Spielziel
Dies soll jetzt nicht blasphemisch klingen, ich will Christen, Moslems und Andersgläubigen keineswegs nahetreten. Aber mal ganz objektiv betrachtet, kann die Entwicklung des Lebens auf der Erde - zumindest was die aktuelle "dominant species" anbelangt - nicht unbedingt als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Für den momentan recht erbärmlichen Zustand auf unserem Planeten müsste unser Herrgott eigentlich zurück auf die Schulbank geschickt werden, um die Evolution einer Zivilisation von Anfang an zu studieren.
Im Brettspiel Civolution (eine Wortkombination aus den Begriffen "CIVilization" und "evOLUTION") ist es die Aufgabe der Studierenden an der Technischen Schöpfungsakademie, als angehende Schöpfer den Aufbau und die Entwicklung eines Volkes zu leiten, um dafür vom kosmischen Kollegium nach unterschiedlichen Kriterien Punkte zu erhalten.
Ablauf
Bevor wir jedoch mit unserer eigenen Schöpfungsgeschichte anfangen können, sind ein paar Vorbereitungsarbeiten vonnöten. So muss zuerst der modulare Spielplan aus mehreren Spielplanteilen zusammengebastelt werden, sodass eine Landschaft aus Wiesen, Wäldern, Sümpfen, Gebirgen, Wüsten, Seen und Hügeln entsteht. In die gebildeten Lücken in regelmäßigen Abständen werden zudem verdeckte Ortsplättchen platziert, die wir im Laufe einer Partie entdecken können. Wir starten mit je einem Stamm in einem Wiesengebiet und in einem Waldgebiet.
Und dann müssen wir uns auch um die Vorbereitung unserer eigenen Zivilisation kümmern. Wir besitzen unsere persönliche Konsole, die wir mit diversen Markern, Würfeln, Plättchen und Spielfiguren bestücken. Ein paar Scheiben platzieren wir zudem auf dem allgemeinen Spielplan, wie etwa Marker auf den Fortschrittsleisten. Schließlich werden noch unsere Startfähigkeiten, unsere Startressourcen, sowie unsere Startkarten festgelegt. In unseren allerersten Versuchen als Schöpfer übernehmen dies vorgegebene Karten. In späteren Prüfungen stellen wir uns aus einem Anfangspool unsere Fähigkeiten und unsere Kartenhand selbst zusammen.
Der Spielablauf ist genau strukturiert und wird mit einem Marker auf dem allgemeinen Spielplan festgehalten. Jede der vier Epochen beginnt mit dem Aufdecken neuer Karten (Phase 1). Vor allem erfahren wir dadurch, welches Ereignis uns am Ende der Epoche erwartet. In Phase 2 dürfen wir uns eine neue Zielplatine wählen, die uns bei Erfüllung der angegebenen Bedingung im späteren Spielverlauf einen Vorteil bringen kann. In Phase 3 schließlich erhalten wir in beliebiges Gut aus einer der Gebietsarten, in der wir aktuell mindestens einen Stamm haben ("Sonderfund").
Phase 4 ist die eigentliche Hauptphase, denn in dieser führen wir nacheinander unsere Aktionen durch, um unsere Zivilisation zu "zivilisieren". In unserem Spielzug wählen wir zwei unserer Würfel. der Schnittpunkt der beiden Würfelwerte auf unserer Konsole ergibt eine bestimmte Aktion, so erlauben uns beispielsweise die Würfel "1" und "3" eine Wanderung. Auf diese Weise stehen uns aus der Kombination von zwei Würfeln unterschiedlicher Werte 15 verschiedene Aktionen zur Verfügung. Würfel mit gleicher Augenzahl wiederum können wir für die Verbesserung einer unserer Eigenschaften (Intelligenz, Geschicklichkeit, etc.) vornehmen.
Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, würde ich alle möglichen Aktionen detailliert auflisten. Deshalb möchte ich mich diesbezüglich auf einige wesentliche Punkte konzentrieren.
