Spielziel
Es kommen ja immer wieder in schöner Regelmäßigkeit Spiele auf den Markt, die sich des Themas Städtebau oder Architektur in all ihren Facetten annehmen. Auch das Spiel, was ich Euch hier an dieser Stelle vorstellen möchte, schlägt genau in diese Kerbe. Was davon zu halten ist und wie es sich spielt, dazu mehr in diesem Bericht.
### SPIELZIEL ###
Das Setting dieses Spiels ist im Brüssel des Jahres 1893 angesiedelt. Für die bevorstehende Weltausstellung hat der Architekt Viktor Horta in dem Baustil, der heute als „Jugendstil“ bekannt ist, entworfen. In diesem Spiel werden wir selbst zu Architekten, die es mit Unterstützung ihrer Gehilfen zu Ruhm und Anerkennung bringen wollen. Dies erreicht man aber nicht nur durch den Bau möglichst imposanter Gebäude, sondern auch durch die Pflege sozialer Kontakte (heutzutage würde man es wohl als „Netzwerke“ bezeichnen). Ziel dabei ist es – wie so oft – möglichst viele Siegpunkte zu generieren.
Ablauf
### AUFBAU ###
Der Spielplan besteht aus zwei Teilen: Zum einen dem großen Haupt-Spielplan und zum anderen dem variablen „Jugendstil“-Spielplan, der aus 5 verschiedenen Streifen besteht, die jedes Spiel immer wieder neu zusammengesetzt werden können.
### ABLAUF ###
Das Spiel geht insgesamt über 5 Runden, wobei jede Runde aus insgesamt 4 Phasen besteht.
Phase 1:
Über eine Börsenkarte wird der Bereich des „Jugendstil-Planes“ bestimmt, der in dieser Runde allen Spielern zur Verfügung steht. Er kann also jede Runde nur eingeschränkt genutzt werden.
Phase 2:
Das ist die sogenannte Aktionsphase. Hier können die Spieler reihum mit Hilfe ihrer Assistenten eine Aktion auf dem Jugendstil-Spielplan oder dem Haupt-Spielplan durchführen. Auf dem „Jugendstil-Spielplan“ steht pro Runde eine unterschiedliche Anzahl Felder offen. Diese sind zeilen- und spaltenweise angeordnet. Darauf kann der Spieler z. B. ein Kunstwerk anfertigen, eines seiner Kunstwerke verkaufen, das königliche Theater besuchen, sich zwei edle Werkstoffe nehmen oder gegen Entrichten der entsprechenden Baukosten ein Gebäude erstellen. Wer auf diesem Teil des Spielplans einsetzt, muss gleichzeitig Geld als „Opfer“ dazulegen und wer in einer Spalte das meiste Geld opfert, bekommt die Bonuskarte zu dieser Spalte (siehe Phase 3).
Auf dem Haupt-Spielplan kann man sich 3 Joker-Werkstoffe holen oder sich mit Geld eindecken oder man kann eine Aktion auf dem Jugendstilplan wählen, selbst wenn diese sonst nicht mehr verfügbar ist, oder man trifft bekannte Persönlichkeiten und nimmt deren Hilfe in Anspruch. Die Besonderheit dabei ist, dass man bei Wiederholung jedoch jedes Mal einen Assistenten mehr benötigt (wird eine Aktion zum zweiten Mal von irgendeinem Spieler gewählt, werden dafür zwei Assistenten benötigt, beim dritten mal drei Assistenten und so weiter). Das geht so lange, bis alle gepasst haben, weil sie keine weiteren Assistenten mehr einsetzen können oder wollen.
Phase 3:
Wenn man keine Aktion mehr spielen will oder kann, muss man passen. Wer als Erster passt, erhält als Bonus ein Weltausstellungsplättchen. Damit darf er später im Rahmen der Atelieraktion ein zusätzliches Kunstwerk ziehen. Sobald alle Spieler gepasst haben, kommt es zur Auswertung der jeweiligen Spielpläne. Auf dem Jugendstilplan wird in jeder Spalte geprüft, wer dort das meiste Geld eingesetzt hat. Dieser Spieler erhält die Bonuskarte unter dieser Spalte. Die Bonuskarten können entweder sofort eingesetzt werden, indem man die Hauptwirkung nutzt oder man schiebt sie unter sein persönliches Tableau, wodurch man bei Spielende zusätzliche Siegpunkte generieren kann. Jetzt ist es aber nicht so, dass die Arbeiter im Anschluss einfach nach Hause gehen. Vorher wird noch für jeden Kreuzungspunkt zwischen vier Einsetzfeldern ermittelt, wer drum herum die Mehrheit an Figuren besitzt, denn dieser Spieler bekommt Punkte entsprechend seiner Position auf der „Rathaus-Skala“.
