Spielziel
Ich bin mir sicher, dass hierzulande kaum jemand von Andrew Carnegie gehört hat. Vielleicht von der berühmten Carnegie Hall in Manhattan, New York, welche der amerikanische Multimillionär und Mäzen im Jahre 1891 gebaut und gegründet hat. Ich selber habe während meiner Schottland-Reisen öfters diesen Namen gehört, gelesen oder bloß aufgeschnappt, was aber daran liegt, dass Andrew Carnegie 1835 in Dumferline, Schottland geboren wurde. Erst in den USA wurde er durch seine herausragende Rolle beim Ausbau der amerikanischen Stahlindustrie zu einem der reichsten Männer der Welt und zu einem Aushängeschild des "American Dream".
Im gleichnamigen Spiel rekrutieren wir Mitarbeiter und expandieren unsere Unternehmen durch Investitionen in Immobilien, Güterproduktion, die Entwicklung von Transporttechnologien und den Ausbau von Verkehrsnetzen quer durch die Vereinigten Staaten. Gleichzeitig versuchen wir aber auch, durch großzügige Spenden zum Wohle des Landes beizutragen.
Ablauf
Nachdem Carnegie in den USA tätig war, zeigt der Spielplan logischerweise eine Karte der Vereinigten Staaten, eingeteilt in 4 Regionen (West, Midwest, East und South), mit einem Netz von mehreren kleineren, mittleren und größeren miteinander verbundenen Städten. Für jede Region gibt es eine sogenannte Transportleiste, auf der wir in das Transportwesen investieren können. Das obere Drittel des Spielplans nimmt der Spendenbereich ein, während die Punkteleiste am Rand des Plans verläuft. Zusätzlich kommen noch ein Zeitplan, sowie - abhängig von der Spielerzahl - ein paar Abteilungsplättchen in die Tischmitte.
Als persönliche Vorbereitung erhalten wir unseren eigenen Unternehmensplan, mitsamt Projektstreifen für die verschiedenen Bauprojekte (Wohnen, Handel, Industrie und Öffentliche Infrastruktur). In die fünf vorgedruckten Abteilungen unseres Unternehmens kommt zu Beginn je 1 Mitarbeiterfigur, fünf weitere Mitarbeiter können zu Beginn nach bestimmten Regeln vom Empfangsbereich in die Abteilungen verschoben werden. Schließlich erhalten wir noch etwas Startkapital, ein paar Waren und eine beliebige neue Abteilung aus der Auslage. Außerdem beginnen wir bereits mit einem Wohnprojekt in einer kleineren oder mittleren Stadt unserer Wahl.
Sind wir an der Reihe, wählen wir eine Zeile des Zeitplans und schieben dort den Aktionsstein ein Feld vor (1.). Dadurch wird das Ereignis dieses Feldes ausgelöst (2.), entweder ein Einkommen in der betreffenden Region oder eine Spende. Schließlich führen wir alle in Spielerreihenfolge die gewählte Aktion aus (3.). Am Ende der Runde dürfen wir inaktive Mitarbeiter in beliebigen unserer Abteilungen aktivieren (4.), indem wir die entsprechenden Kosten bezahlen.
Uns stehen vier unterschiedliche Aktionen zur Auswahl, wobei jede Aktion im Normalfall 5 Mal pro Partie gewählt werden kann. Für jede Aktion nutzen wir beliebig viele unserer aktiven Mitarbeiter, die sich in den entsprechenden Abteilungen befinden und führen die angegebene Aktion aus.
1. Personal
Diese Aktion dient hauptsächlich dazu, Mitarbeiter von Abteilungen oder dem Empfangsbereich auf andere Positionen (auch leere Felder) in unserem Unternehmen zu versetzen.
2. Verwaltung
Dies ermöglicht uns, Waren und Geld zu beschaffen und neue Abteilungen zu bauen, um die Effizienz unserer Mitarbeiter und unseres Unternehmens zu steigern.
3. Konstruktion
Dies erlaubt uns, Projekte (in den Bereichen Wohnen, Handel, Industrie und Öffentliche Infrastruktur) zu realisieren, die von unseren F & E-Abteilungen entwickelt wurden. Damit breiten wir uns gleichzeitig auch auf dem Spielplan der USA aus.
4. Forschung & Entwicklung
Dies ermöglicht es uns, durch den Einsatz von Forschungspunkten entweder neue Projekte zu planen, indem Projektstreifen aus unserem Unternehmensplan nach rechts geschoben werden, oder unser Transportnetz in einer beliebigen Region auszubauen.
Nach 20 Aktionen endet das Spiel, und es kommt zu einer Schlusswertung. Bei dieser erhalten wir zu jenen während der Partie gesammelten Punkten (etwa durch Einkommen, Fortschritte oder bestimmte Aktionen) noch weitere Siegpunkte, hauptsächlich für hergestellte Verbindungen zwischen Großstädten, geleistete Spenden, gebaute Abteilungen und noch aktive Mitarbeiter. Schaffen wir es, am Ende auf der Siegpunkteleiste ganz vorne zu sein, gewinnen wir die Partie.
Fazit
Carnegie ist - das dürfte aus der bereits stark reduzierten Spielbeschreibung unschwer herauszulesen sein - ein richtiges Expertenspiel. Obwohl die einzelnen Aktionen nicht allzu kompliziert sind, führen ihre Verzahnungen und Implikationen dazu, dass alles geplant und gut durchdacht sein will. Im Grunde genommen stellt es eine interessante Mischung aus Aktionswahl- und Arbeitereinsetzspiel dar, weshalb ich mich diesen beiden Mechanismen detaillierter widmen möchte.
