffbeutel, viele Holzwürfel für die Ressourcen, die größeren Einheiten (repräsentieren je 3 Würfel) sogar in individuellen Formen.
Auch vom Spielmechanismus hat Feudalherren wenig mit den anderen Lookout-Spielen gemeinsam. Durch das Auswürfeln der Erträge entsteht ein beachtliches Zufallsmoment. Was heißt da "beachtlich"? "Enorm" wäre die passendere Bezeichnung, denn das Glück kann in diesem Spiel schon sehr stark streuen. Während für die einen gerade mal ein paar mickrige Ressourcen abfallen (wenn überhaupt!), können die anderen einen Gunstpunkt nach dem anderen kassieren. In der Spielanleitung wird dies erst gar nicht bestritten, sondern lapidar folgendermaßen kommentiert: "Die Verteilung der Reichtümer ließ im Mittelalter viel zu wünschen übrig."
Doch auch sonst wirkt sich der Zufall übermäßig auf das Spielgeschehen aus, wie bei den Ereigniskarten. Betrifft eine Karte alle Spieler, beispielsweise wenn alle Spieler etwas abgeben müssen (Nahrung bei "Der König ist hungrig" oder beliebige Ressourcen bei "Der König ruft neue Steuern aus"), ist dies nicht weiter schlimm. Auch wenn der König zum Turnier ruft, ist dies im Prinzip positiv, denn der jeweils erfolgreichste Spieler (Würfelwurf, eh klar!) kann in der Gunst des Königs steigen, die anderen haben aber mit keinerlei negativen Konsequenzen zu rechnen.
Drachen und Riesen hingegen greifen einen einzelnen Spieler an, den der aktive Spieler auswählt. In den meisten Fällen kann sich der betroffene Spieler schon darauf einstellen, einen Gunstpunkt oder ein Plättchen seines Lehens zu verlieren. Wenn es dem launischen Monarchen einmal einfällt, einen Krieg zu führen, müssen alle Spieler ihre Loyalität beweisen und Einheiten losschicken, sonst fallen sie in Missgunst. Pflichtbewusstsein wird zwar fürstlich belohnt, wenn der mit einem einzigen Würfelwurf ausgefochtene Krieg tatsächlich gewonnen wird, doch wie bei jeder Kampfhandlung können darin verwickelte, angreifende Einheiten verloren gehen. Für jede Einheit entscheidet - na, was wohl? Richtig - ein Rettungswurf über das Schicksal, nur bei einer geraden Zahl überlebt sie. Bei all dieser majestätischen Willkür ist man dann froh, wenn der Regent mal anderweitig beschäftigt ist und etwa der Mutter der Königin einen Besuch abstattet. Da heißt es dann nicht von ungefähr: "Alle Barone atmen erleichtert auf."
Die Plättchen werden in der Kaufphase zufällig aus dem Beutel gezogen, wodurch hier ebenfalls ein hoher Glücksfaktor herrscht. Entscheidend ist aber auch die Spielerreihenfolge. Der Startspieler kann zuerst aus allen Plättchen wählen, vorausgesetzt er kann sich die angegebenen Ressourcen leisten. Für jeden weiteren Spieler reduziert sich in Folge die Auswahl. Es gibt über 30 verschiedene Plättchen. Die meisten generieren Ressourcen und/oder Gunstpunkte. Einige davon müssen auf bestimmte Felder gelegt werden, zum Beispiel dürfen Minen nur auf Felder mit Berg platziert werden. Andere Plättchen bringen mehr Ressourcen, wenn sie auf Flüsse gelegt werden (z. B. Müller). Weitere Plättchen haben Sonderfähigkeiten, wie etwa die "Heilung", welche eine Wiederholung eines misslungenen Rettungswurfes erlaubt. Autor Tom Wham hat sich einiges dazu einfallen lassen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Bewohner, die Ressourcen bringen, längerfristig von Vorteil sind, da ein Spieler sich damit immer mehr aufrüsten kann. Plättchen mit Gunstpunkten können das Spiel aber manchmal ziemlich beschleunigen.
Wird für eine Baron-Aktion eine Sonderaktion durchgeführt, kommen erneut die Würfel zum Einsatz, sowohl bei der geheimen Liebschaft mit der Königin (möglichst hoch würfeln), als auch bei der Sabotage (würfeln, ob der Anschlag auf das Plättchen eines Mitspielers gelingt) oder bei der Attacke auf einen Mitspieler bzw. einen neutralen Staat. Bei Letzterem wird zur Stärke der angreifenden Einheiten ein Wurf beider Würfel addiert und mit der Verteidigungsstärke verglichen. Naturgemäß ist auch dabei der Glücksanteil ziemlich hoch.
Man sieht also deutlich: Nicht nur der launenhafte Regent herrscht über die Feudalherren, auch "König Zufall" regiert, und das sogar gnadenlos. Wer sich bisher Lookout-Spiele wegen der anspruchsvollen Spielmechanismen zugelegt hat und nun dasselbe von Feudalherren erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Die witzigen, leicht ironischen Illustrationen weisen den Spieler jedoch unmissverständlich darauf hin, dass dieses Spiel eines auf keinen Fall will: Allzu ernst genommen werden! Es erhebt in keiner Weise den Anspruch eines taktischen, geschweige denn strategischen Spiels. Hat man sich einmal von dieser falschen Erwartungshaltung losgelöst, findet man ein unterhaltsames Spielchen vor, das in lockerer, ungezwungener Runde durchaus Spaß machen kann.
Zu lange Grübelphasen und zu große Spielerunden können den Spielspaß allerdings trüben, denn dann steht die Spieldauer in einem Missverhältnis zu den nicht recht großen Einflussmöglichkeiten. Ich würde deshalb die Spielerzahl auf fünf, besser noch vier Spieler beschränken, da liegt die Spieldauer doch meist unter einer Stunde.
Feudalherren wird für Vielspieler und Spielexperten sicher keine Konkurrenz zu Agricola, Das Zepter von Zavandor oder anderen Lookout-Spielen. Unter so genannten Gelegenheitsspielern wird es bei uns aber sicher noch ab und zu auf dem Spieltisch landen. Spielern mit Würfelphobie sei jedoch auf jeden Fall abgeraten - diese sollten den Hinweis auf der Schachtel als deutliche Warnung verstehen ...
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.