Spielziel
Beim Schweizer Spielepreis 2012 hat es ein Spiel bis auf den fünften Rang gebracht, das meines Wissens nur wenig Spieler überhaupt auf dem Radar hatten: Archipelago.
Jetzt kann man den Schweizer Spielepreis natürlich für sehr exotisch halten; gehört haben sicher nur die Wenigsten bisher davon, aber es klingt doch zumindest nach einem Grund, sich dieses Spiel ganz schnell mal anzuschauen: In der Kategorie der teilkooperativen Spiele besiedeln wir mehr oder weniger parallel ein unbekanntes Archipel, um dort Ressourcen abzubauen und Städte zu gründen. Thematisch nichts Neues, aber spielerisch immer wieder ein beliebtes Thema.
Ablauf
In Archipelago entdecken und besiedeln die Spieler gemeinsam eine Südsee-Insel, heuern Arbeiter an, und sammeln Rohstoffe. Märkte helfen beim Verkauf der Rohstoffe, um zu Geld zu kommen, das man wiederum braucht, um weitere Gebäude zu errichten oder um Helfer und Entwicklungen anzuwerben, die im Spiel weitere Verbesserungen und Aktionen ermöglichen.
Soweit so gewöhnlich, will ich auf die Spieldetails hier gar nicht weiter eingehen. Der Clou am Spiel ist nämlich nicht das Ressourcenmanagement, sondern das gemeinsame Management der Inselbevölkerung, die mit fortschreitendem Spielverlauf immer größer, gleichzeitig aber auch unzufriedener wird. Kommt es zu einem Aufstand, haben die Spieler gemeinsam verloren.
Aus den im Spielverlauf neu entdeckten Inselfeldern speist sich der Zuwachs an Bevölkerung auf dem Archipel, die aber auch beschäftigt werden will. Zu viele verkaufte Rohstoffe auf dem Markt sorgen für sinkende Preise, was ab einer bestimmten Grenze automatisch zu Arbeitslosigkeit und damit zu Unzufriedenheit führt.
Parallel gibt es jede Runde Nachfrage nach bestimmten Gütern. Kann diese nicht befriedigt werden, wird die Bevölkerung ebenfalls unzufrieden und der Revolutionsmarker steigt mitunter sprunghaft in die Höhe. Abhilfe schaffen da nur Kapellen bzw. das kooperative Zusammenspiel der Spieler, das die Revolution im Zaum halten muss. Aber wer hilft schon freiwillig seinen Gegnern?
Für zusätzliche Zwietracht in den Reihen der Entdecker sorgt noch der Umstand, dass alle Spieler mit geheimem Spielende und Siegpunktbedingungen operieren. Während also alle gemeinsam versuchen, die Revolution zu unterdrücken, verfolgt jeder noch seine eigenen Ziele, misstrauisch beäugt von seinen Nachbarn, die sich fragen, worin diese Ziele wohl bestehen mögen.
Und was wäre ein solches Spiel ohne einen Verräter? Dessen Rolle brauche ich wohl nicht weiter auszuführen, es ziehen eben doch nicht immer alle am selben Strang, bzw. manch einer gerne an dem Strick, der den anderen um den Hals liegt.
Bleibt die Revolution aus, kann ganz unterschiedlich eine bestimmte Anzahl an Bevölkerung, Gebäuden, Helfern oder Entwicklungen zum etwas überraschenden Spielende führen. Bei der Auswertung der einzelnen Siegpunktbdingungen erweist sich dann, wer die Ziele seiner Mitspieler richtig erkannt hat und neben seiner eigenen Siegpunktkarte noch Punkte von weiteren Karten ergattern kann.
Fazit
Geht es Ihnen auch so? Bei teil-kooperativen Spielen habe ich immer den Eindruck, dass nur Verräter mitspielen! Alle scheinen sich verschworen zu haben, bloß nichts für die Gemeischaft zu tun, aus Angst, womöglich zu viel für einen Mitspieler zu tun. Dann doch lieber gemeinsam untergehen. Wenn Sie auch in einer solchen Runde spielen, lassen Sie besser die Finger von Archipelago, denn unter diesen Voraussetzungen funktioniert das Spiel einfach nicht.
Ihre Mitspieler sollten schon bereit sein, auch mal einen Nachteil in Kauf zu nehmen, um die Gruppe aus einer kritischen Situation zu retten. Im Mindesten bedarf es einer gewissen Verhandlungsbereitschaft, dass die Spieler es schaffen, sich zu einigen, wer wieviel zur Unterdrückung eines Aufstandes beiträgt. Erst dann entfaltet Archipelago seinen Reiz, der sich zusätzlich auch noch hinter einem zunächst verwirrenden Spielablauf gut verborgen hält.
In der ersten Partie weiß man gar nicht so recht, warum man überhaupt irgendetwas machen soll, keinerlei Zwänge oder spielerischer Stress geben irgendeine Aktionen vor, und so bleibt für viele nach dem ersten Spiel ein etwas unklares Gefühl von spielerischer Beliebigkeit zurück.
Wer diese Hürde aber hinter sich bringt, entdeckt dann nach und nach ein sehr schönes Spiel, das die Geschichte der Kolonialisierung politisch unkorrekt und ziemlich verharmlosend, aber auch nicht ganz unrealistisch erzählt. Das Thema ist in Archipelago tief verankert und keineswegs aufgesetzt.
Auch handwerklich gibt es wenig zu bemängeln: Mit drei verschiedenen Stapeln Spielendekarten (je einer für kurzes, mittleres oder langes Spiel) kann die Spieldauer halbwegs gezielt gesteuert werden, nämlich zwischen 30 Minuten und 2,5 Stunden (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Das Material und die Regeln sind ebenfalls einwandfrei, und besondere Erwähnung verdient der gut durchdachte und praktische Sortiereinsatz im Karton, der auch im Spiel zur Materialaufbewahrung dient und so das Handling gut unterstützt. Einzig die Anzahl der Ressourcenwürfel scheint etwas zu knapp bemessen, denn ab vier Spielern kommt es sehr schnell überall zu Engpässen, besonders wenn eine Warensorte auch noch Siegpunkt relevant ist und daher kaum wieder in den Markt zurückkommt. Unabhängig davon scheint mir das Spiel in größerer Runde aber ohnehin nicht optimal, mit drei Spielern gefällt es mir am besten.
Mein Fazit: Archipelago will erarbeitet werden und braucht dafür auch noch die richtigen Mitspieler. Keine ganz einfache Voraussetzung für ein neues Spiel, das aber mit Thema, Ausstattung und teil-kooperativer Spielmechanik durchaus abwechslungsreich und spannend zu spielen ist.
Für Freunde des teil-kooperativen Spielens ist es sicher einen Versuch wert, besser noch zwei Versuche, da das ungewöhnliche Spielgefühl und die nach wenigen Zügen steil ansteigende Schwierigkeit, die Revolution im Zaum zu halten, das Spielgefühl der ersten Runde doch deutlich beeinflussen. Ob es dann auch für eine anhaltende Liebe reicht, gilt es zu erkunden; für mich hat es diesen Sprung leider knapp nicht geschafft.
Rezension Michael Timpe
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.