Der Aktionswahlmechanismus erinnert ein wenig an jenen von Puerto Rico, und zwar in diesem Sinne, dass der Spieler an der Reihe jene der vier möglichen Aktionen wählt, die ihm selbst möglichst am meisten, den anderen hingegen weniger nutzt. Die gewählte Aktion wird ja anschließend von allen Spielern durchgeführt.
Dies ist - auch wenn man natürlich seine eigenen Aktionen zu optimieren versucht - schon sehr interaktiv. Es ist dadurch empfehlenswert, immer einen Blick auf die Optionen, auf die Stärken aber auch die aktuellen Mängel der Mitspieler zu werfen. Wenn abzusehen ist, dass ein nachfolgender Spieler eine bestimmte Aktion durchführen wird, lohnt es sich, sich darauf entsprechend vorzubereiten. Auch die - anfangs zufällige - Zusammenstellung der Zeitplanleisten hat einen Einfluss auf die Entscheidungen der Spieler und generell auf den Spielrhythmus.
Der Personaleinsatz hat nichts mit herkömmlichem "worker placement" zu tun. Vielmehr werden die Mitarbeiter in jene Abteilungen versetzt, die dem Spieler am effektivsten erscheinen. Auch hier gilt es, seine Konkurrenten genau zu beobachten, um die Figuren dorthin zu bringen, wo sie auch sinnvoll eingesetzt werden können. Ebenfalls können neue, bessere Abteilungen langfristig die Wirksamkeit der Mitarbeiter erhöhen.
Ein spezieller Aspekt ist der sogenannte "Außeneinsatz". Einige Aktionen erfordern, dass Mitarbeiter in Regionen geschickt werden müssen, um den gewünschten Effekt auszulösen. Zwar fehlen diese dann im Unternehmen, sorgen in Folge aber für Einnahmen, wenn das betroffene Gebiet durch ein Ereignis aktiviert wird. Die Einnahmen fallen umso höher aus, je mehr Mitarbeiter wieder in die Firma zurückgeholt werden, und umso weiter die Projektstreifen unter dem Unternehmensplan hervorgeschoben wurden.
Einnahmen können schon während einer Partie Siegpunkte generieren. Auch so manche Abteilung kann - auf die eine oder andere Weise - sofortige Siegpunkte bringen, welche auf der Siegpunkteleiste festgehalten werden. Den Großteil an Siegpunkten erhält man jedoch erst am Spielende. Neben Punkten für noch aktive Mitarbeiter, gebaute Abteilungen und Projekten in Städten sind es vor allem hergestellte Verbindungen von Großstädten (abhängig von der erreichten Transportstufe) und geleistete Spenden.
Apropos Spenden: Bis zu 8 x können die Spieler Spenden leisten, wobei allerdings die Kosten ansteigen. Jede Spende kostet um 5 $ mehr als die vorhergehende. Weil auch die Gesamtzahl aller Spenden streng limitiert ist, stellen fünf oder mehr Spenden eines Spielers eine Seltenheit dar. Jede Spende gibt am Schluss Siegpunkte abhängig von der Entwicklung des eigenen Unternehmens. So gibt es Punkte für realisierte Projekte, für übriggebliebene Warenwürfel, verbliebenes Bargeld, und vieles mehr. Mit Spenden erfährt Carnegie eine gewisse strategische Ausrichtung, indem man den gewählten Aspekt dann möglichst forciert und seine weitere Spielweise darauf einstellt.
Carnegie bietet somit Raum für verschiedene Vorgehensweisen. Man kann sich auf die kostengünstigeren Projekte konzentrieren, auf eine möglichst große Expansion in den Vereinigten Staaten oder auf die Förderung des Transportwesens. Aucn die Abteilungen, um die man seinen Unternehmensplan erweitert, können die eine oder andere Richtung begünstigen. All dies - zusammen mit dem kniffligen und interaktiven Aktionswahlmechanismus - unter einen Hut zu bringen, ist die große Kunst bei Carnegie.
Die Spieleschachtel ist übrigens randvoll mit wertigem Spielmaterial. Der Spielplan, die Unternehmenspläne, die Abteilungsplättchen und die Zeitplanleisten sind aus stabilem Karton, dazu noch jede Menge Holzfiguren, -scheiben und -würfel. Die Projektstreifen sind so beschaffen, dass sie in den Unternehmensplänen Platz haben und sich herausschieben lassen. Mir gefällt zudem die grafische Gestaltung (Artwork von Ian O'Toole) ausgesprochen gut.
Insgesamt bin ich vom neuesten Opus von Xavier Georges recht angetan. Es ist ein Expertenspiel de luxe, ein hochkarätiges und einigermaßen interaktives Strategiespiel, das viel Möglichkeiten für Optimierung bietet. Die Spieldauer ist relativ lange, aber hat man das Spielprinzip mal durchschaut, geht es doch recht zügig voran. Über den Großindustriellen Andrew Carnegie gab es neben all den Lobreden zu seinen guten Werken auch einige kontroverse Stimmen (etwa den Kampf seiner Arbeiter um bessere Arbeitsbedingungen), über das Spiel Carnegie kann ich hingegen nur Positives berichten.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.