Spielziel
Oje! Die Situation meiner kleinen Brauerei stellt sich als nicht sehr rosig dar. Veraltete Geräte, die Gärung dauert ziemlich lange, zudem stelle ich bloß eine einzige Biersorte - "Alt" - her. Die Folgen: spärliche Einnahmen und vor allem verdiene ich damit keinen einzigen Siegpunkt.
Doch das soll sich, muss sich ändern! Mehrere Arbeiter stehen bereit, um den Übergang in eine neue Ära zu schaffen, mein kleines Brauhaus neu zu gestalten und zu einer erfolgreichen, modernen Großbrauerei, fit für die aktuelle zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu machen.
Ablauf
Meine Brauerei verfügt anfangs nur über einen einzigen Braukessel, in dem ich Bier der Marke "Alt" produzieren kann. Für weitere Sorten fehlen mir da noch sowohl die erforderliche Ausrüstung als auch das Wissen, weshalb die entsprechenden Bereiche mit Abdeckplatten und Abdecksteinen versehen sind. Auf der Fortschrittsleiste wird festgehalten, wie lange der Gärprozess all meiner Biersorten dauert. Im Lager ist Platz für neue Fässer, die ich aber stets in den Keller transportieren muss, um dort fertiges Bier abfüllen zu können. Am rechten Rand meines Brauerei-Tableaus befinden sich Anlegeplätze für bis zu vier Ausbauten. Und im Verwaltungsbereich steht mir zu Beginn durch vorhandene Abdecksteine leider nur eine einzige Verwaltungsaktion zur Verfügung.
Der große Spielplan bietet mir mehrere Möglichkeiten, diese suboptimalen Zustände zu verbessern. Mehrere Aktionsfelder stehen hier für den Einsatz meiner beiden Arbeiter, meines LKWs, sowie für meinen letzten Arbeiter im Reihenfolge-Aktionsbereich bereit. Ich möchte hier nicht jedes einzelne Aktionsfeld beschreiben, weshalb ich mich auf die wesentlichsten Aktionen beschränke.
Dazu gehört in erster Linie natürlich das "Bierbrauen". Je nachdem, wo mein Marker auf der Braustufenleiste steht, kann ich bis zu 4 Biersorten gleichzeitig brauen, indem ich die entsprechenden Braudrehscheiben auf mein Tableau lege, das Wissen und passende Anschaffung selbstverständlich vorausgesetzt.
Das gebraute Bier muss natürlich gären, was durch "Drehungen" der Braudrehscheibe angezeigt wird. Je nach Fortschritt und Biersorte sind 3 bis 7 Drehungen notwendig, bis ein Bier fertig ist und in den Keller kommt. Wie viele Drehungen ich mit dieser Aktion insgesamt durchführen darf, richtet sich nach den Drehsymbolen meiner eigenen Kartenauslage (anfangs bloß 2).
Natürlich brauche ich auch Fässer. Die entsprechende Aktion bietet mir die Möglichkeit, entweder neue Fässer ins Lager zu stellen, oder Fässer vom Lager in den Keller zu verfrachten. Gegen Abgabe einer Münze darf ich sogar beides tun. Die Anzahl richtet sich in beiden Fällen wiederum nach meiner Kartenauslage.
Nachdem meine Brauerei ja zu Beginn noch nicht sehr effektiv arbeitet, bieten mir mehrere Aktionsfelder, dies zu ändern. Etwa mit Verbesserung des Braufortschritts, damit alle meine Biersorten nach dem Brauen weniger Gärung benötigen. Oder mit der Entfernung vn Abdecksteinen, um weitere Bereiche auf meinem Brauerei-Tableau - vor allem neue Biersorten - freizuschalten. Besonders wichtig ist es allerdings, in einen "Brauerei-Ausbau" zu investieren.
Diese bringen mir zum Teil große Vorteile, wie beispielsweise ein verbessertes Fasslager ("Fuhrpark") oder eine schnellere Gärung all meiner Biere am Ende jeder Runde ("Labor"). Besonders wichtig sind jedoch ein "Bierfilter" oder eine "Kühlanlage", denn nur mit einer dieser Ausbauten kann ich Abdeckplatten entfernen und damit Voraussetzungen für neue Biersorten - Pils, Export und Lager im oberen Bereich bzw. Stark oder Weizen im unteren Bereich - schaffen.
