Spielziel
Also, die meisten Drachen, die ich aus Filmen und Büchern kenne, sind feuerspeiende, furchterregende Monster, wie der norwegische Hornschwanz aus "Harry Potter und der Feuerkelch", Smaug aus der "Hobbit"-Trilogie, die Drachen aus "Game of Thrones" oder die todbringenden Bestien aus dem Film "Herrschaft des Feuers".
Mit solchen Kreaturen haben die von Michael Menzel ersonnenen Drachen überhaupt nichts gemein. Seine roten Felldrachen, weißen Weidedrachen, blauen Schieferdrachen und grünen Sumpfdrachen schauen alle so herzallerliebst aus, dass wir nur allzu gerne die Aufgabe eines "Drachenhüter" übernehmen, um sie unter unseren Schutz zu nehmen, was uns nebenbei wertvolle (und punkteträchtige) Amulette, Perlen und Wappen einbringt.
Ablauf
Die oben genannten Drachen kommen allesamt auf Drachenkarten vor. Wir erhalten - je nach Sitzposition - anfangs 0 bis 3 Startkarten auf die Hand. Der Großteil der Drachenkarten stellt - streng getrennt in zwei gut gemischten Stapeln - das "Magische Buch" dar. Die Karten des linken Stapels tragen auf ihrer Rückseite eine Zahl zwischen 1 und 5, die Karten des rechten Stapels zeigen hingegen eine der vier Drachenarten. Die oberste Karte jedes Stapels wird offen unterhalb ausgelegt.
In unserem Spielzug nehmen wir zuerst 1 bis 3 Drachenkarten auf die Hand, indem wir jeweils eine der beiden offenen Karten nehmen und die frei gewordene Stelle sofort mit einer Karte vom entsprechenden Stapel ergänzen. Dadurch verändert sich das Magische Buch, dessen sichtbare Rückseiten der beiden Stapel bestimmen, wie viele und welche Karten wir auslegen dürften. Bevor dies passiert, haben wir noch die Möglichkeit, das Magische Buch zu verändern, indem wir eine oder zwei Karten aus unserer Hand mit ihrer Rückseite nach oben auf die linke und/oder rechte Seite des Magischen Buchs legen.
Anschließend dürfen wir - nach der exakten Vorgabe des Magischen Buchs! - Drachenkarten auslegen. Für jede Drachenfarbe bilden wir dabei einen eigenen Stapel. Aber Achtung: Wir dürfen nur auf einen der beiden äußeren Stapel später weitere Karten drauflegen. Das bedeutet, dass bei mehr als zwei ausliegenden Stapeln jene Farben tabu sind, die zwischen zwei anderen Farben liegen.
Die linke Karte des Magischen Buches zeigt uns dann, welche Belohnung wir für das Auslegen behalten. Wir bekommen auf jeden Fall ein Amulett-Stück, je nach Höhe (und Schwierigkeit) sind aber noch weitere Belohnungen (ein Kristall, ein goldenes Ei, ein "Gegenlicht"-Drache oder ein zusätzliches Amulett-Stück) möglich. Mit den Amulett-Stücken bilden wir Ringe. Wird ein Ring durch das dritte Amulettstück geschlossen, erhalten wir eine verdeckte Perle, die wir in die Mitte des Amuletts platzieren, wodurch es vollendet wird.
Im Anschluss können dann auch unsere Mitspieler Karten in ihre eigene Auslage legen, natürlich ebenfalls nach der Vorgabe des Magischen Buchs. Verändern können die Mitspieler das Buch dabei allerdings keinesfalls. Danach ist der nächste Spieler im Uhrzeigersinn an der Reihe.
Das Spiel endet augenblicklich, sobald alle Spieler zusammen eine gewisse Anzahl an Amuletten vollendet haben, beispielsweise 9 Amulette bei 4 Spielern. Nun decken wir unsere gesammelten Amulett-Stücke, Perlen, goldene Eier, etc. auf und addieren die darauf angegebenen Punkte. Erreichen wir insgesamt die höchste Gesamtpunktezahl, haben wir uns als der geschickteste Drachenhüter erwiesen.
Fazit
Will ein Verlag ein erfolgreiches Spiel herausbringen, braucht es dazu bekanntlich 2 wichtige Dinge: Einen einfallsreichen Spieleautor und einen Illustrator, der die Spielidee grafisch gekonnt umsetzt. Es ist selten, dass beides von ein- und derselben Person beigesteuert wird. Michael Menzels Qualitäten als Illustrator sind ja hinlänglich bekannt, für seine Werke wurde er schon mehrfach ausgezeichnet. Aber dass er sich so als Spieleautor etabliert, ist dann doch eine Überraschung. Nach Die Legenden von Andor und Die Abenteuer des Robin Hood präsentiert er hier nun ein eher lockeres Kartenspiel, das aber dennoch über einen schönen Kniff verfügt.