Da gibt es zum einen ein paar Aktionen, die sich auf das Geschehen auf dem Spielplan beziehen. "Wanderung" lässt uns einen Stamm auf dem Spielplan auf benachbarte Gebiete bewegen. In bisher unerforschten Gebieten wird das dort befindliche Rohstoffplättchen aufgedeckt, um anzuzeigen, was dort abgebaut werden kann. Mit "Vermehrung" erhalten wir einen neuen Stamm in einem Gebiet, in dem wir bereits mindestens einen Stamm haben.
Mit "Abbau" setzen wir in von uns besetzten Gebieten Rohstoffmarker ein, die wir mit der Aktion "Transport" auf die passenden Felder unseres Depots bringen können. "Entdeckung" erlaubt uns, alle bis jetzt unentdeckten Orte um ein von uns besetztes Gebiet aufzudecken, was uns nebenbei sofort ein paar Siegpunkte liefert. "Verpflegung" schließlich ist notwendig, um unsere Stämme ausreichend zu ernähren. Mit der Aktion "Bauwerk" können wir Bauvorhaben, wie Farmen, Boote, Statuen und Siedlungen durchführen, die unseren Stämmen unterschiedliche Vorteile bringen.
Ein eigenes Kapitel sind die Forschungskarten, die wir mit den entsprechenden Aktionen (je nach Art der Karte eine Kombination aus einer "6" mit einer anderen Würfelzahl) ausspielen können. Aber nur, wenn wir gleichzeitig die Bedingungen der Karte (bestimmte Rohstoffe abgeben, gewisse Eigenschaften besitzen, u. ä.) erfüllen, dürfen wir eine Forschungskarte tatsächlich in unsere Konsole einbauen, wo sie uns fortan positive Effekte bringt. Es ist aber wichtig, dass in jeder Spalte unserer Konsole nur Forschungskarten einer Art (Errungenschaft, Bauwerk, Erkenntnis, Mutation oder Erfindung) sein dürfen.
Schließlich erlauben uns einige Aktionen, künftig mehr Einfluss auf das Geschehen zu erlangen. Dazu gehören Planungsmarker, welche die Funktion eines Würfels übernehmen, Ideenmarker, mit denen Würfel modifiziert werden können (+1 oder -1), der Erwerb zusätzlicher Würfel, was die Chancen auf passende Würfel bei einem Reset erhöht, etc.
Haben wir nicht mehr genug oder nur mehr unpassende Aktivierungswürfel, können wir einen "Reset" durchführen. Wir erhalten alle eingesetzten Würfel zurück, werfen sie neu, und dürfen uns sogar einen Resetmarker nehmen und diesen entweder als Nahrungs- oder als Ideenmarker auf unsere Konsole stellen.
Mit jedem Reset wird aber auch der Phasenanzeiger auf der Phasenübersicht weiterbewegt. Erreicht dieser das letzte Feld (Reset-Endfeld), endet die Hauptphase. In den darauffolgenden Phasen haben bestimmte Orte Auswirkungen auf unsere Stämme (Phase 5), müssen wir unsere Stämme ernähren (Phase 6), handeln wir das anfangs aufgedeckte Ereignis ab und werten die Kategorie der aktuellen Epoche (Phase 7), und kassieren noch das Einkommen unserer Einkommensplatinen (Phase 8).
Nach vier auf diese Weise durchgeführten Epochen endet die Partie. In einer Schlusswertung erhalten wir einerseits Punkte in neun Wertungskategorien, andererseits für den Stufenbereich unserer Konsole. Vor allem Letzteres lässt unseren Punktestand noch gehörig anwachsen. Konnten wir unseren Marker auf der Punkteleiste schlussendlich am weitesten vorrücken, haben wir das Studium an der Technischen Schöpfungsakademie erfolgreich absolviert und können fortan unsere zertifizierte Schöpfungskraft an einem eigenen Planeten auslassen.