Und schließlich kann ich - gegen Abgabe einer Münze - noch eine "Arbeiter-Aufwertung" vornehmen. Zwar bleibt damit die Anzahl meiner Arbeiterfiguren gleich, denn ich schicke gleichzeitig eine meiner Figuren in Rente. Doch erstens verfügt mein neuer Arbeiter über eine höhere Erfahrung (was dies bringen soll, dazu gleich mehr), und zweitens bringt mein pensionierter Arbeiter eine Vergrößerung meines Kellers sowie einen weiteren kleineren Vorteil mit sich.
Eine höhere Erfahrung meiner Mitarbeiter kann sich recht positiv auswirken. Immer dann, wenn der Wert meines eingesetzten Arbeiters - anfangs tragen sie die Werte 1 und 2 - zusammen mit dem Wert des Aktionsfeldes die Summe 6 oder mehr ergibt, erhalte ich eine Bonusaktion, für die ich einen meiner kleineren Bonusarbeiter auf das obere Bonusaktionsfeld stelle und eine der dort angegebenen Aktionen nutze. Weist meine Kartenauslage mindestens 2 Glühbirnen-Symbole auf, habe ich sogar Zugriff auf eine der viel stärkeren Aktionen des unteren Bonusaktionsfeldes. Mit höheren Werten meiner Arbeiter habe ich logischerweise deutlich höhere Chancen auf die begehrten Bonusaktionen, da die Werte der Aktionsfelder zwischen 2 und 4 liegen.
Jetzt war schon ein paar Mal von Karten die Rede. Tatsächlich kommen Aktionskarten bei Bier Pioniere eine große Bedeutung zu. Das gewählte Aktionsfeld gibt vor, welcher Bereich einer Aktionskarte zur Anwendung kommt. Der beigebraune Bereich verbessert meine Kartenauslage für diverse Effekte (Gärung, Fässer, etc.). Der weiße Bereich bringt mir entweder eine besondere Aktion, oder - im Falle von historischen Persönlichkeiten - einen dauerhaften Effekt oder Vorteil.
Ganz besonders wichtig ist jedoch der violette Bereich. Dieser gibt vor, welche Biersorte(n) ich - zusammen mit entsprechend vielen Fässern - liefern muss, um die angegebenen Siegpunkte zu erhalten. Diese Bierlieferungen machen den Großteil der zu erzielenden Punkte aus.
Von den Aktionskarten besitze ich am Spielbeginn gerade mal 3 Stück. An weitere Karten komme ich durch gewisse Aktionsfelder oder Bonusaktionen. Darf ich Karten nachziehen, bestimmt meine erreichte Braustufe, auf welche Karten der offenen Auslage ich Zugriff habe. Karten des verdeckten Nachziehstapels stehen mir aber stets zur Auswahl. Gerade bei der Wahl der Aktionskarten gilt es, mich auf bestimmte Elemente, auf bestimmte Biersorten zu konzentrieren, damit ich nicht zu viele Aktionen zum Entfernen von Abdecksteinen und -platten verbrauche. Am Rundenende muss ich aber ebenso auf das Handkartenlimit (anfangs 3 Karten) achten.
Siegpunkte erhalte ich hauptsächlich auf vorher beschriebene Weise durch Bierlieferungen. Zusätzlich liegen zu Beginn drei Zielvorgaben aus, für deren Erfüllung ich mit 2 oder 3 Siegpunkten belohnt werde. Weitere, vereinzelte Siegpunkte kann ich durch verschiedene Aktionsfelder erzielen, ebenso bringt der jeweils erste Ausbau einer Art stets 1 Punkt.
Das Spiel endet nach jener Runde, in der ich oder einer meiner Konkurrenten die Marke von 20 Siegpunkten erreicht oder überschreitet. Ich kann noch ein paar abschließende Punkte für Bier in meinem Keller, eventuell auch für verbliebene Münzen erhalten. Mit insgesamt der höchsten Punktezahl erweise ich mich als bester Braumeister und führe meine Brauerei in eine erfolgreiche Zukunft.
