Spielziel
1666 legte eine verheerende Feuersbrunst London in Schutt und Asche. Da wir bereits ganze Zivilisationen aufgebaut und sogar ferne Planeten besiedelt haben, ist es für uns Spieler eine Selbstverständlichkeit, den Briten beim Wiederaufbau behilflich zu sein und gleichzeitig auch noch die drohende Armut zu bekämpfen.
Ablauf
Auch wenn wir große Ziele verfolgen, so fängt jeder von uns Städtebauern erst einmal bescheiden an: ein wenig Geld, ein paar Armutsmarker und sechs Handkarten. Die Karten zeigen Bauwerke oder Institutionen aus den Bereichen Politik (rosa Hintergrund), Wissenschaft (blau) oder Wirtschaft (braun). Einige bringen Geld, andere Siegpunkte, manche verringern auch die Armut oder verfügen über spezielle Funktionen.
Zu Beginn seines Zuges nimmt man eine Karte, entweder vom verdeckten Nachziehstapel, der so zusammengestellt ist, dass zunächst die Gebäude früherer Epochen, dann die der jüngsten Vergangenheit erscheinen, oder aus der offenen Auslage vom Spielbrett, die sich im Laufe des Spiels bildet.
Danach entscheidet man sich für eine der folgenden Möglichkeiten:
- Land kaufen: Hierzu markiert man auf dem Spielplan den entsprechenden Stadtbezirk mit einem seiner Gebäudeplättchen, zahlt den erforderlichen Geldbetrag und zieht so viele Karten nach wie in dem Gebiet angegeben ist. Am Zugende darf das Handkartenlimit von neun jedoch nicht überschritten werden. Falls dies der Fall ist, wandern diese Karten direkt in die Kartenablage auf den Spielplan.
- Karten ausspielen: Man legt eine oder mehrere seiner Handkarten in einer Reihe offen vor sich aus und zahlt gegebenenfalls die Kosten, die dafür anfallen. Die ausgespielten Karten können auch auf bereits ausliegende Karten gelegt werden, so dass im Spielverlauf mehrere Stapel entstehen. Für jede ausgelegte Karte ist jedoch eine gleichfarbige in die offene Auslage auf den Spielplan zu legen. Sollten dort alle freien Plätze belegt sein, wird einfach die oberste Reihe aus dem Spiel genommen und die untere Kartenreihe hochgeschoben.
- Stadt regieren: Mit dieser Aktion werden die offenen Karten der eigenen Gebäudeauslage in beliebiger Reihenfolge aktiviert. Einige dürfen nur einmal genutzt werden und müssen dann umgedreht werden, andere bleiben offen liegen, so dass man bei der nächsten Regierungsrunde erneut von ihren Funktionen profitieren kann. Die Aktivierung einiger Gebäudekarten ist allerdings nicht umsonst und muss mit Geld oder durch die Abgabe von Karten bezahlt werden. Am Ende jeder Regierungsphase zeigt sich dann, inwieweit sich die Armut positiv oder negativ entwickelt hat. Dazu werden die Anzahl der Kartenstapel (aktiviert oder nicht) und die Handkarten addiert und um die Anzahl der eigenen Stadtbezirke reduziert. Die Differenz gibt an, wie viele Armutspunkte man erhält oder abgeben darf.
- drei Karten nehmen: Hierbei bedient man sich einfach vom Nachziehstapel oder der offenen Auslage. Am Ende des Zuges ist jedoch wieder das Handkartenlimit zu prüfen.
Zusätzlich können jederzeit Kredite aufgenommen werden, die allerdings am Spielende mit einem Wucherzins zurückgezahlt werden müssen.