Anschließend wird der neue Startspieler ermittelt, indem die Anzahl der Manneken-Pis gezählt wird, die jeder Spieler in dieser Runde erhalten hat. Wer die meisten hat, wird Startspieler in der nächsten Runde.
Phase 4:
Nun wird alles für die nächste Runde vorbereitet, d.h. Assistenten kommen vom Spielplan zurück an den Spieler, eingesetztes Geld wandert in den Vorrat, neue Weltausstellungsplättchen werden aufgedeckt, Persönlichkeitskarten aufgefüllt, Bonuskarten auf dem Jugendstil-Plan neu ausgelegt.
Das Spiel endet nach 5 Runden mit der Endabrechnung. Jetzt müssen die noch vorhandenen Persönlichkeitskarten bezahlt werden. Karten, die nicht bezahlt werden können, gehen verloren und werden darüber hinaus mit dem Verlust von fünf Siegpunkten bestraft. Dann addiert jeder Spieler seine Siegpunkte von der Siegpunktleiste, die Siegpunkte für seine Bauwerke, Siegpunkte für Bonuskarten unter dem Tableau und Siegpunkte für Werkstoffe. Der Besitzer der Manneken-Pis-Figur erhält zusätzlich noch 5 Siegpunkte.
Fazit
Bruxelles 1893 ist ein klassisches Arbeiter-Einsetzspiel mit einer Fülle von Mechanismen. Diese Vielzahl ist ein wenig zwiespältig: Einerseits eröffnet es einem sehr viele taktische Möglichkeiten, andererseits ist es natürlich auch eine hohe Einstiegshürde. Es vergeht einige Zeit, bis man sich in die Mechanismen und deren Auswirkungen eingearbeitet hat und das Spiel - in all seinen Tiefen und Untiefen - wirklich ergründet und die verschiedenen Spiel- und Siegmöglichkeiten getestet und erkannt hat. Um sich diese Vielfalt der taktischen Möglichkeiten zu erschließen, reicht es sicherlich nicht aus, dieses Spiel nur einmal zu spielen. Darin kann aber auch der Reiz des Spiels liegen, denn es gilt, immer wieder neue Vorgehensweisen auszuloten. Die Komplexität zeigt sich allein schon durch das Nutzen von 2 Spielbereichen und den zahlreichen damit verbundenen Möglichkeiten.
Mit Hilfe der Aktionen kann man zum Beispiel Kunstwerke erschaffen, die einem Geld und Siegpunkte einbringen. Weitere Aktionsmöglichkeiten sind Theaterbesuche, wo man auf einflussreiche Persönlichkeiten trifft, Werkstoffeinkünfte oder der Bau eines Gebäudes auf dem privaten Architektentableau. Letzteres kostet zwar Werkstoffe, bringt dafür aber auch Siegpunkte und spült Geld in die Kasse. Das wiederum bringt uns unserem Ziel näher, das ganz persönliche Meisterwerk zu vollenden. Nach einem Bau darf man selbst die Baukosten für das nächste Bauwerk festlegen – wenn auch nur innerhalb enger, vorgegebener Grenzen – aber immerhin.
Für die Fortdauer des Spiels bringen Bauwerke Vorteile, wenn ein anderer Spieler die Aktion dieses Feldes nutzt. Am Spielende gibt es zudem nochmals Siegpunkte, deren Höhe vom persönlichen Ansehen abhängt. Man kann natürlich auch auf dem festen Spielplan aktiv werden. Dafür muss man zwar Assistenten einsetzen, dies ist aber nicht mit Geldopfern verbunden. Man kann sich hier zum Beispiel mit Joker-Rohstoffen oder Geld eindecken oder auch Aktionen wählen, die auf dem variablen Spielplan nicht mehr verfügbar sind oder Personen aktivieren. All diese Aktionen sind ziemlich mächtig, haben jedoch ihren Preis: Der Spieler, der innerhalb einer Runde die meisten von ihnen nutzt, verliert einen Assistenten. Man muss also immer die eigenen Aktionen aber auch die der Mitspieler im Auge zu behalten.