Fazit
Selten passt die Bezeichnung "Arbeitereinsatz" thematisch besser zu einem Spiel als hier. Schließlich brauche ich für das Funktionieren meiner Brauerei unbedingt "man power". In Bier Pioniere sind es insgesamt 5 Arbeiterfiguren, welche mir für die unterschiedlichsten Aufgaben zur Seite stehen: 2 Arbeiterfiguren für die Aktionsfelder. 1 LKW für speziell dafür vorgesehene Aktionsfelder, 1 Arbeiter im Verwaltungsbereich meines Tableaus, sowie eine Figur im Reihenfolge-Bereich des Spielplans.
Naturgemäß ist die Interaktion beim "worker placement" recht hoch. Für die einzelnen Aktionen gibt es nur stark beschränkte Einsetzfelder, was noch verstärkt wird, indem die Grundwerte der vorhandenen Felder - immerhin entscheidend für die wichtigen Bonusaktionen - variieren. Somit kommen sowohl dem richtigen Timing - hier empfiehlt es sich, die möglichen Optionen der Mitspieler zu berücksichtigen - als auch der Spielerreihenfolge eine große Bedeutung zu. Für Letzteres setze ich meinen Arbeiter im Reihenfolge-Bereich ein. Lästigerweise lassen mich gerade die stärkeren Aktionen dieses Bereichs in der Reihenfolge für die nächste Runde weiter zurückfallen.
Ich habe also grundsätzlich fünf reguläre Aktionen in einer Spielrunde. Dies ist nicht gerade viel, weshalb ich natürlich versuchen werde, möglichst viele Bonusaktionen durchzuführen. Höchstens zwei Bonusaktionen sind pro Runde möglich, limitiert einerseits durch meine beiden Arbeiter, andererseits durch meine Bonusarbeiter. Von diesen habe ich nämlich anfangs gerade mal 2 Stück, durch Entsenden ins "Labor" oder durch Erfüllen einer Zielvorgabe kann ich zudem dauerhaft Figuren verlieren. Glücklicherweise beschert mir der Brauerei-Ausbau "Maschinenhalle" zwei weitere Bonusarbeiter.
Der interessanteste Aspekt ist für mich jedoch das Kartenmanagement. Jede Aktionskarte weist zwei von drei möglichen Bereichen (beigebraun, weiß oder violett) auf. Ich stehe bei jeder Karte vor der meist kniffligen Entscheidung, auf welche der beiden angegebenen Arten ich sie ausspielen möchte. Diese Multifunktionalität gefällt mir ausgesprochen gut.
Nachdem ich anfangs bloß drei Karten auf der Hand halte, ist auch der Kartennachschub recht wichtig. An neue Karten komme ich - wie bereits beschrieben - durch entsprechende Symbole von Aktionsfeldern. Um aber einen gezielteren Zugriff auf Karten der Auslage zu bekommen, sollte ich darauf achten, meinen Marker auf der Braustufenleiste vorwärts zu bewegen, denn dann darf ich aus allen Karten oberhalb und links meines Markers wählen. Für diesen Mechanismus hat sich der Autor von Arche Nova inspirieren lassen, und er passt auch hier ausgezeichnet. Die mehrfache Nutzung von Spielkarten hat er sich hingegen von La Granja abgeschaut.
Während die beiden oben genannten Spieler allerdings eindeutig den Expertenspielen zuzuordnen sind, gehört Bier Pioniere eher in die Kategorie der Kennerspiele. Es gestaltet sich zu einem spannenden Wettrennen, um zuerst die geforderten 20 Siegpunkte zu erzielen. In meinen Testrunden waren es meist sechs Runden, bis jemand die magische Marke erreicht oder überschritten hat. Daher hält sich auch die Spieldauer in einem angenehmen Rahmen, nämlich unter 2 Stunden.