Fazit
Civolution ist ein monumentales Entwicklungsspiel, wie wir es uns nur vorstellen können. Zumindest vom Regelwerk her, denn die Spielanleitung umfasst stolze 44 Seiten (inklusive 6 Seiten Solo-Regeln). Da hat sich Autor Stefan Feld nicht lumpen lassen und alles, was zum Aufbau einer Zivilisation gehört, mit reingepackt: Wir entwickeln unseren kleinen Stamm, indem wir ihn sich ausbreiten, sich vermehren und ernähren lassen. Wir fördern Rohstoffe, handeln diese und setzen sie ein zur Errichtung von Bauwerken oder zum Forschen. Und wir entwickeln Fähigkeiten, Fertigkeiten, die wir nutzen, um auf die eine oder andere Weise Siegpunkte zu erhalten.
Das einzige, was wir gar nicht vorfinden, sind Kämpfe. Civolution verzichtet weitgehend auf kriegerische Handlungen. Einen gegnerischen Stamm können wir lediglich in die Wildnis verdrängen, um einen Lagerplatz zu besetzen. Und selbst dies ist mit dem Nachteil verbunden, dass wir unseren aggressiven Stamm daraufhin "schwächen", also hinlegen müssen. Die Interaktion beschränkt sich daher - neben dem beschriebenen Verdrängen - auf etwaige Mehrheitenwertungen bei Ereignissen oder das Wegschnappen von Fortschrittskarten aus der Auslage.
Dafür ist Civolution an Opulenz nicht zu übertreffen. Nicht was die Materialqualität anbelangt. Die ist zwar ordentlich, kann aber mit der Materialschlacht des einen oder anderen Kickstarter-Projekts nicht mithalten. Doch die Fülle an Plättchen, Markern, Figuren, Karten, etc. ist gigantisch. Dies wirkt sich dann halt auch auf die Komplexität des Spiels aus.
Ich kenne beispielsweise fast kein Spiel, bei dem 18 unterschiedliche Rohstoffe vorkommen. Jede der sechs Geländeformen produziert eine von drei verschiedenen Ressourcen. So können wir in einem Waldgebiet entweder Holz, Wachs oder Öl finden. Benötigen wir einen bestimmten Rohstoff, müssen wir oft erst herausfinden, wo wir diesen überhaupt auftreiben können. In diesem Zusammenhang interessant, dass nicht 18 unterschiedliche Rohstoff-Plättchen vorkommen, wie dies so häufig der Fall ist, sondern einheitliche Marker verwendet werden. Die Position eines Markers in unserem Depot gibt ab, um welche Ressource es sich handelt.
Ebenfalls recht hoch ist die Anzahl unterschiedlicher Aktionen. Mit der Kombination aus zwei Würfel lassen sich immerhin 15 Hauptmodule aktivieren, plus noch die sechs Eigenschaftsmodule für Paare gleicher Würfelzahlen. Dies sorgt schon für eine enorme Vielfalt, eröffnet uns unzählige Optionen und verschiedene Wege. Neulinge sind dadurch leicht überfordert, sodass es mehrere Partien braucht, bis wir wissen, was wir so alles anstellen können.
Zudem kommt, dass wir jedes Modul noch aufleveln können. Jedes Mal, wenn wir eine Zielplatine installieren, oder einer unserer Marker auf der Fortschrittsleiste einen bestimmten Wert überschreitet, dürfen wir ein Modul um eine Stufe erhöhen. Level II (Rückseite) bzw. Level III (nach Entfernen des Moduls sichtbar) bieten uns eine verbesserte Aktion. Beispielsweise können wir dann 2 Vermehrungen statt bloß einer durchführen.
Für weitere Varianz sorgen die unterschiedlichen Orte, die vielen Zielplatinen, Einkommensplatinen und Attributsplatinen, die jede Partie anders ablaufen lassen. Den Vogel schießen aber die 160 Forschungskarten ab, je 32 Karten in den fünf Bereichen Erfindung, Mutation, Erkenntnis, Bauwerk und Errungenschaft. In der allerersten Partie werden wir uns zum Kennenlernen der Spielmechanismen mit einem vorgegebenen Satz an Forschungskarten zufriedengeben. In Folge können wir unsere Starthand selbst zusammenstellen, indem wir aus je zwei zufällig gezogenen Karten jedes Bereichs eine auswählen. Auf diese Weise haben wir das Schicksal weitgehend in unserer Hand und können unsere Zivilisation jedes Mal anders entwickeln.