Da wollen Mehrheiten erreicht werden, um Bonuskarten einzuheimsen oder Punkte zu generieren, genauso wie das Wegnehmen der richtigen Kontaktpersonen gut zu timen ist. Oft möchte man mehr machen als eigentlich möglich ist, denn die einzusetzenden Assistenz-Figuren, welche die "Arbeit" für den Spieler übernehmen, sind fast immer viel zu schnell aufgebraucht und Geld ist generell rar. Der Mechanismus mit dem Geld ist jedoch auch mit einigen Tücken behaftet: Oft kann derjenige Spieler das Opfer für sich entscheiden, der als letzter seine Figur in eine Spalte setzt. Sich als Vor- oder gar Drittletzter mit einem hohen Gebot aus dem Fenster zu lehnen, bringt nur selten etwas. Für gewöhnlich verbrennt man nur unnötig Geld, denn es wird sich meist jemand finden, der am Ende überbietet. Diese vermeintlich komplexe Zusatzebene ist im Endeffekt nichts anderes als das Abstauben von Vorlagen.
Da sind andere Mechanismen schon origineller und interessanter, wie z.B. der mit den angeworbenen Persönlichkeiten. Diese geben in jedem Durchgang einen Vorteil. Allerdings müssen diese Persönlichkeiten vorher aktiviert werden. Wie viele man gleichzeitig mit einem Arbeiter aktivieren darf, hängt jedoch von der eigenen Position auf der „Palast-Skala“ ab. Das ist ganz schön vertrackt. Auch für die Bestimmung der Einkünfte wird ein sehr interessantes System angewandt: Ein 3x3 Felder großer Marker wird auf einer Matrix bewegt. Je mehr Kunstwerke ein Spieler besitzt, desto weiter darf er den Marker vor dem Verkauf verschieben. Wie hoch der Verkaufserlös letztlich ist, bestimmt sich durch die Farbe des Kunstwerks. Der Marker besitzt an den Ecken gleichfarbige Markierungen. Die Reihe und Spalte in der der entsprechende Punkt zu liegen kommt, bestimmt die Höhe der Geldeinkünfte und Anzahl der Siegpunkte. Dafür gibt es dann aber auch andere Mechanismen, die man in ähnlicher Form schon aus anderen Spielen kennt und bei einigen Mechanismen stellt sich auch die Frage, ob man die nicht auch ohne Substanzverlust hätte einfacher lösen können.
Bei einigen Gelegenheitsspielern kam das Gefühl auf, dass der ein oder andere Mechanismus reiner Selbstzweck ist, um noch mehr Mechanismen im Spiel zu haben. Bei dieser Gruppe entstand der Eindruck, dass die Anzahl der verschiedenen Mechanismen locker für 2 Spiele gereicht hätte. Das ist natürlich reine Polemik und ein sehr subjektives Empfinden. Bei näherer Betrachtung merkt man, dass die einzelnen Mechaniken eng miteinander verzahnt sind und die Abläufe fast nahtlos ineinander greifen.
Glücksmomente sind die Ausnahme, aber dafür gibt es jede Menge Hirnverdrehungen und Entscheidungsnöte, so dass notorische Vielgrübler schnell mal zum Bremsklotz im Spielfluss werden können. Allerdings lässt sich der Kritikpunkt, dass einige Mechanismen nur bedingt oder gar nicht zur Geschichte passen und nur aufgesetzt wirken, leider nicht ganz von der Hand weisen. Dadurch wird der Zugang zu dem Spiel – insbesondere für Gelegenheitsspieler – unnötig erschwert. Die Kehrseite ist, dass es vielfältige Möglichkeiten und Strategien gibt, um an Punkte zu kommen. Man kann sie mit Gebäuden, oder mit Kunstwerken, oder mit Assistenten (Wappen), oder auch mit Bonuskarten machen – oder eben mit einer Mischung aus alledem. Wenn also Plan A nicht funktioniert, gibt es immer noch die Möglichkeit, auf einen Plan B oder C umzuschwenken, ohne gleich komplett aus den Rennen zu sein.
Rezension Edgar Ameling
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.