Die angegebene Spielzeit variiert natürlich abhängig von der Spielerzahl. Zu dritt und vor allem zu zweit geht's deutlich schneller. Allerdings sind bei der Vorbereitung ein paar Änderungen vorzunehmen, um - üblich bei Arbeitereinsatzspielen - auch bei weniger Konkurrenz eine Verknappung zu erreichen. Zufällige Aufbaukarten geben vor, welche Aktionsfelder (meist halbe Felder) mit Abdeckplättchen versehen werden und mir deswegen in dieser Partie nicht zur Verfügung stehen. Bei drei Spielern sind dies 3 Felder, zu zweit sogar 8 Felder.
Den Großteil der Siegpunkte erziele ich ja durch Bierlieferungen (violette Karten), wofür ich aber vorher einiges an Arbeitskraft in entsprechende Forschung, Entwicklung und Ausrüstung stecken muss. Und um den Brauprozess zu verkürzen, sollte ich ebenfalls dahingehend klug investieren. Schon hier bieten sich mir unterschiedliche Vorgehensweisen. So kann ich versuchen, meinen Marker auf der Fortschrittsleiste vorzurücken, was die Gärdauer von vorneherein abkürzt. Oder meine Kartenauslage so zu gestalten, dass ich mit vielen Drehungen die Gärung beschleunige. Ein Labor hilft mir, am Rundenende viele "Gratis"-Drehungen zu erhalten.
Natürlich muss ich bei all dem auch die Aktionskarten berücksichtigen. Vor allem auf welche Biersorten ich mich spezialisieren sollte, darauf haben meine Handkarten und die Kartenauslage einen gewissen Einfluss. Dabei sollte ich aber tunlichst vermeiden, auf dieselben Biersorten wie meine Mitspieler abzuzielen, damit mir die dafür passenden Karten nicht vor der Nase weggeschnappt werden.
Es gibt allerdings noch andere Siegpunktquellen. So bekomme ich 1 Siegpunkt für jeden Ausbau, den ich als Erster tätige. Die Erfüllung von Zielkarten kann mir 2 oder 3 Siegpunkte einbringen. Beim Bau des vierten Ausbaus kann ich als Belohnung 1 Siegpunkt wählen, und der letzte Schritt auf der Fortschrittsleiste ist ebenfalls 1 Siegpunkt wert. Einige Aktionskarten bieten im weißen Bereich Möglichkeiten zu Siegpunkten. Und schließlich kann ich auf der Reihenfolgeleiste, auf dem unteren Bonusaktionsfeld, sowie auf dem Aktionsfeld "Tausch" einen Siegpunkt ergattern. Interessanterweise kann ich auf diese Weise -schwierig, aber nicht unmöglich - gewinnen, ohne jemals eine neue Biersorte freigeschaltet zu haben.
Die Qualität des Spielmaterials ist sehr hoch. Viele unterschiedliche Holzteile (große und kleine Arbeiterfiguren, LKWs, Drehscheiben, Abdecksteine, Fässer, Markierungssteine, etc.), stabile Plättchen und Tafeln, und jede Menge Karten. Die grafische Gestaltung ist in meinen Testrunden hingegen nicht so gut angekommen. Mir persönlich gefällt sie recht gut, versetzt sie uns doch sehr stimmig in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Spieleautor Thomas Spitzer - bis jetzt bekannt durch seine Brettspiele, die sich vornehmlich um die Geschichte des Kohleabbaus und -transport im Ruhrgebiet drehten - hat sich 2016 durch einen Besuch im Brauerei-Museum zur Entwicklung eines Spiels ums Bierbrauen inspirieren lassen. Seine intensive Beschäftigung mit der Materie merkt man in vielen Elementen des Spiels. So findet man auf den Aktionskarten einige Erfindungen der damaligen Zeit und viele historische Persönlichkeiten wieder, die er in einem Almanach am Ende der - übrigens gelungenen - Spielanleitung noch ausführlich erläutert. Dies trägt maßgeblich zur dichten Atmosphäre des Spiels bei.
Zusammenfassend kann ich feststellen, dass Bier Pioniere zwar nicht das innovativste Spielkonzept bringt. Die gelungene Kombination aus Kartenmanagement und Arbeitereinsatz sorgt jedoch für ein interessantes und überaus reizvolles Spielgefühl. Ich betrachte Bier Pioniere daher als eines der besten Spiele dieses Jahrgangs im mittleren Kennerbereich, was eine unbedingte Empfehlung rechtfertigt.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.