Sobald der Nachziehstapel aufgebraucht ist und der aktive Spieler seinen Zug beendet hat, wird das Spielende eingeläutet. Jeder Mitspieler darf noch einmal aktiv werden, bevor es zur Abrechnung kommt und der erfolgreichste Städtebauer bestimmt wird. Zu den Siegpunkten, die man bereits während des Spiels gesammelt hat, werden noch Siegpunkte für Stadtbezirke, einige Karten der eigenen Auslage und Bargeld hinzugerechnet. Nicht zurückgezahlte Kredite und Armutspunkte können jedoch noch zu Abzügen führen.
Fazit
Nach der Feuersbrunst ging es vornehmlich darum, eine funktionierende Infrastuktur zu schaffen und nicht einen Schönheitspreis zu gewinnen. Und genau dieser Aspekt hat sich auch beim Spielmaterial niedergeschlagen. Funktional ist hier wohl die treffendste Bezeichnung. Wer nicht gerade das Glück hat, die limitierte Sonderausgabe mit Holzmünzen und -gebäuden sein Eigen zu nennen, muss sich mit unhandlichen Plastikchips und unattraktiven Pappplättchen als Gebäuden begnügen. Auch lässt die Kartenqualität zu wünschen übrig. Trotz sorgfältiger Behandlung ziehen sich die Karten nach wenigen Spielen nach oben, was insbesondere beim Bilden von Stapeln äußerst unschön ist. Das übrige Material ist stabil und zweckmäßig, allerdings je nach Spielerzahl teilweise auch knapp bemessen. Ansonsten kann man nicht meckern.
Die Karten sind ansprechend illustriert - lässt man die Hintergrundfarben mal außer Betracht - und übersichtlich gestaltet, so dass die Informationen schnell erfasst werden können. Dies wird zusätzlich durch eine nahezu selbsterklärende Symbolik unterstützt. Die Kartentexte sind jedoch ausnahmslos in Englisch. Auch wenn sie nicht besonders anspruchsvoll sind, so sollten gewisse Grundkenntnisse dieser Sprache schon vorhanden sein. Treten dennoch Ungereimtheiten auf, hilft aber auch ein kurzer Blick in die Spielanleitung, wo alle Karten einzeln erläutert werden. Da auch der restliche Teil der Anleitung bis auf wenige Übersetzungsfehler gelungen ist, steht einem schnellen Einstieg nichts im Wege, zumal die eigentlichen Regeln für ein Spiel von Martin Wallace ungewohnt kurz und einfach sind.
"Einfache Regeln" ist jedoch nicht gleichzusetzen mit fehlender spielerischer Tiefe. Im Gegenteil, denn um nicht finanziell unter die Räder zu kommen oder in Armut zu versinken, ist sehr gutes Kartenmanagement erforderlich. Wallace ist es gelungen, die Mechanismen so schön zu verzahnen, dass ein gutes Timing zwischen allen Aktionsmöglichkeiten erforderlich ist. Welche Karten legt man in die eigene und welche in die offene Auslage, aus der sich dann die Mitspieler bedienen können? Wie viele Stapel bildet man? Wann ist der richtige Zeitpunkt, Land zu kaufen und wann aktiviert man am besten seine Kartenauslage? Hier gilt es, einen guten Rhythmus zu finden. Ansonsten hat man schnell das Nachsehen, denn der Platz auf dem Spielplan kann unerwartet schnell knapp werden und die Zahl der Armutsmarker bei schlechter Planung rapide ansteigen. Letzteres sollte man zwar nicht überbewerten, da am Spielende nicht die absolute Zahl der Armutsmarker zählt, sondern nur die Differenz zu dem Spieler mit den wenigsten Markern, aber dies kann empfindliche Siegpunktabzüge bedeuten.