Der Clou von Drachenhüter liegt im "Magischen Buch", bei dem die Rückseiten der Drachenkarten - auf der einen Seite Zahlen, auf der anderen Seite die Farben der Drachen - genau vorgeben, welche und wie viele Karten wir ausspielen und damit wertvolle Amulette und mehr sammeln können.
Bereits beim Nehmen der Karten müssen wir daher schon darauf achten, eine für uns vorteilhafte Kombination zu erzielen. Sicher, eine Portion Glück gehört auch dazu. So ist es beispielsweise ärgerlich, wenn wir viele blaue Drachen auf der Hand halten, aber selbst wiederholtes Nehmen vom rechten Stapel nicht die gewünschte Farbe hervorbringt. Es ist zwar möglich, das Magische Buch durch das Ausspielen von Karten zu verändern, aber erstens müssen wir die passende(n) Karte(n) auch tatsächlich haben, und zweitens kostet dies Handkarten und verringert somit in der Folge unsere Chancen auf weitere Auslagen.
Beim Auslegen der Drachenkarte ist ebenfalls Vorsicht geboten. Wir dürfen ja keine Drachenkarten auf Stapel legen, welche weder links noch rechts eine freie Kante aufweisen. Spielen wir zu früh eine dritte oder vierte Drachenart aus, könnten wir uns auf diese Weise blockieren. Konträr dazu gibt es eine Belohnung, sobald wir alle vier Farben besitzen, nämlich in Form von Wappen der Vielfalt. Die Punkteausbeute fällt damit umso größer aus, je früher wir dies schaffen, allerdings mit dem Handicap, fortan keine Drachenkarten mehr auf die beiden "inneren" Stapel legen zu dürfen. Vor allem das "Mitauslegen" (eine Art Trittbrettfahren) kann so bewusst von den Mitspielern verhindert werden.
Was wir für das Auslegen von Drachenkarten bekommen, hängt übrigens von der Anzahl an Drachenkarten ab. Je mehr Karten vom Magischen Buch gefordert werden, umso größer fällt die Belohnung aus. In den meisten Fällen bekommen wir ein Amulett-Stück mit der niedrigsten ausliegenden Punktezahl. Bei 1 Karte gibt es zusätzlich einen Kristall, den wir später einmalig einsetzen können, um eine vierte Karte aus der Auslage zu nehmen. Für 2 Karten dürfen wir einen der bereits erwähnten "Gegenlicht"-Drachen vom Vorrat auf die Hand nehmen, den wir wie einen "Joker" verwenden können.
3 Karten bringen uns gleich 2 Amulett-Stücke mit dem aktuell niedrigsten Wert. Mit 4 Karten erhalten wir ein goldenes Ei, welches grundsätzlich 4 Punkte wert ist. Haben wir gar die meisten goldenen Eier gesammelt, wird dies mit 12 zusätzlichen Punkten belohnt. Bei 5 Karten dürfen wir statt einem Amulett-Stück mit dem aktuell niedrigsten eines mit dem aktuell höchsten (!) Wert nehmen. Und mit 6 Karten - nur möglich bei einem ausgespielten "Gegenlicht"-Drachen - erhalten wir beides zusammen.
Mit diesen eingängigen Regeln ist Drachenhüter ein echtes Familienspiel und kann bereits ab 8 Jahren gespielt werden. Doch auch jüngere Kinder können problemlos mitmachen, wenn wir die restriktiveren Legeregeln weglassen und stattdessen ohne Beschränkung stets alle Drachenfarben auslegen können.
Erfahrene Drachenhüter können hingegen die Zaubertruhen ins Spiel integrieren. Mit diesen können wir - gegen Abgabe eines Kristalls - bestimmte Regeln außer Kraft setzen, beispielsweise nach dem Auslegen der Drachenkarten alle bis auf eine Karte wieder zurück auf die Hand nehmen, oder als Belohnung ein Amulett-Stück mit dem nächsthöheren Wert bekommen. Es gibt sechs verschiedene Zaubertruhen, und je nach Spielerfahrung ist es sogar möglich, mit mehr als einer Zaubertruhe pro Partie zu spielen.
Das gesamte Spielmaterial - Karten, Plättchen, Kristalle - macht einen guten Eindruck. Die Spielkarten sind großformatig, sodass ihre entsprechend gestalteten Rückseiten aneinandergelegt tatsächlich wie die aufgeschlagenen Seiten eines Zauberbuches wirken. Und die Qualität der grafischen Gestaltung - die Kernkompetenz von Michael Menzel - ist sowieso wieder absolut großartig. Einzig das Vorbereiten der Amulett-Stücke - abhängig von der Spielerzahl werden vom gut gemischten Haufen ein paar Stücke entfernt - nervt, da die verbliebenen Amulett-Stücke nach ihren Werten sortiert werden müssen.
Drachenhüter ist kein Taktik-Spiel, kein Strategie-Kracher. Aber dies war vom Spieleautor ja auch nicht beabsichtigt. Als ein lockeres Familienspiel oder ein nettes Spielchen für Zwischendurch sorgt Drachenhüter hingegen für viel Unterhaltung und erfüllt so ausgezeichnet seinen Zweck.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.