Wie sollen wir uns bei diesem riesigen Umfang überhaupt zurechtfinden? Schließlich können wir in jeder Partie nur einen Bruchteil der sich uns bietenden Möglichkeiten nutzen. Civolution versteht sich dabei eher als Bausatz, als Versuchsobjekt für unterschiedliche Strategien. Wir dürfen uns nicht verzetteln, sondern müssen uns auf bestimmte Aspekte konzentrieren, um erfolgreich zu sein. Welche dies sind, wird ganz allein uns überlassen.
Wir sollten lediglich die Kriterien für die Zwischenwertungen und die Endwertung beachten, ansonsten gilt es. das Optimum aus der Ausgangssituation zusammen mit den uns zur Verfügung stehenden Forschungskarten herauszuholen. Der Wiederspielreiz sowie der Langzeitspaß sind dementsprechend sehr hoch, gibt es doch viele verschiedene Vorgehensweisen, die wir erst mit zunehmender Erfahrung wahrnehmen und ausnutzen können.
Selbst wenn das Grundprinzip recht einfach klingt - Würfelkombo wählen und die damit verbundenen Aktion ausführen -, die Fülle an Material und Optionen, die sich uns bieten, macht aus Civolution ein absolutes Expertenspiel, zumal auch die Spieldauer mit zwei Stunden aufwärts im gehobenen Bereich liegt.
Jetzt könnte man einwenden, dass der übermäßige Einsatz von Würfeln ja einem Strategiespiel widerspräche. Und tatsächlich: Ein Glücksfaktor ist natürlich vorhanden. Es gibt zwar viele Möglichkeiten, Würfel zu manipulieren, alternative Aktionen durchzuführen, um dem Zufall ein Schnippchen zu schlagen, aber wer wiederholt nur unpassende Würfel wirft, wird dann doch etwas zurückgeworfen, weil er unnötige Aktionen zur "Reparatur" benötigt. Im Normalfall wird sich jedoch der geschickteste Taktierer, der bessere Stratege durchsetzen.
Der Aufbau der Spielanleitung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Es wurde versucht, den großen Umfang der Informationen mit Info-Kästen und einem Leitsystem zu entgegnen. So informieren uns rosa Kästchen über "Key-Aktionen", also Details über die einzelnen Aktionsmöglichkeiten. Blaue Kästchen stellen sogenannte "Exkursionen" dar, mit denen wir Informationen zu einem Schlagwort erfahren. In violetten Kästchen erhalten wir wertvolle Hinweise und Tipps. Es braucht ein wenig Zeit, um sich darin zurechtzufinden, aber wenn wir es einmal durchschaut haben, funktioniert es recht gut, um rasch relevante Regeln zu finden. Außerdem finden wir noch ein umfangreiches Glossar, sowie gleich vier praktische Beihefte mit einer Übersicht ausgewählter Symbole und Elemente. All dies ist hilfreich, um trotz der Fülle an Informationen schnell ins Spiel zu finden.
Zugegeben: Auch mich hat Civolution anfangs richtiggehend erschlagen. Ich hatte in meinen ersten Partien das Gefühl, all das Brimborium, die vielen Rohstoffe, die vielen unterschiedlichen Module, die Unmenge an Forschungskarten, wären zu viel des Guten. Nach mittlerweile mehr als einem Dutzend Partien (davon ein paar im Solo-Modus, der sich übrigens sehr gut dazu eignet, ein bisschen herumzuexperimentieren und verschiedene Strategien auszuprobieren) habe ich meine Meinung diesbezüglich geändert. Ich schätze und genieße vielmehr die Varianz des Spiels als auch die Eleganz der Komposition. Stefan Feld hat hier ein Expertenspiel geschaffen, das mir, meinen Mitspielern und sicher vielen anderen noch etliche Stunden spielerisches Vergnügen bereiten wird.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.