Ein Blick auf die Auslagen der Mitspieler ist daher sehr empfehlenswert, so dass man einerseits durch das Ablegen von Karten auf den Spielplan keine Vorlagen liefert, und andererseits gegnerische Pläne erahnt, wann jemand seine Auslage aktivieren wird oder Land kaufen möchte und eventuell auch wo. Wer nicht aufpasst, dem kann es mitunter auch passieren, dass er gezwungen wird, einen Kredit aufzunehmen, indem ein Spieler eine Karte aktiviert, die Mitspieler zu Zahlungen zwingt. Das ist natürlich äußerst ärgerlich und trifft insbesondere die Spieler, die überwiegend mit ihren Karten und der eigenen Planung beschäftigt sind, und das Spiel in puncto Interaktion falsch einschätzen.
Sobald jedem Spieler alle Karten bekannt und auch vertraut sind, entwickelt sich ein spannendes Aufbauspiel mit hohem Wiederspielreiz. Schlechte Karten gibt es nicht und so versucht man, da das Nachziehen schließlich nicht ohne Glücksfaktor vonstatten geht, immer eine möglichst gute Kombination zu finden, die einem eine schnellere und effektivere Entwicklung verspricht als der Konkurrenz. Dies führt bei einigen Mitspielern jedoch zu gesteigertem Grübelpotenzial, was teilweise zu erheblichen Wartezeiten führt und die Spieldauer, die - unabhängig von der Spielerzahl - bei zügigem Spiel zwischen 90 und 120 Minuten liegt, deutlich überschreitet. Dabei handelt es sich jedoch nicht unbedingt um ein für dieses Spiel spezifisches, sondern eher ein generelles Problem, das bei vielen anspruchsvolleren Spielen auftritt.
Mag die Spielerzahl für die Spieldauer relativ unbedeutend sein, so sieht es für das Spielgefühl doch ganz anders aus. Hier sticht insbesondere das Zweierspiel heraus. Karten, wie beispielsweise der Omnibus, der beim Aktivieren für jedes Gebäudeplättchen auf dem Plan Geld beschert und jederzeit erneut genutzt werden kann, sind sehr stark. Da auf dem Spielplan keine Enge besteht und man sich nahezu beliebig ausbreiten kann, gibt es in der Regel keine finanziellen Probleme, und die Ausbreitung kann munter vorangetrieben werden. Dies führt dazu, dass Armutsmarker immer weiter abgebaut werden können und somit nahezu bedeutungslos werden. Problematisch wird es für einen Spieler nur, wenn er keinen Omnibus zieht und der Gegner womöglich beide aktivieren kann. Dem Entwicklungstempo des Mitspielers dann zu folgen, wird schwierig.
Grundsätzlich ist London zu zweit sehr gut spielbar, jedoch wird das Spiel weniger durch Zwänge bestimmt. Da dies aufgrund fehlender Anpassungen für das Zweipersonenspiel von redaktioneller Seite scheinbar so gewollt ist, muss man selbst entscheiden, ob einem das Spiel so gefällt. Alternativ kann man auch zu Hausregeln greifen und beispielsweise den Omnibus nach seiner Aktivierung umdrehen, die Anzahl der Bezirke auf dem Plan begrenzen oder einen Dummy-Spieler Bezirke belegen lassen. Varianten gibt es im Internet einige, so dass man sicherlich eine Möglichkeit findet, wie einem das Spiel zu zweit am meisten Spaß macht.
Neben dem Zweierspiel ist auch die Regelung des Spielendes vielleicht nicht ganz optimal, denn die Bedingung "sobald der Nachziehstapel aufgebraucht ist" führt oft zu ungewöhnlicher Spielweise, da niemand die letzte Karte nehmen möchte und lieber noch Siegpunkte sammeln will. Auch ist das Thema ein wenig schwach, denn den Fortschritt erkennt man nur durch die Anzahl der Pappplättchen auf dem Plan. Die eigene Auslage besteht lediglich aus umgedrehten Kartenstapeln.
Trotz kleiner Kritikpunkte ist London dennoch ein fesselndes Spiel, das mit wenigen Regeln auskommt, gleichzeitig aber anspruchsvoll ist und jedes Mal aufs Neue herausfordert.
Rezension Monika Harke
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.